Magazinrundschau - Archiv

Die Weltwoche

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Magazinrundschau vom 25.04.2006 - Weltwoche

Urs Gehriger ist überrascht, dass die meisten Teheraner seit Amtsantritt Achmadinedschads angegurtet fahren. Für Abolqasem Khoshrow, früher Presseberater von Ex-Präsident Chatami, wird dies bereits zum Beleg dafür, dass "die Zeit des Martyriums vorbei ist" - niemand will einen sinnlosen Tod sterben. Ohnehin plädiert Gehriger dafür, genauer hinzuschauen: "Die kriegerische Sprache Achmadinedschads gegen den Westen ist selbst im eigenen Land vielen suspekt. Die meisten seiner Wähler sind weder Islamisten noch radikale Weltveränderer. Sie gehören mehrheitlich der unteren Mittelschicht an. Sie fühlen sich von Achmadinedschad angezogen, der sich wie sie kleidet und wie sie spricht. Den korrupten Wirtschaftseliten sagt er den Kampf an. Den Armen verspricht er das Blaue vom Himmel. Noch applaudieren sie ihm; das könnte sich ändern, wenn er nicht liefert, was er verspricht."

Beatrice Schlag und Walter De Gregorio suchen nach Gründen, warum immerhin eine knappe Hälfte der italienischen Wähler ein zweites Mal für Berlusconi stimmte. Einer davon, so die Autoren, ist in der tief im Alltag verwurzelten "l'arte di arrangiarsi, der Kunst, sich zu arrangieren" zu suchen: "Italiener sprechen das Wort 'Staat' mit derselben Miene aus, mit der wir 'Furunkel' sagen. Staat bedeutet Abzocker, Erschwerer, Verhinderer. Man muss schlauer sein als der Staat. Um zu verstehen, warum praktisch die Hälfte der Stimmbürger den Mann wiederwählte, der sie in eine wirtschaftliche Misere ritt, ist es hilfreich, die Gründe nicht in seiner Politik zu suchen. Silvio Berlusconis größter Trumpf in den Augen seiner Wähler ist der, der Gerissenste von allen zu sein."

Der Fußballkolumnist des Guardian, Simon Kuper, erklärt Jose Mourinho vom FC Chelsea zum schönsten Fußballtrainer der Welt: "Wenn der gegnerische Coach neben ihm am Spielfeldrand steht, für gewöhnlich ein Senior mit Hängebacken, sieht es meistens aus wie Oliver Hardy gegen Errol Flynn." Eine Katastrophe sei er mit seiner Paranoia dennoch.

Magazinrundschau vom 18.04.2006 - Weltwoche

Pierre Heumann und Alain Zucker widersprechen den Politologen John Mearsheimer und Stephen Walt, die in einem Essay das große Gewicht Israels in der amerikanischen Außenpolitik beklagt hatten. Die großspurigen Erfolgsmeldungen von Lobbyorganisation wie Aipac seien mehr als Wunschdenken zu verstehen. "Hätte die Pro-Israel-Lobby tatsächlich einen derart großen Einfluss, würde sie ihn kaum derart an die große Glocke hängen." Und "in Washingtons erbarmungslosem Wettbewerb der Interessen und Ideen gibt es viel einflussreichere Strömungen. Gemäß dem Center for Responsive Politics hat die proisraelische Seite im letzten Wahlkampf lediglich sechs Millionen Dollar gespendet. Die Juden machten damit wohl mehr Geld locker als etwa die amerikanischen Muslime, doch immer noch viel weniger, als etwa die Ölindustrie springen ließ (25 Millionen), die auch ein vitales Interesse am Nahen Osten hat."

Außerdem berichtet Franziska K. Müller über die heftigen Reaktionen auf Alison Wolfs Artikel im Prospect, in dem sie Karrierefrauen vorwarf, die Schwesternschaft der Frauen aufzukündigen. Und Mark van Huisseling schreibt darüber, wie es ist, Christoph Schlingensief zu treffen. "Ich mag ihn, er ist nett und gescheit, und manchmal sagt er tolle Sätze, aber irgendwie versteh ich ihn nicht. Ich glaub, das ist einfach so, wenn man Künstler interviewt."

