Magazinrundschau - Archiv

Le Monde des livres

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Magazinrundschau vom 29.04.2008 - Monde des livres

In Frankreich ist unter Historikern ein Streit über die Bewertung der Rolle des Islam im Mittelalter entbrannt. Auslöser ist das Buch "Aristote au Mont Saint-Michel - Les racines greques de L'Europe chretienne" (Seuil) des in Lyon lehrenden Historikers Sylvain Gouguenheim. Seine These: Der Westen verdanke die Entdeckung und Verbreitung des griechischen Denkens der Antike nicht wie gemeinhin anerkannt islamischen Arabern, sondern vielmehr westlichen Christen und deren lateinischen Übersetzungen. Das Buch hat scharfe Reaktionen der Kollegenschaft provoziert. Pierre Assouline fasst das Buch und die - teilweise auch faktenbezogene - Kritik daran in seinem Blog zusammen. In einem Interview vom 24. April verwahrte sich der Autor in einem kurzen Interview gegen die Kritik und den Vorwurf, ein Rechter zu sein, weil Auszüge des Buchs auf einer Website der extremen Rechten aufgetaucht waren. Gouguenheim: "Ich leugne die Existenz der arabischen Traditionslinie keineswegs, aber ich unterstreiche die Existenz einer direkten Linie der Übersetzungen aus dem Griechischen ins Lateinische, deren Zentrum im 12. Jahrhundert der Mont-Saint-Michel war, dank der Übesetzungen von Jacques de Venise. Ich bezweifle auch nicht die Übernahme zahlreicher Elemente der griechischen Kultur durch die Araber."

Stichwörter: Lyon, Mittelalter

Magazinrundschau vom 13.02.2007 - Monde des livres

Seit einigen Wochen herrscht unter Angehörigen und Freunden von Pierre Bourdieu einige Aufregung. Anlass ist der Antisemitismusvorwurf, den der Linguist und Philosoph Jean-Claude Milner in Alain Finkielkrauts Radiosendung "Repliques" (hier) gegen den Soziologen erhoben hat. Inzwischen haben am 8. Februar mehrere Intellektuelle in Liberation gegen die "absurden und lächerlichen" Behauptungen protestiert. Jean Birnbaum fasst Milners Vorwürfe, die sich vor allem auf Bourdieus Bücher "Die Illusion der Chancengleichheit" (Les Heritiers) und "Homo Academicus" (La noblesse d?Etat) stützen, noch einmal zusammen. Danach habe Milner mit einer "Provokation zum Denken anregen" wollen, weil er die Auswirkungen von Bourdieus Thesen auf die jungen Immigranten für "verhängnisvoll" halte. Milner wird weiter zitiert: "Was mich an Bourdieu verblüfft, ist eine allgemeine Stilistik, eine Form der Rhetorik, die darin besteht, Worte zu verdrehen. Er bezeichnet Gruppen als 'Erben', die gar kein Erbe haben, und nennt etwas 'Staatsadel', das überhaupt nichts mit Adel zu tun hat. Ich selbst bin ein Beispiel für das, was er meritokratischen Elitismus nennt! Aber was soll ich geerbt haben? Meine Eltern hatten kein Geld, und Französisch war nicht ihre Muttersprache!"

Magazinrundschau vom 21.11.2006 - Monde des livres

In einem Exklusivinterview erklärt der amerikanische Schriftsteller Jonathan Littell, der mit seinem Roman "Les Bienveillantes" in Frankreich einen Sensationserfolg landete und dafür mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, dass es Zeit brauche, dieses Phänomen zu erklären. Der zuständige Programmdirektor von Gallimard, Pierre Nora, habe gemeint, dass dies derzeit weder der Verleger noch der Autor könnten, sondern allenfalls ein Historiker. Littell selbst sagt: "Wir haben viel diskutiert und keine Antwort gefunden. Es haben sich allerdings zwei Hypothesen ergeben. Die erste bezieht sich auf den Nazismus und das Verhältnis der Franzosen zu dieser Epoche. Die zweite hat mehr etwas mit der Literatur zu tun. Gallimard konstatiert schon seit einigen Jahren eine Nachfrage nach dicken, romanhafteren und sehr konstruierten Büchern. Es braucht auf jeden Fall Zeit und ein bisschen Abstand, um diesen Erfolg zu erklären. Warten wir beispielsweise einmal ab, wie das Buch in Israel, den Vereinigten Staaten und Deutschland aufgenommen wird. Das wird uns vielleicht erklären, was da in Frankreich passiert ist."

