9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Kulturpolitik

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.09.2023 - Kulturpolitik

Kurz vor ihrem 20. Geburtstag hat die Limbach-Kommission überraschend ein "Restitutionsgesetz und damit eine klare Übernahme der Verantwortung als Rechtsnachfolgerin des NS-Staats" gefordert, um die Rückgabe von NS-Raubkunst zu beschleunigen, berichtet Stefan Trinks in der FAZ. Deutsche Museen haben bislang oft die Neigung, Rückgabeforderungen nur sehr schleppend zu untersuchen. Aber von einem Restitutionsgesetz wären auch private Eigentümer betroffen. Dies wäre "ein gewaltiger Schritt", meint Klaus Hillenbrand in der taz. "Zehntausende Kunstgegenstände vom Porzellanteller bis zum Ölgemälde, vom Buch bis zum silbernen Kerzenhalter, die zwischen 1933 und 1945 insbesondere Jüdinnen und Juden gestohlen wurden, dürften sich heute noch im Privatbesitz befinden. Jedermann konnte solche Gegenstände, aber auch Stühle, Betten und jedweden Hausrat ab 1941 bei öffentlichen Versteigerungen von 'Judenhaushalten' im Deutschen Reich erwerben. Die enteigneten Besitzer wurden in den Tod deportiert, der Erlös der Versteigerungen floss in die Taschen des zuständigen Oberfinanzpräsidenten und damit des Nazi-Staats."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 01.09.2023 - Kulturpolitik

Längst "überfällig" nennen die beiden Historiker Kornelia Kończal und Stephan Lehnstaedt im Tagesspiegel das in Berlin geplante "Deutsch-Polnische Haus", das Claudia Roth am Dienstag vorstellte (Unser Resümee): "Seit Willy Brandts Kniefall in Warschau 1970 ist zwar der Holocaust in Polen viel präsenter in der deutschen Erinnerung, und allmählich rückt neben dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 auch jener im polnischen Teil der Stadt 1944 ins deutsche Bewusstsein. Doch die Erinnerung an deutsche Massaker in Polen bleibt auffällig unbestimmt. Deutsche Gedenkstätten haben zwar viel für die Bildung getan. Sie setzen aber Schwerpunkte, zu denen nichtjüdische Opfer des Zweiten Weltkriegs nur in geringem Maße gehören. Ein Bewusstsein dafür, dass beinahe jede polnische Familie unter der deutschen Herrschaft gelitten hat, fordert Polen mit Recht ein, selbst wenn die Mittel und Methoden der Warschauer Regierung innenpolitisch motiviert und - zumal vor den für Mitte Oktober geplanten Parlamentswahlen - mit antideutschen Ressentiments untermalt sind."

Vielleicht hätte Joe Chialo seine Idee für die Zentralbibliothek (Unsere Resümees) besser abgesprochen, meint Elmar Schütze in der Berliner Zeitung. Denn in der SPD ist man mindestens "vergnatzt". Nicht zuletzt wegen der zu erwartenden Kosten: "Das Quartier 207 gehört dem Investmentfonds Tishman Speyer, einem Player aus dem Hochpreissegment. Dieser hat das Gebäude mit seinem charakteristischen Glastrichter im Inneren für eine nicht genannte Summe vom Versicherungskonzern Allianz übernommen. Ein paar Jahre zuvor hatte die Allianz 125 Millionen Euro dafür bezahlt. Nun ruft Tishman Speyer stolze 590 Millionen Euro auf, zu bezahlen von Berlins Steuerzahlern. Hinzu käme eine dreistellige Millionen-Summe für den Umbau zu einer Bibliothek. Das wären zusammen mindestens 700 Millionen Euro. (…) Jetzt heißt es in der SPD: Wenn Chialo das Quartier 207 wolle, müsse er - und mit ihm die CDU - sagen, was stattdessen wegfallen solle: der Ausbau des aus allen Nähten platzenden Krankenhauses des Maßregelvollzugs auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer Nervenklinik in Reinickendorf etwa?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.08.2023 - Kulturpolitik

