Außer Atem: Das Berlinale Blog

Mongolische Eier-Ödnis und mazedonischer Satire-Irrsinn - der Berlinale-Pressespiegel

Von Thomas Groh
11.02.2019. Ein echtes Highlight findet sich in der Perspektive Deutsches Kino: Maryam Zarees "Born in Evin" arbeitet die Grausamkeiten des iranischen Regimes auf. Im Wettbewerb läuft derweil politisches Kino. Sehr zu Recht außer Konkurrenz: Die Mossad-Räuberpistole "The Operative", über den sich die taz die Haare rauft. Der vierte Berlinale-Tag im Rückblick.
Sehenswert: Maryam Zarees "Born in Evin"

Mit Maryam Zarees "Born in Evin" hat sich ein absolutes Festivalhighlight in der Perspektive Deutsches Kinos versteckt, versichern Bert Rebhandl und Andreas Fanizadeh. Die Filmemacherin ist als Schauspielerin aus der Serie "4 Blocks" bekannt und schildert in ihrem autobiografischen Film die Umstände ihrer Geburt 1979 in einem iranischen Gefängnis. "In Umrissen wird hier eine Geschichte der iranischen (exilierten) Opposition erkennbar, und man erfährt eine Menge über das grausame Regime im Iran", schreibt Rebhandl im FAZ-Blog. "Immer wieder versucht Maryam, vor der Kamera ihrer Mutter Nargess unmittelbare Äußerungen über die Umstände der Geburt und die Zeit im Evin-Gefängnis zu entlocken. Ihre ansonsten so souveräne Mutter kann nicht antworten", erzählt Andreas Fanizadeh in der taz. Zaree ist für diesen Film um die halbe Welt gereist, um "andere Exiliraner*innen zum Sprechen zu bringen, die und deren Kinder ein ähnliches Schicksal haben. Im Hintergrund iranische psychedelische Popmusik von Kourosh Yaghmaei aus den 1970er Jahren. Kaum vorstellbar heute, wo die Entwicklung damals stand, die die Mullahs so brutal kappten." Die Musik von Kourosh Yagmaei ist im übrigen wirklich ziemlich toll:



Ziemlich geärgert hat sich taz-Kritiker Andreas Fanizadeh über Yuval Adlers in der Sinnlos-Kategorie "Wettbewerb außer Konkurrenz" gezeigten Spionagethriller "The Operative", in dem Diane Kruger für den Mossad angeworben wird. Ein "in jeder Hinsicht schlechter Film", gar "Murks" wurde hier vorgelegt, der zudem noch das antiisraelische Geschäft besorge. Wie Fanizadeh verwendet auch Perlentaucher Thierry Chervel das schöne Wort "Räuberpistole". Aber immerhin: "Der Film funktioniert." Was insbesondere auch an Kruger liegt. "Es geht in diesem Film um diese radikale Ausgesetztheit, diese völlig irreale Existenz und Vorspieglung im Leben anderer." Christian Schröder moniert im Tagesspiegel, dass in dem Film "ein wenig zu viel geredet wird." Auch Kinozeit-Kritikerin Sonja Hartl hat sich ziemlich gelangweilt.

Formal schnörkellos, aber wichtig: "Mr. Jones" von Agnieszka Holland
Agnieszka Hollands "Mr Jones" erzählt die Geschichte, wie der britische Journalist Gareth Jones in den frühen 30ern Stalins zwangsverordnete Hungersnot in der Sowjetunion aufgedeckt hat. Wer bei all dem Widerstand, auf den er dabei trifft, "nicht an Trump, Putin & Co erinnert fühlt, hat den Punkt des Films verpasst", schreibt Barbara Wurm in der taz und lobt den Film zwar nicht als Meilenstein der Filmkunst, aber doch als willkommenes politisches Arthaus-Kino: "Dieser Film ist wichtig und in seiner formalen wie politischen Schnörkellosigkeit ein solider Beitrag zu einem Wettbewerb, der ja das Politische im Privaten thematisieren will, dabei aber bisher nur dänische Weichspülliebe, mongolische Eier-Ödnis und mazedonischen Satire-Irrsinn gezeigt hat." Weitere Besprechungen auf kino-zeit.de und in der Berliner Zeitung.