Magazinrundschau vom 04.04.2006 - Weltwoche

Sehr unterhaltsam berichtet David Signer von seinem Aufenthalt im indischen Pune, das sich vom zwielichten Ashram des umstrittenen Gurus Bhagwan zum florierenden Osho International Meditation Resort mit 200.000 Gästen im Jahr gewandelt hat. "Es mangelt nicht an originellen Angeboten: 'Lach-Meditation', 'Alchemie des 3. Chakra', 'Im Dunkeln sitzen', 'The Power of Love', 'Wer bin ich ohne meine Geschichte?', 'Zennis' (Zen-Tennis), 'Lachende-Trommeln-Meditation', 'Indischer Tempeltanz', 'Neutral Mask', 'Hip-Hop-Class', 'Fusion Fitness', 'Gurdjieff Bewegungen', 'Opening to Intimacy', 'Die Before You Die', 'Neo-Reichianische Körperarbeit', 'Chi Gong', 'Bauchtanz', 'Reiki', 'Yoga', 'Familienaufstellung', 'Intuitives Tarot'. Es gibt auch diverse Tantra-Gruppen. Aber es ist nicht, was sich viele vorstellen. Gleich am Anfang wird als Hauptregel mitgeteilt: keine sexuelle Aktivität während der nächsten fünf Tage. Es geht um Sublimation und Atemtechniken. Viele kommen dann nicht mehr am zweiten Tag."

Außerdem wird ein Beitrag aus Spektrum der Wissenschaft übernommen, in dem der Physiker und Astrobiologe Paul Davies lückenlos beweist, dass das Verstreichen der Zeit nur eine allzu menschliche Täuschung ist. Und Nina Streeck porträtiert den Schweizer Discounter-Fürsten Philippe Gaydoul, der Aldi erfolgreich die Stirn geboten hat.

Magazinrundschau vom 28.03.2006 - Weltwoche

Peter Rüedi unterhält sich mit dem Jazz-Musiker Joe Zawinul, der mit 74 Jahren durch Europa tourt und 30 Konzerte in fünf Wochen absolviert. Der für seine Bass Lines bekannte Keyboarder und Orchesterleiter gilt manchen als der schwärzeste Weiße. "So würde ich das nicht sagen, aber es stimmt, dass ich mich mit Schwarzen einfach gut verstehe. Irgendwie gibt es da den gleichen Sinn für Humor, auf Wienerisch gesagt: eine verwandte Art von 'Schmäh'. Unser Wiener Dialekt ist ja sehr nah bei einer walking bass line. Miles sagte auch: 'Nobody can write bass lines like you.' Übrigens ist Wien zurzeit unheimlich lebendig, auch in unserer Ecke der Musik, um es mal so zu sagen. Was der Schweizer Mathias Rüegg mit seinem Vienna Art Orchestra dort schuf, kann man nicht hoch genug schätzen."

Boris Johnson hofft, dass Silvio Berlusconi noch einmal die Chance bekommt, sich politisch zu beweisen - wegen seines Unterhaltungswerts. "Silvio Berlusconi ist ein Meilenstein in der modernen Politik. Es gibt niemanden, der es an schierer Unverschämtheit mit ihm aufnehmen könnte. Seine Reden, seine Garderobe, seine Halstücher, seine kosmetischen Operationen, sein lächerlich sexistisches Auftreten, das an einen Playboy der fünfziger Jahre erinnert - in allem ist er eine permanente Herausforderung für die ganze Schar blasser, stromlinienförmiger Figuren, die die Bühne der internationalen Diplomatie bevölkern."

