Außer Atem: Das Berlinale Blog

Monströs: Fatih Akins "Der Goldene Handschuh" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
10.02.2019.


Fatih Akin
hat ganze Arbeit geleistet. "Der Goldene Handschuh" ist ein monströser Film. Eine Art Ekel-Horror-Comic, grotesk und grell überzeichnet. Schon in der ersten Szene beginnt Fritz Honka, der Hamburger Frauenmörder, sein perverses Werk: In seiner stinkigen, mit Porno-Bildern tapezierten Wohnung in St. Pauli schnürt er den wuchtig-wabbeligen Leib einer Frauenleiche zusammen, verpackt ihn in Plastiksäcke, bekommt ihn nicht weg gewuchtet, dann schleppt er den Sack wieder die Treppe bis zu seiner Mansarde hoch und beginnt die Leiche zu zersägen. Was in den Koffer passt, wird auf den Sperrmüll geworfen, der Rest landet, klatsch, im Wandschrank. Dazu läuft Adamos Schlager "Es geht eine Träne auf Reisen". Um den Lärm zu übertönen, aber auch weil es einen krassen Effekt setzt.

Am nächsten Tag sitzt Honka wieder in seiner Stammkneipe, dem "Goldenen Handschuh" und besäuft sich. Es ist das Jahr 1974. Jonas Dassler spielt ihn, die Maskenbildnerin hat ihn jedoch so verunstaltet, dass er vor schielender, buckeliger und sabbernder Widerlichkeit nur so strotzt. Quasimodo war nichts dagegen. Nicht mal die Huren lassen sich von dem Typen einen Kurzen spendieren: "Der ist so hässlich, den würde ich nicht mal anpissen, wenn der brennt", höhnt eine. Im "Handschuh" versammelt sich Abend für Abend der Hamburger Abschaum: Soldaten-Norbert, Doornkaat-Max und Tampon-Jürgen. Anus serviert. Die Vorhänge sind zugezogen, damit die Leute die Sonne nicht sehen: "Sie trinken nichts, wenn die Sonne scheint." Die Huren wissen sich zu wehren, nicht jedoch die alten, verfetteten Säuferinnen, die so derangiert sind, dass sie für ein paar Schnäpse und eine Bleibe ihre eigene Tochter verkaufen. Die traurige Gerda zieht sogar bei Honka ein. Weil sie putzt und eine junge Tochter hat, lässt Honka sie erst einmal am Leben, später flüchtet sie sich zur Heilsarmee, deren Offizierin als einzige Person im Handschuh Freundlichkeit verbreitet, und ein bisschen Zuversicht: "Man kann auch bei Gegenwind vorwärtskommen." Der Rest ist Verkommenheit, totale Kaputtheit. Alles keift und stinkt vor Hässlichkeit, man spürt es bis in die Sitze des Kinosaals.



Noch übler ist es in Honkas Mansarde. An das verdreckte Klo hat sich nicht mal Gerda gewagt. "Kann mir mal jemand auf den Kopf scheißen, ich brauch frische Luft", tönt Honkas leutseliger Bruder Siggi, als er zu Besuch kommt. "Das sind die Griechen unter mir, die kochen den ganzen Tag. Hammel und Knoblauch." Von manchen Menschen erfährt man was: Einer war SS-Mann, die andere als Zwangsprostituierte im Konzentrationslager, eine andere erzählt von Missbrauch in der Klosterschule. Honka hatte zehn Geschwister, Zementkrätze und schon immer einen Schaden. Sein Vater saß auch im KZ. Der Film macht keine große Sache draus. Aber man speichert das ab.

Wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt ziehen zwei Gymnasiasten durch den Film, die engelgleiche Petra und Willi, das "Bonzenkind" aus Blankenese. Sie wollen auch mal auf den Kiez, der Handschuh ist legendär. Dort eine Afri-Cola zu trinken ist das Größte. Schön verrucht. Die Begegnung mit Soldaten-Norbert auf der Toilette übersteht Willi allerdings nicht unbeschadet.

Weiß der Henker, warum Fatih Akin, seit "Gegen die Wand" der Darling der Berlinale, seinen Ehrgeiz daran gesetzt hat, Heinz Strunks "Goldenen Handschuh" zu verfilmen. Der Roman hatte seine Fans. Wahrscheinlich ist das so ein Hamburg-Ding, die Faszination für die traurig-schaurigen Gestalten. Aber er hat für seinen Film einen passend inkommensurables Genre gewählt. In der Pressekonferenz wurde Akin gefragt, ob Deutschland nicht mehr Serienmörder bräuchte. Die USA hätten doch so tolle, das seien Popstars! Damit wollte Akin nichts zu tun haben. Sein Film macht aus Fritz Honka kein Kiez-Maskottchen. Im Gegenteil. Er nimmt St. Pauli den Glamour, und gibt ihm das Entsetzen über seine kaputten Seelen zurück.

Thekla Dannenberg

Der Goldene Handschuh. Regie: Fatih Akin. Mit Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong, Hark Bohm. Deutschland / Frankreich 2019, 110 Minuten (Alle Vorführtermine)