Hält die Balance: Teona Strugar Mitevskas "God exists..."

Endlich mal Wucht im Wettbewerb, freut sich Kerstin Decker im Tagesspiegel nach der Pressevorführung von Teona Strugar Mitevskas mazedonischem Wettbewerbsfilm "God exists, her Name is Petrunya", in dem sich eine Frau in der Provinz gegen das Kartell aus Patriarchat und Religion auflehnt. Die Regisseurin hält in dem Film eine "Hochspannungsbalance. Der Überraschungsmoment liegt nie im Banal-Anderen, sondern in den Graden der Intensität und Wahrhaftigkeit." Schwere Kost also? Am Ende wird der Film "überraschend leicht und heiter", ergänzt Perlentaucher Thierry Chervel. "Auch das ist nur möglich, weil er seiner Hauptfigur so zugetan ist."

In der FAZ verteidigt Andreas Kilb Fatih Akins Heinz-Strunk-Verfilmung "Der Goldene Handschuh", auch gegen den genervten Ton, mit dem er abgefertigt wurde. Der Film hat : "Er ist groß, weil er die Frauen, die Honka umbringt oder zu töten versucht, weder verachtet noch romantisiert, sondern in ihren zerbrochenen Gesichtern die Sehnsucht nach jenem Glück zum Vorschein bringt, das die Schlager der siebziger Jahre versprechen." Weitere Besprechungen in taz, Welt, SZ, mehr dazu bereits hier.

Weitere Eindrücke vom Potsdamer Platz und seinen Kino-Satelliten in Berlin: Im CulturMag lässt Katrin Doerksen die ersten Festivaltage Revue passieren. Dominik Kamalzadeh tut es ihr gleich und resümiert im Standard das erste Berlinale-Drittel. Festival-Grantler Rüdiger Suchsland ärgert sich auf Artechock, wie gehetzt und stressig die Berlinale im Vergleich zu anderen A-Festivals ist (mehr als doppelt so viele Filme wie Cannes und Venedig zusammen, drei Tage weniger Spielzeit, dafür aber auch kaum Pressevorführungen abseits des Wettbewerbs) und rätselt darüber, warum 30 Jahre Mauerfall für das einstige Kalte-Kriegs-Festival so gar kein Thema ist. Frederike Horstmann schlendert für den Tagesspiegel im Silent Green durch die Installationen des Forum Expanded. In den Dokumentarfilmen "Berlin Bouncer" und "Schönheit und Vergänglichkeit" zeigt sich laut Welt-Kritikerin Cosima Lutz, dass der Typus des verwegen urbanen Künstlers in der Existenzform des Türstehers überwintert hat. Daniel Haas meditiert in der NZZ über die zahlreichen Werbeplakate, die am Potsdamer Platz hängen.

Besprochen werden Rima Das' "Bulbul can Sing" (Shomingeki), der Wettbewerbsfilm "Pferde stehlen" (critic.de, taz, Berliner Zeitung, mehr dazu bereits hier), Jonah Hills Regiedebüt "Mid90s" (Tagesspiegel), der Dokumentarfilm "What She Said" über die Filmkritikerin Pauline Kael (Kino-Zeit), die Mini-Serie "Brecht" (Kino-Zeit), Jean-Gabriel Périots Doku "Nos défaites" (Tagesspiegel), ein Dokumentarfilm über Mario Adorf (Berliner Zeitung), Syllas Tzoumerkas' "The Miracle of Sargasso Sea" (Tagesspiegel) und Marie Kreutzers Wettbewerbsfilm "Der Boden unter den Füßen" (taz, Berliner Zeitung, unsere Kritik hier).

Für den schnellen Klick im Laufe des Tages immer wieder interessant: Der Kritikerinnenspiegel von critic.de, die Festival-SMS von Cargo und selbstverständlich unser fortlaufend aktualisiertes Berlinale-Blog.