Das Bismarckdenkmal in Hamburg, 2015. Foto: SKopp, unter cc-Lizenz

Der Wettbewerb zu einer geplanten "Intervention" bezüglich des 34 Meter hohen Hamburger Bismarck-Denkmals ist gescheitert. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda sieht im Gespräch mit Till Briegleb (SZ) für die Zukunft vor allem Kommunikationsbedarf: "In Fachkreisen herrscht vergleichsweise Einigkeit über Fragen der kolonialen Aufarbeitung. Wenn ich aber in die Stadtgesellschaft horche, scheint das Thema vielen noch recht egal zu sein. ... Wir müssen also weiter Aufklärungsarbeit leisten." Warum haben sich so wenige schwarze Künstler an dem Wettbewerb beteiligt, wo doch der Fokus auf Bismarcks Anteil am deutschen Kolonialismus lag? Brosda: "Das Problem bei einem offenen Verfahren ist, dass der Auslober nicht direkt ansprechen darf. Wir haben es über mittelbare Strukturen trotzdem versucht. Leider haben sich dennoch viele Angesprochene nicht beteiligt. In den Workshops, zu denen wir vorher Experten aus dem globalen Süden eingeladen hatten, die sich künstlerisch oder wissenschaftlich mit Bismarck befassen, konnte man zudem den Eindruck gewinnen, dass Bismarck von diesen Akteuren zum Teil weit weniger kontrovers aufgefasst wird, als es hier der Fall ist."

Gestern stellte Claudia Roth die Pläne für ein "Deutsch-Polnisches Haus" vor, berichtet Andreas Kilb in der FAZ: Statt des Denkmals für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs, über das jahrelang gestritten wurde, soll am Platz der früheren Kroll-Oper eine Begegnungs- und Bildungsstätte mit Dauer- und Wechselausstellungen entstehen, "die zugleich als Gedenkort für Kranzniederlegungen dienen kann - sozusagen das komplette Menü der Geschichtspolitik in einem einzigen Bau." Kilb ist skeptisch: "Zwischen Polen und Deutschen steht heute nicht nur die PiS-Regierung in Warschau mit ihren geschichtsrevisionistischen Entschädigungsforderungen, sondern die gesamte Gewaltgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Eckpunktepapier versucht diesen Abgrund zu überbrücken, indem es einerseits 'Prozesse der Verfeindung' wie den gewaltsamen Tod von mehr als fünf Millionen Polen im Zweiten Weltkrieg, andererseits die lange 'gemeinsame Verflechtungsgeschichte' als Ausstellungsthemen aufruft.  Aber schon die auffällige Vermeidung des Begriffs 'Vertreibung' zeigt, dass sich das Konzept auf dünnem Eis bewegt. Das 'oft grundsätzliche Un- oder Missverständnis' zwischen beiden Nationen soll aufgelöst werden, doch um gewisse Themen macht man lieber einen Bogen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.08.2023 - Kulturpolitik

Im British Museum hat der Kurator Peter Higgs mutmaßlich eine Menge Artefakte geklaut und auf ebay verhökert. Der Chef des Museums, Hartwig Fischer, ist inzwischen zurückgetreten. Die Affäre schwächt die Position des British Museum zu Restitutionen etwa von Benin-Bronzen nun ganz gewaltig, meint Alexander Menden in der SZ: "Das British Museum verteidigt die Integrität seiner Sammlung, indem es argumentiert, es sei in der Lage, die Artefakte in weltweit einzigartiger Weise zu bewahren und zu schützen. Auf der Website des Museums heißt es dazu: 'Das Ziel des Museums ist es, eine für die Weltkulturen repräsentative Sammlung zu besitzen und zu gewährleisten, dass diese Sammlung sicher untergebracht, konserviert, kuratiert, erforscht und ausgestellt wird.' Die Griechen, die jede Gelegenheit nutzen, um die Debatte über den Parthenon-Fries am Laufen zu halten, weisen darauf hin, dass diese Argumentation spätestens jetzt, angesichts der massiven Londoner Sicherheitsmängel, Makulatur sei."

