Magazinrundschau - Archiv

The Guardian

400 Presseschau-Absätze - Seite 4 von 40

Magazinrundschau vom 11.01.2022 - Guardian

Als Isaac Newton seine Gravitationsgesetze formulierte, verließ er sich nicht nur auf seine Beobachtung, sondern auch auf seinen Verstand und seine Imagination. Künstliche Intelligenz kann aufgrund von Unmengen an Rohdaten Korrelationen erkennen und Vorhersagen machen, die ganz ohne theoretisches Fundament auskommen. Frederick Jelinek, ein Pionier der Spracherkennung, tönte einst sogar: "Jedes Mal wenn ich einen Linguisten rausschmeiße, wird die Software leistungsfähiger". Laura Spinney sieht die Erfolge der KI in der Verhaltensforschung oder der Medizin, aber auch ein Problem: "Wenn eine KI verlässlichere Vorhersagen liefert als eine Theorie, kann man zwar kaum behaupten, dass die Maschine voreingenommener ist. Ein größeres Hindernis für die neue Wissenschaft könnte aber unser menschliches Bedürfnis sein, die Welt zu erklären - in Begriffen von Ursache und Wirkung. Im Jahr 2019 schrieben die Neurowissenschaftler Bingni Brunton und Michael Beyeler von der University of Washington in Seattle, dass dieses Bedürfnis nach Interpretierbarkeit Wissenschaftler davon abgehalten haben könnte, neue Erkenntnisse über das Gehirn zu gewinnen, wie sie nur aus großen Datensätzen gewonnen werden können. Aber sie hatten auch Verständnis dafür. Wenn diese Erkenntnisse in nützliche Dinge wie Medikamente und Geräte umgesetzt werden sollen, so schreiben sie, 'ist es unerlässlich, dass Computermodelle Erkenntnisse liefern, die für Kliniker, Endanwender und die Industrie erklärbar sind und denen diese vertrauen'. 'Erklärbare KI', die sich mit der Überbrückung der Kluft bei der Interpretierbarkeit befasst, ist gerade sehr angesagt. Diese Kluft wird jedoch nur noch größer werden, und wir könnten stattdessen mit einem Kompromiss konfrontiert werden: Wie viel Vorhersagbarkeit sind wir bereit, für Interpretierbarkeit aufzugeben?"

Magazinrundschau vom 30.11.2021 - Guardian

200 Jahre nach seiner Gründung in Manchester und hundert Jahre nach der berühmten Serie "Reconstruction in Europe" startet der Guardian die Reihe "Reconstruction after Covid" mit Texten der Großdenker unserer Zeit. Die amerikanische Historikerin Jill Lepore zeichnet nach, wie sich im zwanzigsten Jahrhundert in den USA Liberale und Konservative gegenseitig die Schuld am Zerfall der Gesellschaft zuschoben, sie für tot erklärten oder von der Universität aus umwälzen wollten. Am Ende meint sie, dass weder die Neue Linke noch Ronald Reagan oder Margaret Thatcher ("There is no such thing!") so schädlich für die Gesellschaft waren wie Mark Zuckerberg mit seinem Facebook und andere Soziale Netzwerke: "Der Liberalismus hat die Gesellschaft nicht zerstört, und auch nicht der Konservatismus. Denn sie ist noch nicht tot, aber so blass und übellaunig wie jemand, der den ganzen Tag vor seinem Bildschirm hockt und den Spiegel mit einem Fenster verwechselt. Drinnen, online, gibt es keine Gesellschaft, nur eine Simulation von ihr. Aber draußen, auf Bürgersteigen und Wiesen, in Wäldern, auf Spielplätzen und Schulhöfen, in Geschäften, Kneipen und Sozialwohnungen, auf Landwirtschaftsmessen und Gewerkschaftstreffen, da summt und brummt sie noch, wenn auch nicht mit dem ohrenbetäubenden Dröhnen einer Dampfmaschine, so mit dem handgeölten, knarrenden Rattern eines altmodischen hölzernen Webstuhls."

Und der Philosoph Kwame Anthony Appiah schreibt über die Verheerungen, die Corona  für den globalen Süden bedeuten: Die Blumenindustrie in Kenia ist ebenso zusammengebrochen wie die Schokoladenernten in Ghana und der Elfenbeinküste. Aber auch gesundheitlich werden die afrikanischen Länder indirekt, aber schwer getroffen werden: "Eine tödliche Gefahr ist Covid vor allem, weil es das Management anderer Krankheiten wie HIV, Malaria und Tuberkulose einschränkt. Allein in Afrika leben 26 Millionen Menschen mit HIV, in einem ganz normalen Jahr sterben mehreren hunderttausend daran, während Malaria, die besonders für Säuglinge und Kleinkinder tödlich ist, annähernd 400.000 Leben fordert... Experten der Öffentliche Gesundheit erwarten als indirekte Folge der Pandemie, dass an Malaria doppelte so viele sterben könnten. An Tuberkulose könnten in den nächsten Jahren zusätzlich 400.000 Menschen sterben, eine halbe Million mehr an HIV. Kurz gesagt, die Reaktionen auf das Coronavirus haben in der ganzen Welt eine Schattenpandemie eingeleitet. Die wahre Todesrate des Coronavirus sollte daher nicht nur die einbeziehen, die an Covid gestorben sind, sondern auch die, deren Sterben an Malaria, TB, HIV oder Diabetes hätte verhindert werden können."

