Efeu - Die Kulturrundschau

Die Nuancen von Firnis und impasto

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
02.01.2015. Russlands wichtigstem Off-Theater Teatr.doc droht nach einer Polizeiaktion das Aus, meldet der Standard. Die FAZ bringt eine Seite über die Kunstszene in Afrika. Viel besprochen wird Frederick Wisemans Dokumentarfilm über die National Gallery in London. Der Standard porträtiert die Conchita Wurst Bosnien-Herzegowinas: Bozo Vreco. Und die Daily Mail erzählt, wie der neueste Frisurentrend aus Äthiopien nach Japan schwappte.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.01.2015 finden Sie hier

Bühne

Russlands wichtigstes Off-Theater, das Teatr.doc, steht nach einer brutalen Polizeiaktion vor dem Aus, berichtet Herwig C. Höller im Standard: "Seit am 30. 12. jedoch Polizisten eine Filmvorführung im Theaterkeller sprengten, ist Teatr.doc, das sich in minimalistischen Inszenierungen mit dem Hier und Jetzt beschäftigt, in seiner Existenz bedroht: Etwa 20 Ordnungshüter, die gemeinsam mit Beamten des Kulturministeriums anmarschiert waren, gaben zunächst vor, nach einer Bombe zu suchen. Anschließend konzentrierten sie sich auf vermeintlichen "Extremismus" im vorgeführten ukrainischen Dokumentarfilm [Stärker als Waffen", 2014], verwüsteten die Räumlichkeiten und zerstörten Requisiten."

Sieglinde Geisel besucht für die NZZ in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg die Proben zum Theaterstück "Die Geschworenen" und lernt: "Sich auf der Bühne zu exponieren, erfordert im Gefängnis sehr viel mehr Mut als in einem gewöhnlichen Theater. Die Häftlinge nehmen das Risiko in Kauf, sich vor einem Publikum zu blamieren, das keine Gnade kennt".

Für den Tagesspiegel schaut Rüdiger Schaper diversen Spielhäusern auf die Uhr: Doch "was sucht die Uhr auf der Bühne? Dementiert sie nicht die Kunst? Alle Oper ist schon ein Herunterzählen der knappen und verbliebenen Lebenszeit, besonders bei Puccini. ... Wer eine Opernbühne betritt, gleich in welcher Kostümierung, steht mit einem Bein im Grab."

Rüdiger Schaper (Tagesspiegel) und (Berliner Zeitung) berichten von der großen Geburtstagsparty der Berliner Volksbühne: Es gab, erfahren wir, Kartoffelsalat und günstigen Wein. Besprochen wird eine konzertante Aufführung von Emmerich Kálmáns "Csárdásfürstin" in Frankfurt (FR).
Archiv: Bühne

Film


Kunst liegt im Auge des Betrachters. Frederick Wisemans "National Gallery". Bild: Kool.


Drei Stunden lang hat sich Direct-Cinema-Meister Frederick Wiseman in seinem gleichnamigen Dokumentarfilm auf die National Gallery in London eingelassen und die Institution dabei ganz ohne Kommentar auf vielfältige Weise perspektiviert, freut sich Silvia Hallensleben im Tagesspiegel. Sie lobt die "kluge Montage, die den Reichtum des gedrehten Materials durch Spiegelungen und Assoziationsräume vergrößert und das Museum als Ort kulturellen Gedächtnisses und ästhetischer Bildung feiert".

In der taz hat Brigitte Werneburg Vorbehalte: Wiseman gehe es viel zu sehr um die Institution als solche, zu wenig aber um ihren eigentlichen Zweck. Nach zwei Dritteln der Laufzeit möchte sie doch bitte auch einmal ihren Blick auf der Kunst ruhen lassen. "Liegt es an den Bildrechten, dass die Kamera so schnell über all die wunderbaren Tizians, Rembrandts, Rubens" oder Turners hinwegschwenkt? Dass sie mal dieses Detail zeigt und mal jenes, aber sich kaum einmal die Muße nimmt, ein Bild zu studieren?" Bert Rebhandl (FAZ) widerspricht, denn Wisemans Film findet seiner Ansicht nach eben doch ein Verhältnis zur Kunst: "Als Filmemacher, der in Technicolor die Nuancen von "Firnis" und "impasto" registriert, interessiert er sich dafür, wie Kunst durch Sprache in Erzählung verwandelt wird. Keine lineare Erzählung, das ist auch sein Film nicht, sondern ein Mosaik, das aber eben doch eine Geschichte ergeben soll." Weitere Besprechungen in artechock, epdFilm, Welt und SZ.

Viel Freude hat Lukas Foerster (Freitag) mit einem aus dem IKKM-Umfeld in Weimar herausgebrachten "Wörterbuch kinematografischer Objekte", das sich neben erwartbaren Begriffen wie Zoom beispielsweise auch mit dem Kaugummi im Film befasst. Bei der Lektüre des offenbar vergnüglich frei geschriebenen Buches erfährt man, "wie Dinge zu Filmdingen werden und was dabei sowohl mit den Dingen als auch mit dem Film passiert". Und als Erkenntis steht zu verzeichnen: "Wenn man ein kinematografisches Objekt nur lange genug dreht und wendet, offenbart es sich früher oder später als Allegorie aufs Kino als Ganzes." Eine der Herausgeberinnen ist übrigens Perlentaucher-Filmkritikerin Friederike Horstmann.

Weitere Artikel: Eine Meldung in der Presse informiert uns, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Marokko Ridley Scotts Bibelfilm "Exodus" in ihren Ländern verbieten. Begründung: "Der Film vermittle ein falsches Bild des Islam und anderer Religionen."