Gina Thomas zitiert in der FAZ den Vorsitzenden des Museumskuratoriums John Osborne. Der "sprach am Wochenende in einem BBC-Interview von einem Gruppendenken an der Spitze des Museums, die nicht wahrhaben wollte, dass ein Mitarbeiter so etwas getan haben könnte. Sie habe lieber nichts sagen wollen, als Gefahr zu laufen, der Institution zu schaden. Das hat sich als Bumerang erwiesen. In Griechenland reibt man sich die Hände, Rufe nach Restitutionen sind noch lauter geworden, und konservative Kulturkrieger werfen dem Museum vor, auf Kosten seiner vorrangigen Aufgabe, nämlich die Sammlungen zu betreuen, seine Energie auf Wokeness verschwendet zu haben."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.08.2023 - Kulturpolitik

Es gibt noch Brachen in Berlin, dieser einst für ihre Brachen berühmten Stadt. Die größte ist das einstige Stadtzentrum südlich des Roten Rathauses, das auch aus dem kollektiven Gedächtnis der Berliner komplett verschwunden ist. Der Berliner Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler hat nun einen Rahmenplan vorgestellt, der sowohl Anhänger eine radikal modernen Bebauung als auch Befürworter der Historisierung enttäuschen muss, so Matthias Alexander in der FAZ, der Gaebler aber verteidigt: "Die erwartbaren Reaktionen, den Rahmenplan als Mittelweg im negativen Sinne abzutun, also als Versuch, es allen ein wenig recht zu machen, haben nicht lange auf sich warten lassen. Sie verkennen den entscheidenden Punkt. Der Plan ermöglicht differenzierte städtebauliche Vorgaben, die die Nutzung und Größe der Gebäude von den Straßen und Gassen und ihrer unterschiedlichen Funktion und Lärmbelastung her denken. Es wird sich um eine annähernd klassische Blockrandbebauung handeln, die mit verschiedenen Typologien von Höfen arbeitet." Hier eine Seite des Senats mit Informationen zum Molkenmarkt, die aber nicht aktuell zu sein scheint.

Ebenfalls in der FAZ fragt Andreas Kilb, was nun aus dem geplanten Museum des Exils am Anhalter Bahnhof werden soll, nachdem Christoph Stölzl, der als Gründungsdirektor vorgesehen war, gestorben ist: "Das Schweigen der Politik zu dem Projekt, das 2011 mit einem Brief der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel begann, ist inzwischen ohrenbetäubend."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.08.2023 - Kulturpolitik

Peter Higgs, ein ehemaliger Kurator des British Museum, wird beschuldigt, antike Kunstgegenstände aus dem Museum über Ebay verscherbelt zu haben. Gina Thomas resümiert die Vorwürfe in der FAZ: "Ittai Gradel, ein in Dänemark ansässiger Wissenschaftler und Kenner antiker Gemmen und Kameen, der auch damit handelt, war schon vor einigen Jahren aufgefallen, dass antike Schmuckstücke, die ihm aus alten Katalogen des Britischen Museums bekannt waren, zu Spottpreisen auf Ebay verscherbelt wurden. Der Gesamtwert der entwendeten Objekte soll sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag belaufen." Das Museum scheint bisher recht unbeholfen auf die Enthüllung des Skandals zu reagieren.
Stichwörter: British Museum, Dänemark

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.08.2023 - Kulturpolitik

Italiens Regierung hat durch einen Passus in einem Dekret dafür gesorgt, dass die aktuelle Leitung der Filmakademie "Centro sperimentale di Cinematografia" abtreten muss. Es ist nicht der erste Versuch des amtierenden Kulturministers Gennaro Sangiuliano, "die Hegemonie Linker und Liberaler im Kulturleben zu brechen", schreibt Andrea Dernbach, die im Tagesspiegel ein Muster erkennt: "Die Regierung wartet nicht aufs Vertragsende, sondern wirft auch die Führung des CSC zwei Jahre früher raus. Die Eile erschreckt bis ins konservative Lager hinein. Die neuen Mächtigen seien 'besessen von der Idee, die Geschichte umzuschreiben und alle angeblichen Ungerechtigkeiten der Vergangenheit jetzt auszugleichen', notierte Antonio Polito in einem Kommentar des Corriere della sera. 'Als wäre eine neue 'Erzählung' sogar wichtiger als die Wirtschaft. Und als könne man sich dabei allein auf die verlassen, die in vergangenen Jahren die gleiche Geschichte geteilt haben.'"
Stichwörter: Meloni, Giorgia, Italien, CSC