Magazinrundschau vom 21.03.2006 - Weltwoche

Ein sehr schönes Porträt des scharfsinnigen, aber widersprüchlichen und in seinen verzweifelten Widersprüchen oft übers Ziel hinausschießenden Denkers Alain Finkielkraut schreibt Daniel Binswanger. In seinem berühmten Buch "Der eingebildete Jude" schildere Finkielkraut, wie er sich von einem als komfortabel empfundenen Opferstatus Nachgeborener befreit habe - ein Weg, den er auch Kindern von Immigranten empfiehlt, die sich nicht länger als Opfer des Kolonialismus oder der Sklaverei empfinden sollten: "Was er den Holocaust-Überlebenden nicht zugestehen will, das soll für die aus Afrika stammenden Minderheiten schon gar nicht legitim sein: die Begründung einer politischen Identität auf den Verbrechen der Vergangenheit. Finkielkraut liegt im Dauerclinch mit dem Minderheitenstatus. (...)Finkielkraut wurde von der Republik mit offenen Armen empfangen. Er wurde durch die ecole republicaine sozialisiert. Er glaubt aus innerster Seele an die zivilisatorische Macht der Bildung, der Gelehrtheit, des Buches. Brennende Primarschulen bilden für den Philosophen das simple Fanal der Barbarei."

Magazinrundschau vom 14.03.2006 - Weltwoche

Der Rechsanwalt Valentin Landmann beschreibt in seinem Plädoyer die Ökonomie des organisierten Verbrechens. Erst wenn der Staat gewünschte Dienstleistungen wie Prostitution dem legalen Markt entzieht, treten die Gangster auf den Plan. "Es ist kein Zufall, dass die legendärsten Verbrechersyndikate des vergangenen Jahrhunderts in den USA und in der Sowjetunion agierten. Die realitätsfremde Alkohol- und Drogenprohibition im einen und die Planwirtschaft im anderen System schafften Versorgungslücken, die von Gangstern gefüllt wurden. Auch die famosen Mafiaorganisationen im südlichen Italien waren in ihren Ursprüngen Selbsthilfeorganisationen, die nach ihren eigenen strengen Gesetzen das Volk vor Willkür schützten. Das organisierte Verbrechen ist letztlich nichts anderes als ein natürliches Regulativ, das immer dann zum Zuge kommt, wenn der Staat als Ordnungsmacht versagt oder seine Macht missbraucht."

Weiteres: Daniel Binswanger bemerkt bei den Pariser Modeschauen, dass viele Designer gar keine Läden mehr haben, in denen die Kleider gekauft werden könnten. Max Wey, der bei der Weltwoche den Posten des Chefkorrektors inne hat, mokiert sich über die reformierte deutsche Rechtschreibreform. Leider nur in der Printausgabe sind ein Interview mit der ehemaligen CIA-Agentin und Autorin Melissa B. Mahle sowie Georg Brunolds Geschichte des Perserreiches zu lesen.

Magazinrundschau vom 07.03.2006 - Weltwoche

Im Gespräch mit Sacha Verna erklärt der 84-jährige amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut Gott zum Totempfahl und jeden Präsidenten zum Verwirrten. "Der tragische Fehler jeder Demokratie besteht darin, dass nur ein Verrückter Präsident werden will. Meine High-School-Klasse war demokratisch organisiert. Wir wählten einen Klassenpräsidenten, einen Klassenvizepräsidenten, einen Sekretär und so weiter. Jeder, der für das Amt des Präsidenten kandidierte, hatte eine Schraube locker. Alles, was sie wollten, war, gewählt zu werden. Alles, was George W. Bush wollte, war, gewählt zu werden. Darüber hinaus hatte er keine Pläne. Seine Freunde hingegen hatten jede Menge Pläne. Und die regieren jetzt das Land."

Weiteres: Deutsche Autofirmen avancieren zu Katalysatoren für moderne Architektur, bemerkt Axel Simon. Außerdem unterhält sich Mark van Huisseling mit Gitta Saxx, dem deutschen Playmate des Jahrhunderts.

