Außer Atem: Das Berlinale Blog

Alle Ideologien sind falsch - der zweite Berlinale-Tag im Pressespiegel

Von Thomas Groh
17.02.2018. Der ulkige Meta-Western "Damsel" der Zellner-Brüder fällt bei der Kritik durch. Christian Petzold, dessen "Transit" heute Premiere feiert, erklärt die Flucht zum Normalzustand - der zweite Tag der Berlinale im Überblick.

Macht sich zum Obst: Robert Pattinson in "Damsel" (Bild: Strophic Productions)

Mit "Damsel" ulken sich die Brüder David und Nathan Zellner im Berlinale-Wettbewerb durch die Westernklischees: Eine Horde Idioten macht einer Frau, die weder gerettet noch umworben werden will, das Leben zur ständigen Hölle. Ein bisschen zu viel des Guten, findet Barbara Schweizerhof in der taz: Der Film  "widerspricht der simplen Handlungsplausibilität um ein Quäntchen zu viel; die krampfhafte Bemühung um Originalität wird so sichtbar. Mit Subversion des Western-Genres hat das herzlich wenig zu tun." Auch Andreas Busche vom Tagesspiegel winkt ab: Zum Western hätten die beiden Regie-Brüder wenig zu sagen. "Das leicht infantile Fantum der Zellners, das sich mit der Rekonstruktion der eigenen Obsessionen begnügt, steht einem echten Interesse an dem Stoff permanent im Weg." Cornelia Geißler konstatiert dem Film in der Berliner Zeitung zwar "viele ulkige Momente, in denen sich die Männer zum Obst machen. Doch ärgerlicherweise kann sich der Film nicht entscheiden zwischen Klamotte, Parodie und einem engagierten Diskussionsbeitrag." Auch für Welt-Kritikerin Barbara Möller "ist spätestens nach einer Stunde die Luft raus." Immerhin interessant findet Beatrice Behn von Kinozeit, wie der Film mit der "Idee von westernhafter Maskulinität" umgeht, "die er erst aufstellt, um sie komplett zu demontieren. Eine Art Meta-Western also."


Flucht als Normalzustand: Paula Beer und Franz Rogowski in "Transit" (Bild: Schramm Film/Marco Krüger)

Christiane Peitz spricht im Tagesspiegel mit Christian Petzold, dessen neuer Film "Transit", eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Anna Seghers, heute im Wettbewerb seine Weltpremiere feiert. "Die Flucht ist der Normalzustand", sagt der Regisseur. "Davon handelt 'Transit'. Das Buch macht klar: Alle Ideologien sind falsch, die sagen, es gibt eine feste Identität, einen festen Ort. Unsere kleine Stadt, die es zu verteidigen gilt, das führt immer zu Problemen. ... 'Transit' ist ein unglaublich tröstendes Buch - über den Transitraum als dem Ort, an dem die eigentlichen Geschichten und Identitäten angesiedelt sind. Ein Raum, der sonst gerade kein Erzählraum ist. Wir hören den Flüchtlingen nicht zu."



"Mit 'Las Herederas' ist zum ersten mal ein Film aus Paraguay im Wettbewerb, erklärt Thekla Dannenberg im Perlentaucher. "Regisseur Marcelo Martinessi erzählt in dunklen Tönen und leicht verhangenen Bildern die Geschichte von Selbstbefreiung unter veränderten Vorzeichen. Die Liebe zwischen diesen beiden konservativen Frauen stellt er mit allergrößter Selbstverständlichkeit dar, intim und zart sind seine Bilder von den Körpern der beiden Frauen." Außerdem besprechen Eva-Christina Meier (taz), Philipp Schwarz (critic.de) und Nadine Lange (Tagesspiegel) den Film.


Es ist kompliziert: "Tower. A Bright Day"

Tomasz Kurianowicz beleuchtet auf ZeitOnline neue polnische Filme, die sich mit dem Rechtsruck ihres Heimatlandes befassen - so etwa Jagoda Stelz in ihrem im Forum gezeigten Psychothriller "Tower. A Bright Day", den Kurianowicz mit den Filmen Michael Hanekes vergleicht: "Ein komplizierter Film, der viele überfordern, wenn nicht sogar langweilen dürfte. ... Trotzdem ist das Werk sehenswert, gerade weil es sich mit den aktuellen polnischen Gesellschaftskonflikten nicht realistisch, sondern aus magischer Distanz konfrontiert. Doppelmoral, Fremdenhass, Konsum-Perversion und überzogene Religiosität - all diese Facetten des neuen Polens werden in einer poetischen, hochartifiziellen Sprache verarbeitet, die schlussendlich wie ein mysteriöser Alptraum wirkt, aus dem man so schnell wie möglich aufwachen will."

Weitere Artikel: Sven von Reden spricht mit Serge Bozons, dessen bereits in Locarno gefeierter "Madame Hyde" (hier eine Besprechung auf critic.de) in der von Filmkritikern veranstalteten Woche der Kritik läuft. Durch deren Programm führt Esther Buss in der Jungle World. Andreas Busche hat sich für den Tagesspiegel mit Paz Lázaro getroffen, die in diesem Jahr erstmals das Panorama leitet. Kevin Hanschke empfiehlt in der Welt Filme aus der Retrospektive. Susanne Lenz schreibt über Schauspieler Franz Rogowski, den die Berlinale in diesem Jahr zum European Shooting Star gekürt hat. Forum und Panorama zeigen Filme über japanische Jugendliche, schreibt Jonas Lages im Tagesspiegel. Sarah Kugler stellt im Tagesspiegel das Kurzfilm-Programm des Festivals vor. Kai Müller berichtet im Tagesspiegel von einer Diskussion, die Regisseur Wes Anderson in der Berliner Akademie der Künste geführt hat. Sarah Kugler hat für den Tagesspiegel die Filmstudios in Babelsberg besucht, wo einige der Berlinale-Filme entstanden sind. Und sehr schmerzhaft: Verena Luekes großes FAZ-Porträt des Essayfilmers James Benning ist online leider nicht frei zugänglich.

Besprochen werden außerdem Hong Sangsoos "Grass" (Perlentaucher, taz), Ursula Meiers "Diary of my Mind" (critic.de), Corneliu Porumboius Dokumentarfilm "Infinite Football" (Perlentaucher, taz), Jumana Mannas "Wild Relatives" (Perlentaucher), Lars Kraumes "Das schweigende Klassenzimmer" (Berliner Zeitung), die Doku "Matangi Maya M.I.A." über die Sängerin M.I.A. (Tagesspiegel), Philipp Eichholtz' "Rückenwind von vorn" (Kinozeit) und Hans Weingartners "303" von Hans Weingartner (Tagesspiegel).

Mehr vom Festival: Im critic.de-Kritikerspiegel und in den Festival-SMS von Cargo.