Warum hat es in Deutschland, beim "
Erinnerungsweltmeister", so wenige Bekundungen der
Empathie nach dem 7. Oktober gegeben, fragt
Meron Mendel und sucht in einem fast etwas ratlos wirkenden
Spiegel-Essay nach Erklärungen. Die Empathie mit
Frankreich sei nach den
Charlie-Hebdo-Massaker und den Bataclan-Morden so viel größer gewesen. Für Mendel liegt es daran, dass die Aussöhnung mit Israel, anders als die mit Frankreich gesellschaftlich nicht verinnerlicht wurde: "Mehr als siebzig Jahre nach dem Wiedergutmachungsabkommen ist festzustellen, dass der parteiübergreifende Konsens über die Verbundenheit mit Israel
wenig Rückhalt in der Gesellschaft hat. Die Mehrheit der Deutschen verbindet das Land nicht mit realen Menschen und Orten, vielmehr wird
Israel zum Symbolbild: Für einen Teil der Bevölkerung wurde die Unterstützung Israels zum Symbol der erfolgreichen
Vergangenheitsbewältigung und Verantwortungsübernahme für die Naziverbrechen. Für einen anderen Teil stiftet die Feindschaft gegenüber Israel ein Zugehörigkeitsgefühl zum Kollektiv des
Globalen Südens oder zur 'antikolonialen' Bewegung."
Der bekannte Soziologe
Oliver Nachtwey reagiert mit einem Tweet auf Mendels Essay:
Anders als in Deutschland artikulierte sich in
Frankreich immerhin eine breite Empathie in Solidaritätsdemos in Paris und anderen Städten. Der Bericht von Solenn de Royer in
Le Monde klingt dennoch etwas strange: "Die Franzosen ignorierten die Polemik und folgten dem Aufruf.
182.000 Menschen (nach Angaben der Polizei) demonstrierten in Stille und Ernsthaftigkeit. Auch wenn die
Soziologie der Demonstranten nicht alle Teile der Gesellschaft widerspiegelte, ist die entschlossene Mobilisierung eines Teils der Gesellschaft zu einer Zeit, in der antisemitische Vorfälle seit einem Monat explosionsartig zugenommen haben, eine gute Nachricht, die von vielen in den Demonstrationszügen als 'beruhigend' empfunden wurde." Mit "
nicht alle Teile der Gesellschaft" spricht de Royer den klaren Eindruck an, dass in der Demo viele
ältere Menschen unterwegs waren und so gut wie ausschließlich
Weiße.
Es handelte sich beim 7. Oktober nicht einfach um ein Pogrom, sondern um ein lang vorbereitetes
eliminatorisches Verbrechen, zu dessen Effekten es auch sofort gehörte, geleugnet oder "
kontextualisiert" zu werden. Für die Juden, nicht nur in Israel wiederholt sich damit ein Trauma, schreibt
Richard C. Schneider ebenfalls im
Spiegel. Zum Trauma gesellt sich die sofort einsetzende Täter-Opfer-Umkehr in Teilen des Westens: "Gewiss, ob Juden oder Muslime, der Tod eines Kindes, des Partners oder der Eltern ist für alle derselbe unendliche Schmerz. Da gibt es
nichts aufzurechnen oder abzuwägen. Das bedarf keiner Diskussion. Während die israelische Armee nun das militärische Ziel hat, die Mördertruppe
Hamas zu vernichten, war die Intention der Hamas,
jüdisches Leben an sich auszulöschen. Das stellt sie in eine Reihe mit all den anderen in der Geschichte, die Juden umbringen wollten, weil sie ihnen als das Böse schlechthin galten."
