Nüchtern, ja fast schon kleinlaut liest sich die jüngste Pressemitteilung (hier als pdf-Dokument) der Verwertungsgesellschaft Wort: Das Landgericht München I habe "eine Entscheidung getroffen, die nicht zugunsten der VG Wort ausgefallen ist. In dem Rechtsstreit geht es um die Frage, ob eine Beteiligung von Verlagen an den Auszahlungen der VG Wort zulässig ist."

Nanu? Die Verwertungsgesellschaft Wort erhält von Copyshops, Schulen und Hochschulen sowie von der Geräteindustrie jährlich etwa 120 Millionen Euro als Kompensation für die privaten Kopien, die mit diesen Geräten hergestellt werden – Tendenz steigend. Sie schüttet dieses Geld von jeher teils an Autoren aus, teils an Verleger von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Im Bereich der schöngeistigen Literatur erhalten Autoren 70 Prozent der Einnahmen, Verlage 30 Prozent, im Bereich der Wissenschaft wird 50:50 geteilt.
 
Warum aber erhalten Verlage Geld, obwohl es sich doch um Urheberrechtsabgaben handelt und Verlage selbst gar keine Urheber sind? Die Standardantwort der VG Wort auf diese Frage lautet: weil etliche Autoren ihre Rechte den Verlagen abgetreten haben. Da es aber einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand bedeuten würde, dies im Einzelfall zu prüfen, schüttet die Verwertungsgesellschaft das Geld nach pauschalisierten Verteilungsplänen aus.

Dahinter steht nicht zuletzt die Idee einer solidarischen Interessengemeinschaft von Autoren und Verlagen. Verlage tragen ihren Teil dazu bei, dass die Werke der Autoren den Weg zum Leser finden. Sie treiben einen erheblichen Aufwand, um Bücher in den Buchhandel zu bringen oder Abonnenten für ihre Zeitungen zu finden. Als Urheber und Verwerter stehen sie gemeinsam den Nutzern gegenüber, die beim Kauf jedes Scanners und jedes CD-Rohlings eine Urheberrechtsabgabe für private Kopien geschützter Werke zahlen.

Andererseits verdienen Verlage auch so schon eine Menge Geld an den Werken der Autoren. Sie verkaufen Bücher im Buchhandel und zahlen Autoren nur eine geringe Erlösbeteiligung. Zeitungsjournalisten beklagen Honorare, die unterhalb jeder Sittlichkeitsgrenze liegen. Und Wissenschaftsverlage wälzen das Layout auf die Autoren ab und lassen sich für den Druck hohe Zuschüsse zahlen. Es ist vor diesem Hintergrund keineswegs selbstverständlich, dass sie auch noch an den Ausschüttungen der VG Wort beteiligt werden müssten.

Und selbst wenn man es für moralisch geboten hielte: Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür, wie das Landgericht München I nun festgestellt hat. Es sei nicht Aufgabe einer Verwertungsgesellschaft, "eine Billigkeitsgesichtspunkten entsprechende Umverteilung contra legem vorzunehmen", heißt es in der Urteilsbegründung.

Diese Feststellung hat eine lange Vorgeschichte. 2002 wollte der Gesetzgeber die Abtretung der für die Ausschüttungen maßgeblichen Rechte neu regeln, stieß dabei aber auf so heftigen Widerstand der Verleger, dass man zum 1. Januar 2008 einen Rückzieher machte. Die vor fünf Jahren ins Gesetz aufgenommene Neuregelung ist indes handwerklich so misslungen, dass nun einer, der sie damals schon kritisierte, vor Gericht recht bekommen hat: Martin Vogel.

Der Münchner Patentrichter und Mitautor des sogenannten "Professorenentwurfs" für die 2002 umgesetzte Urhebervertragsrechtsreform ist in einschlägigen Kreisen dafür bekannt, nicht schnell klein beizugeben. Er überzeugte die Münchner Richter mit einem einfachen Argument: Wenn Autoren mit der VG Wort einen Vertrag abschließen, so erklären sie darin, dass sie bestimmte Rechte an ihren Werken der Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung einräumen. Folglich können sie diese Rechte im Nachhinein gar nicht mehr an Verlage abtreten. Also muss auch das Geld zu hundert Prozent an die Autoren fließen.

Diese Argumentation ist so schlüssig, dass die VG Wort ihr vor dem Münchner Landgericht kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Ihre Anwälte hoben die große Bedeutung der Verlage hervor und verwiesen auf die historische Tradition der gemeinsamen Interessenvertretung, konnten aber letztlich nicht sagen, auf welcher rechtlichen Grundlage Gelder, die den Autoren zustehen, willkürlich an Dritte ausgezahlt werden.

Das Urteil ist nicht nur für die VG Wort ein Schlag ins Gesicht, sondern auch für das Bundesjustizministerium. Schließlich ist das Deutsche Patent- und Markenamt als Aufsichtsbehörde dafür zuständig zu prüfen, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Gelder nicht willkürlich verteilen. Das funktioniert offenbar nur so halb. Wie der Urheberrechtsjurist Thomas Hoeren einmal formulierte: "Die Beamten vom DPMA sitzen bei den Verwertungsgesellschaften dabei wie Notarbeamte bei der Ziehung der Lottozahlen."

Die VG Wort hat angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Das ist ihr gutes Recht als Verliererin des Prozesses – es ist allerdings nicht im Interesse der Urheber. Würden deren Vertreter in den Gremien der VG Wort tatsächlich die Interessen der Autoren vertreten, so würden sie verlangen, dass die Verwertungsgesellschaft die strittigen Zahlungen so lange zurückstellt, bis das Urteil in der letzten Instanz bestätigt oder widerlegt ist. Eigentlich dürfte man eine entsprechende Anweisung auch von der Aufsichtsbehörde erwarten.

Am Freitag, den 1. Juni, findet in Berlin die Versammlung der Wahrnehmungsberechtigten der VG Wort statt. Man darf gespannt sein, ob dort über Konsequenzen gesprochen wird. Schließlich stehen für die Autoren nun jährlich zweistellige Millionenbeiträge auf dem Spiel.

Ilja Braun

Einen längeren Text des Autors zur Auseinandersetzung finden Sie auf irights.info als pdf-Dokument.

Die jüngste Stellungnahme der VG Wort zu dem Urteil hier als pdf-Dokument.