Efeu - Die Kulturrundschau
Wie Picasso, allerdings zu Fuß
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Bühne

Absolut überwältigt kommt Reinhard Brembeck aus Romeo Castelluccis "Salome"-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen, bei der er den Triumph der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian erlebte, deren Erscheinung er nur mit dem Auftritt von Anna Netrebko vor sechzehn Jahren vergleichbar findet: "Alle sind davon gebannt, niemand im Raum kann sich der Wucht dieser Analyse und Enthüllung entziehen, die mit dem heiligen Ernst des Rituals das Geheimnis der Liebe enthüllt, das laut Wilde größer ist als das Geheimnis des Todes. Größer, grausamer, unbedingter, verheerender. Asmik Grigorian kann diesen Irrsinn spielen und singen. Sie geht nicht an Grenzen, sie hat keine. Die litauische Opernsängerin erzeugt Töne, die lodernd wie ein Fanal von jenem einzigen Urgrund künden, der dem Leben Sinn geben kann."
Erschüttert und begeistert zeigt sich auch Eleonore Büning in der NZZ: "Ein herrliches schwarzes Pferd taucht auf im Brunnen, wirft die Mähne und donnert mit den Hufen: Jochanaan - eine Kleinmädchenphantasie. Entzückt wirft sich Salome auf den Rücken, ihre nackten Beine tanzen Lufttango. Später verteilt sie unfassbar sinnliche, unglaublich obszöne Luftküsse an einen imaginären Propheten-Kopf. Denn nur der Rumpf des Geköpften sitzt auf dem Stuhl - ein Pferdekopf daneben. Die Intensität, mit der Grigorian die Süßigkeit und Verzweiflung dieser zerstörten Seeleneinsamkeit singt und gestaltet, nimmt der Szene jeden Schatten von Widerwärtigkeit. Strauss und die Musik, die Philharmoniker und Welser-Möst sind ohnehin allezeit auf Salomes Seite." Im Tagesspiegel schreibt Frederik Hanssen.
Besprochen werden Mozarts "Zauberflöte" bei den Salzburger Festspielen (Tagesspiegel, FAZ), Johan Simons Inszenierung von Kleists "Penthesilea" in Salzburg (nachtkritik), "Tristan und Isolde" als Wiederaufführung in Bayreuth (Tagesspiegel, NMZ, FAZ), der Solo-Abend "50 Acts" der englischen Theaterperformerin Wendy Houston in Frankfurt (den Sylvia Staude in der FR als so lässig wie intensiv feiert), das Doku-Stück "Cuckoo" des koreanischen Performance-Küsntlers Jaha Koo beim Impulstanz-Festival in Wien (Standard), Rossinis "La Cenerentola" in Schloss Hallwyl (NZZ) und Roger Vontobels Inszenierung von "Siegfrieds Erben" nach Feridun Zaimoglu und Günter Senkel in Worms (FAZ).
Kunst

Im Blog der New York Review of Books feiert Hugh Eakin die avantgardistische Bildhauerkunst des Constantin Brancusi, dem das Guggenheim Museum eine große Ausstellung widmet: "Der Sohn rumänischer Bauern kam ungefähr zur gleichen Zeit nach Paris wie Picasso, allerdings zu Fuß. Innerhalb weniger Jahre schaffte er es Bekanntschaft mit Rodin zu schließen. Doch er verwarf die Methoden des Meisters und definierte völlig neu, was eine Skulptur sein kann. Er kultivierte von sich ein Bild des schwarzbärtigen Asketen, trug nur einfache weiße Kleidung, lebte allein, kochte sich sein Essen auf einem selbstgemachten Ofen in seinem Hinterhof-Atelier in Montparnasse und verwandelte all seine Lieblingssujets - Vögel, Fische, aristokratische Frauen - in atemberaubend schöne Abstraktionen aus poliertem Marmor oder glänzender Bronze."
Besprochen wird die große Frida-Kahlo-Schau "Making her self up" im Londoner Victoria and Albert Museum in London (taz) und die Ausstellungen des Edinburgh Art Festival (Guardian).
Musik
Besprochen wird ein Konzert von Bonnie Raitt in Berlin (Berliner Zeitung).
Literatur
Weitere Artikel: In der Zeit-Serie "Ferienflimmern" erinnert sich heute María Cecilia Barbetta an die wichtigsten sechs Wochen ihrer Jugend. In der NZZ erzählt Karl Corino vom Scheitern Robert Musils als angehender Ingenieur. Im Standard schreibt Oliver vom Hove zum zweihundertsten Geburtstag von Emily Brontë, in der SZ schreibt Susan Vahabzadeh. Zum Tod des russischen Schriftstellers Wladimir Woinowitsch schreibt in der FR Harry Nutt, im Tagesspiegel schreibt Gregor Dotzauer.
Besprochen werden unter anderem Henry James' Roman "Lady Barbarina" (NZZ), Alexandra Tischels "Affen wie wir. Was die Literatur über uns und unsere nächsten Verwandten erzählt" (taz), Charlie Englishs "Die Bücherschmuggler von Timbuktu" (Tagesspiegel) und Jan Böttchers "Das Kaff" (Tagesspiegel).
Architektur

Außerdem: SZ-Autor Till Briegleb besucht die TU in Eindhoven, wo eine Architekturklasse die Zukunft des Betondruckens probt: "Nächstes Jahr soll mit dem 3D-Druck der weltweit ersten Minisiedlung am Rande der holländischen Industrie- und Unistadt begonnen werden."
Film

In der FAZ erinnert Nikolai Klimeniouk daran, dass der in einem russischen Lager einsitzende ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow heute vielleicht seinen 78. Tag im Hungerstreik verbringt: "Vielleicht, weil man an jedem Morgen seines Hungerstreiks nicht weiß, ob er am Abend noch leben wird. Der IRA-Kämpfer Bobby Sands starb nach 66 Tagen Hungerstreik in einem nordirischen Gefängnis. Der sowjetische Dissident Anatolij Martschenko hielt seinen Hungerstreik in einem Hochsicherheitslager 117 Tage lang und starb etwa eine Woche, nachdem er ihn beendet hatte. Er wurde aber zwangsernährt, eine erniedrigende und qualvolle Prozedur."
Weiteres: Uwe Killing unterhält sich für die Berliner Zeitung mit dem Filmproduzenten Artur Brauner, der am 1. August seinen 100. Geburtstag feiert. In der FAZ gratuliert Andreas Platthaus dem Schauspieler Jean Reno zum Siebzigsten. Besprochen wird eine Schau zu 100 Jahren Ufa-Filmgeschichte im Kunstfoyer München (Welt).