Magazinrundschau vom 18.10.2004 - Monde des livres

Die Beilage von Le Monde konzentriert sich in dieser Woche auf die amerikanische Literatur, aus mehr als einem Anlass. Der eine ist das Festival von Aix-en-Provence, das unter dem Motto "L'autre Amerique" steht. Der US-Schriftsteller Russell Banks befasst sich in einem Originalbeitrag mit dem christlichen Fundamentalismus und kommt dabei auf die erfolgreichsten Bestseller der letzten Jahre zu sprechen: "Die in unserem Land bei weitem meistverkauften Bücher der letzten fünf Jahre sind die zwölf Bände der berühmten "Left-Behind"-Serie. Diese millionenfach abgesetzten Bücher stützen sich auf eine komplett fantastische theologische Vision, die im 19. Jahrhundert von zwei fundamentalistischen protestantischen Pastoren erfunden wurde." Es geht darin, fasst Banks zusammen, um die Wiederkehr Christi, um Armageddon, den Kampf Israels gegen den Antichristen und manches mehr. (Der Artikel ist nur in der kostenlosen pdf-Ausgabe der Beilage nachzulesen.)

Und ein zweites Festival, nämlich das von Vincennes, ist auch Amerika gewidmet. Aus diesem Anlass wird William T. Vollmanns Roman "La Famille Royale" besprochen und in einem kleinen Schwerpunkt zur indianisch-amerkanischen Literatur wird der Schriftsteller Sherman Alexie vorgestellt, als einer der begabtesten Autoren seiner Generation. Auch der Aufmacher der Beilage gilt einem US-Autor, nämlich Jim Harrison, dessen Roman "De Marquette a VeraCruz" als großes Werk der Zerstörung gepriesen wird. Ein weiterer Schwerpunkt: "Ein polnisches Jahr in Frankreich", eine Reihe von Veranstaltungen, die den Franzosen die Kultur Polens nahebringen sollen. Dazu eine Besprechung der Gesamtausgabe der Werke von Bruno Schulz. (In der pdf-Ausgabe.)

Magazinrundschau vom 09.08.2004 - Monde des livres

Einen recht verträumten Reisebericht schickt Cees Nooteboom (mehr hier) für die Serie "Un lieu, un livre, un ecrivain" aus dem Königreich Tonga, einem Archipel, welches mitten im Pazifik genau auf der Datumsgrenze liegt. Dort trinkt man Kava, ein milchiges Getränk (mehr hier), das aus einer Abart des Pfefferbaums gewonnen wird: "Die Mischung wird in einem Holzgefäß mit vier aus massivem Holz geschnitzten Füßen gereicht, aus dem man mit einer halben Kokosnuss schöpft. Die Wirkung lässt sich nicht eigentlich als Trunkenheit beschreiben, sondern eher als ein schläfriges Wohlsein, als leichte Narkose und Auflösung aller Charakterunebenheiten und - nach einem gewissen Moment - als tiefer Wunsch, sich langsam in die Luft zu erheben, um mit majestätischem Flügelschlag weitere Inseln anzusteuern, wo andere Kavakalapus auf einen warten."

Magazinrundschau vom 05.07.2004 - Monde des livres

Eine schöne Sommerausgabe präsentiert Le Monde des livres. Vielleicht für die Samstagsmagazine unserer Zeitungen zur Übernahme zu empfehlen: Der algerische Autor Yasmina Khadra (mehr hier) schreibt eine Hymne auf seine Stadt Algier, die man "Algier, die Weiße" nennt, weil sie, so Khadra, ohne Ranküne ist: "Algier schlägt nicht zurück, aber sie hält auch nicht die andere Wange hin. Sündenbock sein ist nicht ihr Ding. Sie nimmt die Dinge, wie sie kommen, und arrangiert sich damit. Sie hat verstanden, dass man sich nicht selbst bemitleiden darf, wenn man dem Schicksal ins Auge blicken will, dass man auf sich nehmen muss, was man anderen nicht weitersagen kann. Unglück ist für etwas gut, man muss nur dran glauben und es praktizieren. Algier hat mich gelehrt, Alchimist zu sein."

