Außer Atem: Das Berlinale Blog

Mutiger als ihr gut tut: Alain Gomis' Felicité (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
11.02.2017. Wie Felicité das Geld für eine Operation ihres Sohns aufzutreiben versucht, das sie in dieser unverschämten Höhe natürlich nicht hat, gehört zu den traurigsten Geschichten, die jemals auf der Berlinale erzählt worden sind. Alain Gomis' "Félicité" im Wettbewerb.


Felicité ist Sängerin in einer Bar in Kinshasa und lebt allein mit ihrem Sohn Samo in einem kleinen Haus. Sie ist eine barsche Frau, unabhängig und willensstark, aber auch mutiger als ihr gut tut. Immer wieder lässt sie sich übers Ohr hauen oder von Tabu bezirzen, einem etwas unzuverlässigen, aber gutmütigen Trunkenbold, der ihr eigentlich den Kühlschrank reparieren soll: "Sieh mich an und lass Dein Herz erschauern wie einen Brombeerstrauch", säuselt er. "Du bist meine Wundermischung." Oder auch : Wenn Du mich vergisst, erwürg ich Dich."

Eines Tages wird sie ins Krankenhaus gerufen, Samo hatte einen Unfall mit dem Motorrad, sein Körper ist schwer verbrannt, sein linkes Bein schwer gebrochen. Im Krankenhaus muss man für die Operation vorher bezahlen, sonst rühren sie dort keinen Finger. Eine Million kongolesische Franc will der Arzt haben. Dazu kommen die Medikamente. Aber Felicité will das Geld besorgen, sie hat Arbeit, sie ist Sängerin. Kein Problem, Monsieur.

Wie Felicité das Geld aufzutreiben versucht, das sie in dieser unverschämten Höhe natürlich nicht hat, gehört zu den traurigsten Geschichten, die jemals auf der Berlinale erzählt worden sind. Es ist eine ganz alltägliche Geschichte der afrikanischen Ökonomie, in der alle davon getrieben sind, irgendwie an Geld heranzukommen, wo es keine Arbeit, keine Fabriken, keine Geschäfte gibt. Dieser Kampf wird mit einer Unerbittlichkeit geführt, die einen erschauern lässt. Der französisch-senegalische Regisseur Alain Gomis zeigt ihn unverhohlen. Véro Tshanda Beya, die sehr bewegend die Felicité spielt, durchquert ohne ein Lächeln im Gesicht die halbe Stadt, um einen Vorschuss einzufordern, Verwandte um Geld zu bitten oder bei Kollegen Spenden zu erbetteln. Mit dem Mut einer Löwin wagt sie sich sogar zum Paten von Kinshasa. Sie lässt sich beleidigen, beschimpfen und aus dem Haus werfen. Die Kamera fährt mit ihr auf dem Motorrad durch die Stadt, und die Bilder von den Straßen, vom Markt und vom Krankenhaus sind wackelig und unscharf, aber auch sehr aufregend.

Doch mit der gleichen Härte, mit der Felicité Geld einfordert, verweigern es ihr die anderen. "Hast Du kein Geld, dann habe Freunde!", sagen ihr die Kollegen, die selbst mühsam ihre Kongo-Francs zusammenkratzen müssen. "Wie konntest Du so hässlich werden", sagt ihr die Tante. "Du hast mich verlassen, Du hast es so gewollt", sagt der Ex-Mann und Vater des Jungen.

Und immer wieder ist es plötzlich Nacht. Dann hat die ganze Trostlosigkeit des Tages ein Ende, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Frustration sind wie weggeblasen. "Die Nacht hat keinen Bruder, keinen Vater, keine Mutter", sagen sie: "Sie hat den Schlüssel für das Tor zum Paradies. Nur die Verrückten kennen sie nicht." Alles ist Rausch, Fest, Musik. Felicité singt, und die Wirtin feuert ihre Gäste an: "Ich mag es, wenn ihr trinkt."



Der Film braucht eine Weile, um seinen Rhythmus zu finden, und er wird ihn auch nicht bis zum Ende durchhalten. Dann werden die Kasai Allstars mit ihren scharfen Congotronics abgelöst, erst von Momenten betörender Stille und der Schönheit eines Okapis, dann immer stärker vom Kinshasa Symphony Orchestra mit einem Choral von Arvo Pärt. Ein wenig verliert sich der Film im letzten Drittel in seinen Traumsequenzen, auf der Suche nach einem hoffnungsvollen Ende. Doch bis dahin, hat er eine Geschichte erzählt über eine Sängerin, die sich Tag für Tag durch Kinshasa kämpft, um den süßen Geschmack der Nacht zu kosten.

Felicité. Regie: Alain Gomis. Mit Véro Tshanda Beya, Papi Mpaka und anderen. Frankreich/Senegal 2017. 123 Minuten (Vorführtermine)