Die Buchmacher

Die Buchmacher

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
29.05.2006. Wie Buchhändler und Verleger bei den Buchhändlertagen die Sorgen weggetanzt haben. Weshalb der Börsenverein unter den Politikern derzeit mehr Feinde als Freunde hat. Was Rainer Moritz dagegen hat, Derrida auf dem iPod zu hören. Und welcher Buchhändler 2010 einen Marktanteil von 30 Prozent haben wird.

buchreport.express

Der alte Goethe musste für die Aufmacher-Überschrift "Über allen Gipfeln ist (Un-)Ruh" von buchreport herhalten. Bei den Berliner Buchhändlertagen (hier die Zusammenfassung von buchreport) hat die Hauptversammlung des Börsenvereins die weiteren Schritte der überfälligen Verbandsreform beschlossen: Die Abgeordnetenversammlung soll in ein Branchenparlament umfunktioniert werden, das sich den spartenübergreifenden Themen widmen soll. (Rückblick: Bei ihrer letzten Tagung hatte sich die Abgeordnetenversammlung gegen ihre Abschaffung und somit gegen den wichtigsten Bestandteil der Reform ausgesprochen - und das gesamte Procedere ausgebremst) Durch den Kompromissvorschlag wurden die Wogen geglättet, bilanziert buchreport. "Der Kongress tanzt", fasst Thomas Wilking die Stimmung in Berlin, "die wieder aktivierte Konsenskultur", zusammen. Auch in die Diskussion über die Finanzsituation des Verbands konnten die Funktionäre Ruhe bringen. Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis will den Mitgliedern mit einem Fünf-Jahres-Plan Auswege aufzeigen und das Verhältnis zu den Wirtschaftstöchtern neu definieren - einen Verkauf schließt Skipis im Interview mit buchreport allerdings aus. (Weitere online zugängliche Artikel widmen sich den Sitzungen der Fachausschüsse sowie der Logistikumfrage der Zwischenbuchhändler)

Die monatelangen Gerüchte haben sich bestätigt. Der Börsenverein hat die Holtzbrinck-Töchter hgv publishing services und MPS Technologies (Tochter von Macmillan India) als Dienstleister für das verbandseigene Leuchtturmprojekt Volltextsuche Online (VTO) an Bord geholt - und mehr Fragen als Antworten aufs Tapet gebracht: Da die beiden Unternehmen auch die Holtzbrinck-Volltextsuche-Plattform BookStore koordinieren sollen, ist laut buchreport fraglich, ob die Verlage nicht in Zukunft lieber direkt mit Holtzbrinck statt dem Börsenverein zusammenarbeiten werden - dies wiederum würde die Titelkosten für die teilnehmenden VTO-Verlage erhöhen. Bei den Buchhändlertagen in Berlin bekräftigte Börsenvereins-Vorsteher Gottfried Honnefelder, dass VTO als Prototyp zur Frankfurter Buchmesse vorgestellt werde, und bezifferte die Kosten auf "unter einer Million Euro". Hinter den Kulissen des Verbands, berichtet buchreport, sei jedoch klar, dass der Zeitplan kaum einzuhalten ist.

"Mehr Feinde als Freunde" hat der Börsenverein laut buchreport derzeit unter Berliner Politikern. Die Stellungnahme des Bundesrats zur zweiten Reformstufe des Urheberrechts (die beste Berichterstattung im Internet liefert Heise) sei zwar nicht so verlegerfeindlich wie der Regierungsentwurf, bringe die Branche jedoch in die Bredouille. Dies gelte besonders für den Passus zum Zweitverwertungsrecht von Forschungsartikeln (§ 38): Beiträge zu Forschungen, die mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden, dürfen sechs Monate nach der Erstveröffentlichung in einer Fachzeitschrift vom Autor (z.B. im Internet) zweitveröffentlicht werden. Die, so buchreport, "größte Kröte, die Verleger möglicherweise künftig schlucken müssen: Autoren könnten von den Kultusministern per Dienstverpflichtung gezwungen werden, der Zweitveröffentlichung zuzustimmen." Das Nachsehen hätten dann die Verleger der Fachzeitschriften.

Amazon hat sich in den USA in die Karten schauen lassen, was aus dem 2005 übernommenen Print-on-Demand-Dienstleister BookSurge werden soll. Künftig können Autoren und Verlage Titel auf Abruf drucken und ausliefern lassen. Durch das Angebot wolle sich Amazon von der Backlist-Pflege der Verlage (Amazon erwirtschaftet schätzungsweise 40 bis 50 Prozent mit älteren Titeln; hier der wegweisende Artikel von Wired zum "Long Tail") unabhängig machen, Lagerkosten senken und eine neue Vertriebsschiene für die im Rahmen des Programms "Search Inside!" digitalisierten Bücher aufbauen, vermutet buchreport.