"No climate justice on occupied land." Zu den Charakteristiken des 7. Oktobers gehört, dass einige Linke sich, wie hier
Greta Thunberg, als entschlossene Israel-Feinde demaskierten und damit auch ihr eigentliches Engagement in ein neues Licht stellen:
Derartige Äußerungen haben
ihre Logik, schreibt Lennart Pfahler in der
Welt, sie zeigen, dass auch Bewegungen wie "Fridays for Future" sich heute vor allem in die postkolonialen Diskurse einreihen wollen: "Fridays for Future hat sich im eigenen Selbstbild von einer Klima- zu einer globalen '
Gerechtigkeitsbewegung' gewandelt. Aktivisten haben das Wort 'Klimaschutz' weitestgehend durch die Vokabel '
Klimagerechtigkeit' ersetzt. Dahinter steckt die Annahme, dass vor allem hoch industrialisierte westliche Länder Verantwortung für den Klimawandel tragen - und vor allem Menschen in Ländern des globalen Südens unter diesem leiden."
Über Thunberg kursieren nun auf Twitter einige Memes:
Auch der Publizist
Safer Zenocak, der in der Vergangenheit oft vor Islamismus warnte, will angesichts der jüngsten Ereignisse vor allem "kontextualisieren". In der
taz schreibt er: "Jeder von uns weiß, dass der Konflikt nicht an diesem schrecklichen 7. Oktober begonnen hat und dass es brutalisierte Kräfte auf beiden Seiten gibt, die ihn schüren.
Unsere Lebenslüge aber heißt: Israel ist das Opfer, Palästinenser sind Aggressoren, Terroristen."
Katrin Sohns, Kulturchefin des
Tagesspiegel (und früher Kuratorin, die laut Selbstbeschreibung "im globalen Süden gelebt und gearbeitet" hat) nimmt sich eine Doppelseite, um über
Kunstfreiheit zu schreiben. Im gegenwärtigen Konflikt sei es kaum möglich (linke) Diskursräume zu erhalten, in denen sich die Künstler austauschen könnten, Institutionen und Künstler sähen sich einem Positionierungsdruck ausgesetzt. "
Deutsche Medien würden einseitig berichten, heißt es. So hat sich hier in Deutschland eine Debatte, die mit dem Fall um Achille Mbembe bei der Ruhrtriennale begann und über die Documenta eskalierte, in den vergangenen Wochen weiter verschärft, die Fronten verhärten sich zunehmend. Viele ziehen sich aus der öffentlichen Debatte zurück oder wollen sich zur politischen Lage nicht mehr äußern. Andere diagnostizieren, auch
die linke Kunstwelt zerlege sich." Es gehe darum, einen "zukunftsweisenden Umgang mit dem Thema BDS zu finden". Und: "Dass sich Juden in Deutschland nun auch die Frage stellen, ob sie Opfer von Gewalttaten werden könnten, die mit der 'anhaltenden Unterdrückung der Palästinenser' legitimiert werden, dass sie sich auch
in Deutschland nicht mehr sicher fühlen -, dies sind Tatsachen, denen sich auch Kunst- und Kultureinrichtungen als Orte der Zivilgesellschaft ehrlich stellen müssen." Vielleicht sollte man ihr nochmal eine Doppelseite geben, um genauer zu erläutern, worauf sie eigentlich hinaus will.
Der Staat hat zu lange dabei zugeschaut, wie sich
Islamismus in Deutschland ausbreitet, erklärt die Sozialwissenschaftlerin
Necla Kelek im
NZZ-
Interview mit Roman Bucheli. Regeln müssen respektiert werden, sagt sie mit Blick auf Integration: "Dabei ist entscheidend die
Gleichberechtigung von Mann und Frau, ein Verbot von Kinderehe, Zwangsverheiratung oder Polygamie". "Wenn sie uns und unsere Lebensweise nicht aushalten können, müssen sie das Land verlassen. Und sie haben es sehr schwer, uns auszuhalten. Es waren junge Frauen und Mädchen, die in Israel an einem Rave in Freiheit gesungen und getanzt haben. Die Terroristen der Hamas haben sich
an dieser Art des Lebens gerächt. Sie können es nicht aushalten. Es sind Männer, die uns Frauen vorschreiben, wie wir zu leben haben. Und wenn sie das nicht aushalten, dann sollen sie da leben, wo sie herkommen."