Außer Atem: Das Berlinale Blog

Zerhäckselt die Wirklichkeit: 'Hail Caesar!' von den Coen-Brüdern (Wettbewerb)

Von Thomas Groh
11.02.2016. Badenixen, Römer in Sandalen, Technicolor - ist "Hail Caesar!", der Eröffnungsfilm der Berlinale, eine nostalgische Hollywoodkomödie? Ach, wenn es bloß so einfach wäre.


Ein einfacher Satz: "Wenn es bloß so einfach wäre." Gar nicht einfach für den Schauspieler mit seinem breiten, von keinem Stimmtraining je domestizierten Hinterwäldler-Amerikanisch, der zuvor auf Wildwest-Akrobatik auf Pferderücken abonniert war, nun aber wegen eines verordneten Imagewechsels in einem künstlerisch wertvollen Drama für den empfindsamen Regisseur Laurence Laurentz (Ralph Fiennes) diesen Satz aufs reuevollste aufsagen soll. Ein "Sprich mir einfach nach"-Wortgefecht hinter den Kulissen folgt den versaubeulten Takes: Wenn es bloß so einfach wäre. Wenn es bloß so einfach wäre. Wenn es bloß so einfach wäre. Ach, es ist kompliziert.

Der Ort: Hollywood. Die Zeit: Die frühen 50er. Hollywoods größte Zeit. Der Kalte Krieg, bevor er richtig finster wird. Eine Glanzzeit für Eskapismus. Jesusfilme, Badenixen-Filme, a jolly good time auf Pferderücken. Technicolor, satte Farben, Zahnpastagrinsen im Gesicht des all american boy. George Clooney als saftig-fleischiger Römer in Sandalen.

"Hail Caesar" - eine nostalgische Hollywoodkomödie jenen Schlags, bei dem sich die Filmindustrie selbst aufs Korn nimmt? Wenn es bloß so einfach wäre. Die Coenbrüder, seit je filmhistorisch informierte Intellektuelle des filmischen Postmodernismus mit einem guten Schlag zu Period Pieces, verlassen sich nicht bloß auf Inside Gags, ein bisschen Showbiz-Irrsinn, all that Jazz. Siegfried Kracauer hatte einst, in den Zwanzigern, in einer Reportage beschrieben, wie auf den großen Studiosets Wirklichkeit und Geschichte in Partikel, Bruchstücke, Fragmente zerlegt und später im Kino als scheinbar Ganzes wieder aufersteht. Ganz ähnlich häufen die Coens hier Fragmente der Welt an, die im Studio zusammenlaufen - "Hail Caesar" handelt von einer Welt, in der Wirklichkeit stets und immer wieder zerteilt, zerhäckselt, fragmentiert wird - verwaltet vom Sitz des Großproduzenten Mannix (Josh Brolin in einer einmal mehr fabelhaften Rolle) , der seine liebe Mühe hat, den Zirkus beisammen zu halten: In seiner Position fließt der ganze Irrsinn zusammen - Theologen, die es zu beschwichtigen gilt (weil ein Jesusfilm geplant ist), Stars, deren Eskapaden und uneheliche Kinder es zu vertuschen gilt, Großproduktionen, deren Logistik eine eigene Zentrifugalkraft zu entwickeln drohen, Stars, die fast schon von der Kamera weg entführt werden.



Zerhäckselung der Wirklichkeit - Zerhäckselung des Filmflusses. "Hail Caesar" ist ein nahezu entropisch voll gestellter Film, der immer wieder von willentlich eingestreuten Störungen zerrissen zu werden droht: Filmausschnitte aus den produzierten Filmen stören den Erzählfluss, Dummbeutel-Stars (für deren Naivität das Herz der Coens, die einmal mehr mit kaltherzigem Spott zu Werke gehen, noch am ehesten schlägt) kriegen einfachste Sätze nicht auf die Reihe, die eben noch glamouröse Badenixe Scarlett Johansson (als Esther-Williams-Hommage) entpuppt sich nach einem "Cut" als Dorfkuh mit breitem Akzent. Ständig Cut, ständig wird alles neu eingestellt. Herummäandern vor Kulissen und Kostümen. "Das hier ist die Wirklichkeit", heißt es an einer Stelle, als ein Foto hochgehalten wird. Zu sehen ist die Zündung einer Wasserstoffbombe. Siegfried Kracauer sprach beim Blick in die Großstadt der Zwanziger Jahre auch einmal davon, dass ihn das Gefühl beschleiche, das alles hier werde irgendwann ganz einfach explodieren, bis kein Stein mehr auf dem anderen stehe. Wenige Jahre später herrschte der Zweite Weltkrieg.

Zurück zu "Hail Caesar". Da gibt es noch: Kommunisten. Kalter Krieg. Musicals. Channing Tatum in der Matrosenbar als blondierter Gene-Kelly-Verschnitt. Die Waffenindustrie. Das Fernsehen als heraufdämmernder Konkurrent im Kampf um Zuschauer. Tausend Agenten, die an Hollywood zerren und rütteln. Von den ganzen Neurosen, den ganzen Affären, die hinter der scheinbaren Unschuld von Hollywoods Produkten spielen, abgesehen. Dass man manches Mal an Pynchon denkt, verwundert nicht.

Man kann das vielleicht unsympathisch smart finden. Immerhin bloß gefällig ist es in seiner steten Anhäufung von Material und Materialien nicht. Und: Neben seinen großen postmodernen Irrsinns-Gesten haben die Coens mit "Hail Caesar!" auch einfach eine rege Freude an Schauspieler-Stimmen und Schauspieler-Körpern. Es macht Spaß, den Leuten zuzusehen, ihnen zuzuhören. Und wenn es nur zwei Minuten lang das Scheitern an einem einfachen, bis zur völligen Sinnentleerung wiederholtem Satz ist.

Thomas Groh

Hail Caesar!, Regie: Joel und Ethan Coen. USA / Großbritannien 2015, 106 Min. Mit: Josh Brolin, George Clooney, Alden Ehrenreich, Ralph Fiennes, Jonah Hill, u.v.m. Wettbewerb (außer Konkurrenz). Alle Termine