Außerdem berichtet eine Woche nach dem Figaro (mehr hier) nun auch Le Monde über einen "politisch sehr korrekten" Cioran, das heißt über eine Ausgabe von Jugendtexten des Philosophen, aus der alle politischen Stellungnahmen für die Nazis getilgt wurden. "Die Textsammlung basiert auf einer Auswahl, die Cioran selbst 1990 vornahm, wobei er es vorzog, alle offen politischen Texte fernzuhalten", berichtet Alexandra Laignel-Lavastine. Der Verlag Gallimard verschweigt es in der Ausgabe. "Der französische Leser wird einfach glauben, den Cioran wiederzufinden, den er "immer schon kannte, einen Antikonformisten, aber so talentiert", schreibt sie weiter. "Das Problem ist allerdings, dass man ihm nur eine Seite der Medaille zeigt. Der Leser wird sich an einer Münchner Korrespondenz in Vremea erfreuen, die 'Lob der Prophetie' betitelt ist, aber er wird nichts davon erfahren, dass Cioran im Jahr 1933 im gleichen Blatt den Nationalsozialismus als 'schöpferische Barbarei' begrüßte."

Magazinrundschau vom 17.05.2004 - Monde des livres

Robert O. Paxtons Buch über die Anatomie des Faschismus lobt Laurent Douzou in den höchsten Tönen. Besonders interessiert hat ihn daran, dass Paxton den Faschismus nicht als überwundenes, historisch datiertes Übel auffasst, sondern ihn "in den Horizont des heute Möglichen" eingliedert. Denn es gebe durchaus "eine neue Generation von Parteien, die zwar 'normalisiert', aber rassistisch seien, und die mitunter bis in die Regierungen gelangt sind". Klassischer Faschismus, so Paxtons Einschätzung, könne in Europa keinen Fuß mehr fassen. Jedoch - "entscheidend ist, ob die existierenden Embryonen in neuer Gestalt Wurzeln schlagen können: 'Man darf sich nicht damit begnügen, nach exakten Repliken zu suchen, etwa faschistische Veterane, die ihre alten Swastikas polieren.'"

Die New York Times Book Review hat einen neuen Chef. Es ist der Politchronist Sam Tanenhaus, und Lila Azam Zanganeh stellt ihn vor. Die Befürchtungen, Tanenhaus werde die Beilage auf Kosten der Literatur politisieren, scheinen sich allerdings nur andeutungsweise zu bewahrheiten. Im Idealfall natürlich sei Literatur von politischer Problematik durchtränkt. "Tanenhaus zitiert zum Beispiel Philip Roths "Der menschliche Makel" als Beispiel eines großartigen Werks, das vor politischer Energie nur so strotzt. Was nicht heißen soll, dass jede Fiktion einen politisches Gestus vollführen sollte oder dass die Book Review nur an dieser Art von Romanen interessiert wäre, aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, Literatur in einem politischen Kontext zu analysieren, sagt Tanenhaus. 'Nehmen Sie Schriftsteller wie Malraux, Celine oder Sartre, oder auch Bellow und Roth. Sie schreiben oft mit einem Sinn für Konflikte innerhalb der Kultur. Das gilt auch für Henry James, Tolstoi oder Dostojewski.'"

