Außer Atem: Das Berlinale Blog

Probt die große Verweigerung: Mohamed Ben Attias 'Hedi' (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
12.02.2016. Hedi, ein junger Peugot-Vertreter, lernt kurz vor der Heirat das Glück der Freiheit im postrevolutionären Tunesien kennen.


Hedi ist 25 Jahre alt, er wird bald heiraten, doch seine Mutter steckt ihm immer noch Taschengeld zu, und sorgt auch stets dafür, dass er eine Krawatte umlegt. Sie hat auch schon ein Haus für ihn uns seine Zukünftige gebaut, nicht weit entfernt von ihrem eigenen. Sein Bruder kommt aus Frankreich zurück, um mit dem Schwiegervater die Hochzeitsangelegenheiten zu regeln: "Das Schicksal der Kinder besiegeln", heißt das nach ehernem Brauch. Und auch wenn alle in helle, festliche Gewänder gekleidet sind, klingt es, als würden sie eine Grabplatte über das junge Paar hieven.

Die Schwiegermutter weiß ebenfalls genau, was sich gehört und was üblich ist, deswegen überschüttet sie Hedi mit den unehrlichsten Huldigungen. Seine Verlobte schleicht sich abends heimlich aus dem Haus, um ihn für Minuten im Auto zu treffen und verbal einige Zärtlichkeiten auszutauschen. Was sie von ihrem Leben will? "Ihn heiraten und Kinder bekommen." Andere geben sich weniger Mühe, ihre Ansprüche zu kaschieren. Sein Chef gibt ihm nicht einmal für die geplante Hochzeitsreise Urlaub, die Geschäfte gehen nicht gut. Überhaupt muss er von jetzt an wieder im Außendienst arbeiten. Er ist Vertreter für Peugeot.

Auch das postrevolutionäre Tunesien ist voller Zwänge. Die Menschen haben sich politische Freiheiten erkämpft haben, doch die schwere Wirtschaftskrise und der Terror lassen wenig von ihren Träumen und Hoffnungen. Die Familie und die Tradition haben ihren Griff auf die jungen Menschen sowieso nicht gelockert. Im Mohamed Ben Attias Film stößt Hedi unentwegt auf verriegelte Gitter, steinerne Mauern und versperrte Wege. Meist jedoch steckt er im Auto fest, rastlos und unbewegt zugleich, auf der Autobahn zwischen Kairouan und Mahdia. Auch das Gesicht von Majd Mastoura, der Hedi spielt, bleibt verschlossen.



Der Badeort Mahdia am Mittelmeer ist sein neues Einsatzgebiet, hier soll er Autos verkaufen an Betriebe, die nicht einmal wissen, wie sie mit ihrem alten Fuhrpark durch die Krise kommen sollen. In einem nahezu ausgestorbenen Strandhotel beginnt seine große Verweigerung. Hedi legt nicht nur nicht die Krawatte an, er bleibt den ganzen Tag in Shorts und T-Shirt auf dem Liegestuhl. Er lernt die Animateurin Rim kennen (Rym Ben Messaoud) und verliebt sich in sie, in ihre Echtheit, ihre Selbstbestimmtheit und Lebenserfahrung. Natürlich hat er mit ihr auch richtigen Sex, vor allem aber führt sie ihn in das echte Leben ein. Mit ihr erkundet er die Stadt, raucht Schischa-Pfeife und tanzt mit ihr auf Festen, die ihre Freunde ganz ohne religiösen Anlass feiern. In einer schönen Szene am Strand erzählt er ihr von seinem Traum, Comic-Zeichner zu werden. "Das ist kein Traum", klärt sie ihn auf, "sondern ein Plan".

Den Bildern der Einengung setzte Ben Attia immer wieder Bilder der Weite und der Offenheit entgegen, mal verlockend wie das Meer, mal beängstigend wie die Salzwüste. "Hedi" ist ein kluger und sympathischer Film, die Brüder Dardenne haben ihn erkennbar koproduziert. In einem an ihrem Vorbild geschulten kühlen Realismus erzählt er die Geschichte einer Verweigerung, die zur Selbstermächtigung wird. Es ist auch eine Geschichte über die Treue sich selbst und anderen gegenüber. Vor allem aber ist es ein Film über Freiräume, in denen sich Menschen begegnen und verlieren und in denen allein sie sich selbst finden können.

Inhebbek Hedi - Hedi. Regie Mohamed Ben Attia. Majd Mastoura, Rym Ben Messaoud, Sabah Bouzouita und anderen. Tunesien/Belgien/Frankreich 2016, 88 Minuten (Vorführtermine)