Besprochen werden außerdem Roy Anderssons "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" (taz, FR, Presse) und David Ayers Kriegsfilm "Herz aus Stahl" mit Brad Pitt (Welt), .
Archiv: Film

Kunst

Die afrikanische Kunstszene prosperiert. Ein Forum findet sie in Deutschland unter anderem in dem vornehmlich online erscheinenden, vom Auswärtigen Amt und dem ifa finanzierten Magazin Contemporary And, deren Gründerinnen Yvette Mutumba und Julia Grosse sich in der FAZ mit Julia Voss unterhalten. Die afrikanische Kunst boomt, erzählt Mutumba, und hier bekommt man kaum etwas davon mit: "Auf dem afrikanischen Kontinent finden gerade sehr spannende Entwicklungen statt, die aber eigentlich über das, was wir uns vielleicht unter einer "Museumsszene" vorstellen, hinausgehen. Sicher, es gibt Museen für zeitgenössische und moderne Kunst wie beispielsweise die National Art Gallery of Rwanda oder das Gezira Center for Modern Art, Kairo. Der Sammler Jochen Zeitz plant gerade den Bau eines Megamuseums in Kapstadt, das ausschließlich Gegenwartskunst zeigen wird. Vielleicht noch spannender ist aber die wachsende Zahl unabhängiger Kunsträume."

Weitere Artikel: Im Standard stellt Helmut Ploebst den syrischen Tänzer und Choreografen Hussein K. vor. In der taz berichtet Gaby Sohl von einem Treffen mit der Künstlerin Marika Schmiedt, die sich in ihrer Kunst unter anderem auch mit der Geschichte ihrer in Konzentrationslagern ermordeten Familie und der Diskriminierung der Roma befasst. Das Berliner Käthe-Kollwitz-Museum präsentiert seine Dauerausstellung nach einer Umgestaltung unter der neue Direktorin Iris Berndt "klarer und strukturierter", berichtet Anna Pataczek im Tagesspiegel.

Besprochen werden die Jeff-Wall-Ausstellung im Kunsthaus Bregenz (Standard)
Archiv: Kunst

Literatur

Besprochen werden unter anderem Jhumpa Lahiris "Das Tiefland" (SZ, mehr) und Emmanuelle Bayamack-Tams "Wenn mit meiner Unschuld nicht alles vor die Hunde ging" (FAZ, mehr). Mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr.
Archiv: Literatur

Musik

Auch Bosnien-Herzegowina hat einen Sänger in Frauenkleidern, der Bart trägt. Bozo Vreco heißt er, Adelheid Wölfl stellt ihn im Standard vor. "Kaum ein anderer Mann in diesen Breitengraden würde es wagen, so ein "Sweetheart" zu sein. "Was soll so einer wie ich machen? Jeder, der mich sieht, weiß ohnehin Bescheid. Man kann mich ja nicht verstecken", sagt Vreco", der sein Archäologiestudium aufgab, um Sevdah-Sänger zu werden. "Sevdah kommt vom arabischen Wort "sawda", was schwarze Galle bedeutet. In den Sevdah-Liedern steckt Sehnsucht und Trauer. Wahrscheinlich entstand die Sevdalinka im 15. Jahrhundert, nachdem die Osmanen Bosnien-Herzegowina eroberten. Osmanische Musiktraditionen vermischten sich mit den damaligen slawischen."

Hier eine Hörprobe:



Die FAZ dokumentiert Thomas Hampsons Laudatio auf die Wiener Philharmoniker, die gerade mit dem Karajan-Preis ausgezeichnet wurden: " Was in diesem tönenden Zusammenschluss orchestralen Klangs hörbar wird, ist auch das Wissen darum, dass wir als Individuen in eine musikalische Gemeinschaft geboren wurden, in der vorangegangenen Generationen ihre Spuren hinterließen. Sie sagen uns, woher wir kommen. Insofern ist das typische Klangbild der Wiener Philharmoniker auch eine Art Gedächtnis."

Weitere Artikel: In der taz porträtiert Franziska Buhre den kanadischen, in zahlreichen Projekten umtriebigen Trompeter James Duncan, der von Punk und Indie über House zum Jazz gekommen ist. Außerdem im Logbuch Suhrkamp: Die 15. Lieferung von Thomas Meineckes Clip-Schule ohne Worte.

Besprochen werden Beethovens Neunte mit Ton Koopmann und den Wiener Philharmonikern, die nicht das klitzekleinste Vibrato spielen durften (Presse), das Neujahrskonzert der Wiener mit Zubin Mehta, "einzigartiger Walzerseligkeit und sattem Polka-Schmiss" (sehr munter besprochen in Standard, Presse).
Archiv: Musik

Design

Ah, die Globalisierung macht die tollsten Umwege! Die Bana in Äthiopien haben mit bunten Haarspangen einen Haartrend geschaffen, der von japanischen Teenagern aufgegriffen wurde, berichtet Ruth Styles in der Daily Mail mit vielen tollen Bildern von Eric Lafforgue: "When Dolce & Gabbana sent models sporting piles of colourful hair accessories down the catwalk during their S/S14 show, the fashion world swooned in delight. But the designers" source of inspiration for the look is an unlikely one - the colourful Bana people of Ethiopia"s Omo Valley, who like nothing better than intricate piles of brightly coloured hair clips. And they aren"t the only ones who love a good hair accessory. Ever the early adopters, Japan"s Kawaii girls have enthusiastically embraced the look, although their colour of choice is pink in all its shades."
Archiv: Design