Magazinrundschau vom 28.02.2006 - Weltwoche

Vor 40 Jahren erschien Truman Capotes auf einem realen Vierfachmord basierender Roman "In Cold Blood", sein größter Erfolg und zugleich Anfang vom Ende des Schriftstellers, wie Julian Schütt aus einer neuen Biografie und Bennett Millers gefeiertem Biopic schließt. "Er kam über die Erfahrungen, die er in Kansas gemacht hatte, und besonders die Hinrichtung nicht hinweg. 'Niemand wird je ermessen, was "Kaltblütig" mich gekostet hat', sagte er einmal gegenüber seinem Biografen. 'Ich war danach bis ins Mark angeschlagen. Es hat mich fast umgebracht. Ich glaube, es hat mich in gewisser Weise sogar tatsächlich umgebracht.' Er begann zu trinken, schluckte Unmengen Tabletten, experimentierte auch mit andern Drogen, bekannte dabei freimütig: 'Ich bin süchtig. Ich bin schwul. Ich bin ein Genie.' Die Hautevolee genoss seine schrille Exzentrik, solange sie gutartig war, das heißt sich nicht gegen sie selbst wandte."

Magazinrundschau vom 21.02.2006 - Weltwoche

In Deutschland noch nicht besprochen wurde Peter Wensierskis Buch "Schläge im Namen des Herrn" über die Gewalt in kirchlichen Kinderheimen der Nachkriegszeit. Reinhard Mohr ist regelrecht geschockt. "Manche Methoden der meist pädagogisch überhaupt nicht qualifizierten Kampfschwestern knüpften fast nahtlos an die Nazizeit an. Mehr noch: Im 'Kalmenhof' in Idstein etwa waren zwischen 1941 und 1945 mindestens tausend Kinder im Rahmen von Zwangssterilisierung und Euthanasie ermordet worden. Viele der 'Erzieher' und Angestellten aus dieser Zeit blieben zum Teil bis in die sechziger Jahre dort beschäftigt, und erst in den achtziger Jahren wurde das Massengrab mit den Kinderskeletten freigelegt." Vor kurzem hat Wensierski zu diesem Thema auch im Dossier der Zeit geschrieben.

Weiteres: Antje Joel besucht den dänischen Kinderbuchautor Kare Bluitgen, dessen Bemerkung auf einer Party Fleming Rose von Jyllands Posten dazu veranlasste, die Mohammed-Karikaturen in Auftrag zu geben. Joel ist hingerissen von dem Mann: "Am Ende möchte man Kare Bluitgen in Watte packen und an die Schützer bedrohter Lebensarten übergeben. Dass sie ihn uns bewahren. Diesen unendlich müden, sehr wachen Mann." Lilo Weber trifft sich mit Liev Schreiber, der Jonathan Safran Foers Romanerfolg "Alles ist erleuchtet" vor allem deshalb verfilmt hat, weil sich die Großväter der beiden so ähneln. "Grauenhaft schwarzer Humor, pervers, sehr merkwürdig, beides wunderbare, wunderbare Männer."

Magazinrundschau vom 14.02.2006 - Weltwoche

Europa ist auf dem besten Weg, Selbstmord zu begehen, raunt Hanspeter Born mit apokalyptischem Unterton und Verweis auf die demografischen Aussichten. Er schlägt einen Drei-Punkte-Plan vor: "Erstens müsste ein geistiger Schub - vergleichbar etwa mit den großen religiösen Erweckungsbewegungen, wie sie England und die USA im 19. Jahrhundert erlebten - durch Europa gehen, der eine höhere Geburtenrate begünstigen würde. Zweitens müssten die europäischen Staaten durch eine die nichtmuslimischen Kulturkreise bevorzugende Einwanderungspolitik eine größere kulturelle Diversifizierung erreichen. Drittens müsste es den europäischen Gesellschaften durch sozialpolitische Maßnahmen gelingen, die einwandernden Muslime von der Gültigkeit der aufgeklärten Moderne zu überzeugen und sie kulturell zu assimilieren."