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.08.2023 - Kulturpolitik

Thomas E. Schmidt geht für die Zeit eher resümierend nochmal die Verwicklungen bei der Rückgabe der Benin-Bronzen aus deutschen Museen durch. Kann Dekolonisierung von Staat zu Staat noch funktionieren? Erst schloss die Bundesregierung einen Vertrag mit der Regierung von Nigeria. Und die gab die Bronzen dann gleich weiter an den Oba von Benin. Daraufhin sprach die Bundesregierung davon, dass die Rückgabe "bedingungslos" gewesen sei: "Das Abkommen mit Nigeria ist Makulatur, falls der Oba Eigentümer der Bronzen bleibt - wonach es aussieht. Er ist ja nicht Vertragspartei. Er könnte nun auf der sofortigen Aushändigung sämtlicher Objekte bestehen, auch der als Leihgaben deklarierten. In diesem Fall müsste die deutsche Politik neu entscheiden, ob sie dem Restitutionsbegehren folgt, selbst wenn sie formal auf Einhaltung ihres Vertrages pochte. Nach dem Grundsatz der Bedingungslosigkeit müsste sie liefern."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.08.2023 - Kulturpolitik

Der Schriftsteller Hans Christoph Buch setzt sich immer wieder in verschiedenen Essays mit Haiti auseinander. Im Tagesspiegel wirft er dem Haus der Kulturen der Welt, das sich unter anderem mit einem Haiti-Festival der Geschichte der Sklaverei widmet, Geschichtsverzerrung aus der "Woke-Ecke" vor - so werde etwa nicht erwähnt, dass "die Anführer des Sklavenaufstands, Toussaint Louverture, Dessalines und Christophe den Voodoo bekämpften". Und auch die politische Gegenwart werde verfälscht: "Das von Krisen gebeutelte Haiti erlebt zur Zeit das schwierigste, seit langem blutigste Kapitel seiner wechselvollen Geschichte. Der demokratisch gewählte Präsident wurde im Bett erschossen, Hintermänner und Auftraggeber des Komplotts nie dingfest gemacht. Port-au-Prince ist eine No-Go-Area, die Regierung hat die Herrschaft an Kriminelle abgetreten und kontrolliert nur 20 Prozent des Territoriums. Auf Befragen stellt sich heraus, dass die Hauptredner der Eröffnung, zwei prominente Autoren, in der Diaspora leben und Haiti aus Sicherheitsgründen nicht mehr betreten, während der Botschafter meint, das im Elend lebende Volk habe das Singen und Tanzen nicht verlernt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.08.2023 - Kulturpolitik

Während des Afrika-Gipfels in St. Petersburg konnten sich die Anwesenden an mehreren Ausstellungen Kunst aus Afrika erfreuen. Außerdem ordnete Putin gleich noch die Errichtung eines Museums für die Kultur afrikanischer Länder in Moskau an, berichtet Konstantin Akinsha in der NZZ. Eine der Ausstellungen war "Umgekehrte Safari. Zeitgenössische Kunst aus Afrika", die zu einem großen Teil mit Werken italienischer Sammler bestückt gewesen sein soll: "Auch wenn die Mehrheit der afrikanischen Staats- und Regierungschefs sich weigerte, zum Gipfel zu erscheinen, waren doch einige afrikanische Künstler glücklich, Teil der Ausstellung zu sein. Dies ungeachtet der Tatsache, dass diese ein Herzstück der russischen Propaganda darstellte. Russland sollte als maßgeblicher Motor der Entkolonialisierung aufscheinen. 'Unbefleckt von den blutigen Verbrechen des Kolonialismus' sei das Land, wie Außenminister Sergei Lawrow es ausdrückte, wobei er die russische Kolonisierung Sibiriens, des Kaukasus und Zentralasiens natürlich völlig 'vergaß'. Man kann davon ausgehen, dass die meisten in St. Petersburg ausgestellten afrikanischen Künstler den russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine keine große Beachtung schenken."