Außer Atem: Das Berlinale Blog

Der Film ohne Surplus

Von Lukas Foerster
13.02.2015. Ein zentrales Motiv, eine dominante Tonart? Dafür war die Berlinale wie immer viel zu unübersichtlich. Und doch sucht der Blick nach Ordnung. Über die Schwierigkeit, den Film als filmisches Objekt wahrzunehmen.
Wie ließen sich meine Berlinale-Navigationsversuche in einer Weise resümieren, dass sich daraus auch eine Rückschau auf das Festival insgesamt ergibt? Ich denke: nur mit sehr viel Biegen und Brechen. Zum Beispiel: Wenn ich zu Festivalbeginn in recht knapper Folge drei Filme mit weiblichen Hauptfiguren gesehen habe, die in psychische Krisen geraten (erst den braven deutschen Beitrag "Hedi Schneider steckt fest", in dem mit dem Titel schon alles gesagt ist; dann den filigranen amerikanischen "Queen of Earth", der sich von der Psychose seiner Hauptfigur auf interessante Weise infizieren lässt; schließlich als krönenden Abschluss in der Retrospektive "Leave Her to Heaven", in dem Gene Tierney noch nach ihrem eigenen Tod ihren Ehemann in Angst und Schrecken versetzt), heißt das natürlich noch lange nicht, dass die Berlinale 2015 das Festival der verrückten Frauen war. Oder was hat es, nächster Versuch, mit der Häufung lateinamerikanischer, insbesondere chilenischer Filme auf sich? Ist die Berlinale da einem neuen Trend des Weltkinos auf der Spur? Zumindest angesichts von Pablo Larrains "El Club" (Wettbewerb) und Dominga Sotomayors "Mar" (Forum) würde ich sagen: hoffentlich nicht.

Man könnte noch einige andere Spuren verfolgen, das Ergebnis wäre, glaube ich, immer dasselbe: Auch dieser Berlinalejahrgang war zu groß und zu unübersichtlich, als dass man hinterher irgendwie sinnvoll ein zentrales Thema oder auch nur eine dominante Tonart ausmachen könnte. Und wie schon im letzten Jahr würde ich sagen: Das ist auch gut so. Die Berlinale ist immer dann interessant, wenn es ihr gelingt, völlig unterschiedliche Arten von Kino (und von Denken übers Kino) miteinander in Kontakt zu bringen; und sie ist immer dann uninteressant, wenn sie, wie es insbesondere in der Panorama-Sektion allzu oft geschieht, die Masse an Filmen, aus der sie nun einmal besteht, auf das Normalmaß des "thematisch interessanten Arthauskinos" zu nivellieren. Festivals, die das Kino ordnen, katalogisieren, überschaubar machen, interessieren mich viel weniger als solche, die es in Unordnung bringen, in Aufregung versetzen.

Das mag auch an meiner Perspektive liegen: Mich interessieren an der Berlinale die Filme, aber fast genauso das Schreiben über Filme. Und auch das Schreiben über Film und Kino tendiert oft zum Katalogisieren, gerade während Festivals: Viele Filme, wenig Zeit, da nimmt man gerne vorgegebene Kategorien an, ob das nun Sektionsgrenzen sind, nationalkinematografische Klischees oder motivische Setzungen. Wenn wie auf der Berlinale wenig Ordnung vorgegeben wird, hat es der eigene, auf Ordnung ausgerichtete Blick schwerer. Das frustriert. Ich bin davon natürlich selbst nicht frei. Wenn ich während Festivals über Filme schreibe, merke ich, wie ich in diskursive Routinen gerate, die mir eigentlich zuwider sind; es liegt nahe, den Film auf das zu verkürzen, was er als Thema vor sich her trägt, oder auf den Diskurs, auf den er offensichtlich zielt, an den auch die Kuratoren offensichtlich anschließen wollen. Es fällt dann schwer, den einzelnen Film als das ästhetische Wahrnehmungsobjekt zu sehen und zu beschreiben, der er vor allen diskursiven Setzungen zumindest auch ist.

Meine beiden Lieblingsfilme des diesjährigen Festivals haben mir dieses Beschreibungsproblem eindrücklich vor Augen geführt, auf jeweils völlig unterschiedliche Art und Weise. Bei Terrence Malicks "Knight of Cups" (der Form halber, da dies ursprünglich ein Rückblickstext werden sollte: das wäre meine Wahl für den goldenen Bären) ist die Sache ziemlich offensichtlich: Kaum ein Text zu dem Film, der nicht lang und breit damit beschäftigt wäre, eine Haltung zu religiösen, philosophischen, ideologischen Grundsätzlichkeiten zu formulieren, die dem Film zwar sicher nicht völlig äußerlich sind, die den Blick auf seine einzigartige Visualität jedoch weitgehend verstellen. Das gilt nicht nur für Malick-Verächter; auch als Fan verfällt man leicht in einen defensiven Tonfall, der eher einen Schutzwall um den Film aufbaut, als dass er ihm begegnet.

Kidlat Tahimiks "Balikbayan #1 Memories of Overdevelopment Redux III" (schon der Titel ist wie der Film: ein brüchiges Monument) scheint auf den ersten Blick ein völlig anderer Fall zu sein. Zum einen ist das kein weithin sichtbarer, überall besprochener Leuchtturm im Wettbewerb, sondern ein Geheimtipp im Forum (zum Glück jetzt allerdings auch: Caligari-Preisträger). Zum anderen könnten die schrundigen Video-, Low-Def- und digitalisierten 8mm-Aufnahmen, aus denen der Film besteht, kaum weiter entfernt sein von Malicks technologisch hochgerüstetem Oberflächenzauber. Was Tahimik allerdings mit Malick gemein hat: Auch bei seinem Film fällt es schwer, überhaupt zur eigentlichen Beschreibung vorzudringen. Im Weg steht in diesem Fall nicht ein Surplus (an Vorwissen, Vorurteil, Vorausgedachtem), sondern ein Mangel: All die politischen, historischen, auch filmhistorischen Referenzen, die andere Filme (mal mehr, mal weniger) voraussetzen können, die deshalb auch das Schreiben über diese anderen Filme für gewöhnlich weitgehend voraussetzt, fehlen.

Hätte ich über den Film geschrieben, hätte ich vor einem Problem gestanden: Wie kann man über diesen im besten Sinne monströsen Film schreiben, ohne dass die zahllosen historischen, politischen etc. Referenzrahmen das filmische Objekt, das der Film vor allen Rahmungen ist, erdrücken? Ich habe es tatsächlich erst einmal bleiben gelassen, in der Hoffnung, ihm später, in einem entspannteren Zusammenhang noch einmal zu begegnen. Vielleicht war das ein Fehler. Vielleicht wäre gerade dieser Film geeignet gewesen, eine andere Art von Schreiben auf Filmfestivals zu erproben, eine Art von Schreiben, die sich den Erschütterungen stellt, die Filmfestivals mir, und im besten Fall auch dem Kino als Ganzem zufügen.