Weitere Meldungen: Die Börsenvereins-Tochter Factoring Gesellschaft Media hat den eigenen Verlust durch die Pleite des Kölner Billigbuchhändlers Zanolli auf rund 1,5 Million Euro beziffert. Die Mayersche übernimmt den Gummersbacher Buchhändler Osberghaus. Das schweizerische Bundesamt für Justiz und die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) hat das geplante helvetische Preisbindungsgesetz auf Eis gelegt.

Börsenblatt

In einem Kommentar legt sich Rainer Moritz (früher Chef bei Hoffmann & Campe, jetzt beim Literaturhaus Hamburg) mit den Hörbuchverlagen an. Für ihn seien die Höreditionen zum Freud-Jubiläum "eine peinigende Vorstellung" - diese übertrügen die nicht ganz unkomplizierten Texte "ins schnittige CD-Format". Bücher die nicht ins Easy-Listening-Fach gehören", schlussfolgert Moritz, "brauchen Aufmerksamkeit" - und die sei im Berufsverkehr nicht gegeben. "Vor lauter Discman- und iPod-Begeisterung" werde Reinhold Beckmann demnächst die "Grammatologie" von Derrida einspielen, malt Moritz seinen privaten Teufel an die Wand. (Anschlussfragen: Gibt es heute noch Discman? Hat Rainer Moritz jemals einen iPod, geschweige denn die "Grammatologie" in der Hand gehabt?)

Erstmals seit vier Jahren ist der Umsatz der Buchbranche nennenswert wieder gestiegen. Wie das Börsenblatt meldet, lag der Umsatz 2005 bei rund 9,2 Milliarden Euro (plus 0,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Dabei hätten die Verlage um 1,9 Prozent zulegen können, der Umsatz der Buchhändler sei jedoch um 0,9 Prozent gesunken. Den Umsatz des Onlinehandels schätzen die Frankfurter auf 633 Millionen Euro (da der Amazon-Umsatz in Deutschland jedoch unbekannt ist, könnte der tatsächliche Umsatz viel höher ausfallen). Die Anzahl der Neuerscheinungen stieg um 3,9 Prozent auf 89869 Titel.

Arnulf Conradi hat sich zwar nach 30 Jahren in der Branche Anfang 2005 verabschiedet - was den Ex-Verleger nicht daran hindert, hin und wieder mit einem Kommentar zur Lage der Buchnation dazwischenzufunken. Nach einer Einleitung mit einigen Längen rechnet Conradi die aktuelle und zukünftige Marktmacht von Thalia vor und hoch: Aktuell habe der größte Filialist mit einem Umsatz von 330 Millionen Euro - bezogen auf den reinen Sortimentsbuchhandel - einen Marktanteil von rund 10 Prozent. Sollten die Wachstumspläne der Hagener (angeblich 20 Prozent plus jedes Jahr) aufgehen, könnte der Anteil 2010 bei 30 Prozent (Umsatz: 820 Millionen Euro) liegen und das Kartellamt auf den Plan rufen. Fazit des Berliners: Rettet die deutsche Buchhandelslandschaft, um amerikanische Verhältnisse zu verhindern.

Wie in der vergangenen Woche enthält die Ausgabe wieder einen interessanten Leserbrief. Buchhändler Dieter Dausien aus Hanau stellt die Frage nach der Funktion der Wirtschaftstöchter im Börsenverein: Sollen diese als Global Player auftreten und etablierten Konkurrenten den Kampf ansagen (wie zuletzt die Frankfurter Buchmesse mit ihrer - vereitelten - London-Stippvisite), also völlig losgelöst von den Verbandszielen wie ein ganz normales Unternehmen agieren? (Fragen, die im Börsenverein nicht offen diskutiert werden) Nein, so der Briefeschreiber, sie sollten sich auf ihre Dienstleistungen für die Branche beschränken.

Niedriger Lagerumschlag (1,28), mehr EDV-Bestelllungen, weniger Kleinsendungen - heiter bis wolkig stellt sich die Logistikumfrage des Zwischenbuchhandels dar. Rationalisierung scheint in Teilen der Buchbranche weiterhin ein Fremdwort zu sein.

Weitere Artikel: Mit einer Resolution hat der Börsenverein an die Bundesregierung appelliert, im Rahmen der Urheberrechtsreform die "Rechte von Autoren und Verlagen zu stärken". Der Süddeutsche Verlag (Umsatz 2005: 704 Millionen Euro, plus 5,9 Prozent) plant neue Sondereditionen im Buchbereich - welche weiß das Börsenblatt jedoch nicht. Gert Frederking und Monika Thaler haben ihren Verlag an den Christian Verlag verkauft.

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