Magazinrundschau vom 10.05.2004 - Monde des livres

Adrien de Tricornot, Deutschland-Korrespondnet von le Monde, recherchiert für le Monde des livres das Drama des Hauses Suhrkamp, ohne für deutsche Leser allzu viel Neues zu berichten. Neu vielleicht einzig eine Äußerung Hans Magnus Enzensebergers zum Rücktritt des seligen Stiftungsrats: "Ich hatte nicht eigentlich Konflikte, aber die getroffenen Entscheidungen wichen stark von den Empfehlungen ab", erklärt Enzensberger da. "Wir haben uns entschlossen, nicht mehr mit unseren Namen einzustehen, da wir nicht wirklich Einfluss hatten."
Stichwörter: Suhrkamp Verlag

Magazinrundschau vom 03.05.2004 - Monde des livres

Einen Sturm entfacht in Frankreich der Wechsel Michel Houellebecqs vom Verlag Flammarion zu Fayard - dieses Haus gehört zur Hachette-Gruppe, die auch über eine synergetisch wertvolle Film- und Medienabteilung verfügt. Bei Fayard arbeitet jetzt auch Raphael Sorin, der Houellebecq einst bei Flammarion herausbrachte, während Houellebecq bei Flammarion seinen Kumpel Frederic Beigbeder unterbrachte, der in Le Monde des livres so zitiert wird: "Ich bin sprachlos und bestürzt. Menschlich bin ich sehr traurig, aber auch froh für Michel, wenn ihm das erlaubt, ein gutes Buch zu schreiben. Ich warte als Freund und Leser mit Ungeduld darauf. Als Verleger fühle ich mich wie eine Mätresse, deren Geliebter zu seiner Ehefrau zurückkehrt, und das obwohl ich so viel sexier bin als Raphael Sorin!"

Außerdem in Le Monde des livres eine große Besprechung der Briefe, die Simone de Beauvoir mit ihrem Geliebten Jacques-Laurent Bost, der alles in allem doch hübscher war als der offizielle Sartre, in den Jahren 1937 bis 40 wechselte.

Magazinrundschau vom 05.04.2004 - Monde des livres

Der notorische Philippe Sollers, einer der Fürsten des Pariser Literaturlebens, unter anderem weil er in Le Monde feiern darf, wer ihm gerade in den Kram passt, weist vielleicht mal auf eine tatsächlich interessante Neuerscheinung hin, eine auf vier Bände angelegte, von Maurice Lever verantwortete Anthologie der erotischen Literatur in Frankreich (erschienen bei Laffont). Der erste Band gilt dem 18. Jahrhundert, und Sollers zeigt in seinem Artikel, wie der Libertinismus sogar mit dem Chauvinismus kopulieren kann: "Es war einmal ein von der Natur und Geschichte bevorzugtes Volk, das die schnelle Lust zu leben und, besser noch, es zu sagen, entdeckt hatte. Man nennt dieses unwahrscheinliche Ereignis das französische 18. Jahrhundert. Es war der Frühling, dem ein langer Winter folgte. Nietzsche vergleicht diesen Moment mit dem griechischen Wunder, nur dass er noch wunderbarer war. Franzosen und vor allem Französinnen, strengt euch an, wenn ihr wissen wollt, wozu ihr fähig wart."

Nicht in Le Monde des livres, sondern in Le Monde selbst finden wir eine hochdramatische und messerscharfe Polemik, die von Pascal Bruckner, dem Politologen Iannis Iannanakis und der Demografin Michele Tribalat unterzeichnet wurde. Sie wendet sich gegen die Zustimmung der EU zur UNO-Resolution, die die Ermordung des Scheichs Jassin verurteilte: "Der Tod eines Terroristenchefs, der zum Mord an 'den Juden' aufrief, der einen, übrigens legitimen, nationalen Kampf instrumentalisierte, der ohne die geringsten moralischen Bedenken seine eigenen Kinder dazu trieb, sich umzubringen um andere Kinder zu töten, der das Geld von Wohlfahrtsorganisationen missbrauchte, um seinen totalen Krieg zu finanzieren, verwandelt sich im offiziellen europäischen Diskurs in einen 'inakzeptablen und nicht zu rechtfertigenden' (so Jack Straw) Mord am geistigen Führer einer von manchen als 'politisch' bezeichneten Bewegung... Es ist bestürzend zu konstatieren, dass das Mitleid mit den Opfern in Europa aus postkolonialem Schuldgefühl zu einer Geschichtsversion führt, die mit den selben ernsthaften Tränen, die Opfer und und ihre Mörder beweint."