Magazinrundschau vom 27.07.2021 - Guardian

In einem langen Beitrag fragt sich Marisa McGlinchey, was die weiterhin kampfbereiten militanten republikanischen Dissidentengruppierungen in Irland eigentlich bezwecken: "Obwohl verglichen mit Sinn Fein eher klein, wird die dissidente Neue IRA nicht so schnell verschwinden. In den zwei Jahren nach McKees Tod (die Journalistin Lyra McKee wurde 2019 in Derry von einem republikanischen Schützen ermordet, d. Red.) hat der Brexit die Grenze in Irland wieder in den Fokus gerückt, und die verschiedenen Gruppen beobachten die Entwicklungen sehr genau, auch wenn sie die Grenze in jedem Fall fallen sehen wollen. An der republikanischen Basis hat sich eine Debatte entsponnen darüber, ob es in Irland heute bewaffnete Aktionen geben sollte oder nicht. Einige fragen sich, was solche sporadischen Aktionen, meist gegen die Polizei, bewirken können. Damien (Dee) Fennell, Taxifahrer aus Nord-Belfast, ist ein prominenter dissidenter Republikaner und Gründungsmitglied der Partei Saoradh, die als der politische Arm der Neuen IRA gilt (die Partei bestreitet das). Sich des Ärgers bewusst, den seine Partei nach der Ermordung von McKee auf sich zog, sagt Fennell: 'Saoradh hat damit nichts zu tun' … In einem Bekennerschreiben an die Irish News übernahm die Neue IRA die Verantwortung für die Ermordung … Sie wird oft dafür kritisiert, ohnehin keine Chance zu haben, Irland zu einen. Fennell meint: 'Was sonst hat eine Chance? Jeder nationalistischen Partei in Irland kann man diese Frage stellen' … Ein Ziel der bewaffneten Gruppen ist es, die Etablierung der Normalität in Nordirland zu sabotieren. Nach 1998 wurde Nordirland demilitarisiert, Baracken der britische Armee wurden abgebaut, Schutztruppen abgezogen. Heute fühlt es sich nicht wie ein Kriegsgebiet an. Für die dissidenten Gruppen heißt Normalisierung, die weiter bestehende Teilung Irlands aus dem Blick zu verlieren. Angriffe auf Polizeikräfte sollen demonstrieren, dass Nordirland keine normale Gesellschaft ist; niemand soll sich sicher fühlen."

Magazinrundschau vom 27.04.2021 - Guardian

Noch 2008 landete Christian Landler mit seinem Blog "Stuff White People Like", wo das schlimmste Vergehen weißer Amerikaner ihr schlechter Geschmack war, einen Riesenerfolg. 2017 erklärte Ta-Nehisi Coates Whiteness zur einer "existenziellen Gefahr für die USA und die Welt". Robert P Baird rekapituliert die lange und wechselvolle Geschichte der Whiteness, also die Vorstellung weißer Überlegenheit, von ihrer Erfindung zur Rechtfertigung der Sklaverei über ihre Entlarvung durch W.E.B. Du Bois, die Epochen der Farbenblindheit bis zu den Critical Race Theories. Am Ende hält es Baird mit den Machern der Zeitschrift Race Traitor, die ein für alle mal "die Weißen abschaffen" wollten: "Whiteness als Gruppenidentität muss bedeutungslos werden, Whiteness muss so in der Zeit versinken werden wie das Preußentum oder die etruskische Kultur. Am Ende seines Lebens beschrieb James Baldwin Whiteness als moralische Entscheidung, um zu betonen, dass es nicht nur eine natürliche Tatsache sei. Aber Whiteness ist vielleicht mehr als eine moralische Entscheidung: Es ist ein dichtes Gewebe aus moralischen Entscheidungen, von denen eine große Mehrheit bereits für uns getroffen wurde, oft ohne eigenes Zutun. So gesehen wäre Whiteness ein Problem wie der Klimawandel oder ökonomische Ungleichheit: Sie ist so gründlich in die Struktur unseres alltäglichen Lebens eingearbeitet, dass die Vorstellung einzelner moralischer Entscheidungen ein wenig entrückt erscheint."

Magazinrundschau vom 02.03.2021 - Guardian

73.000 Menschen gelten in Mexiko als vermisst, viele davon mutmaßlich entführte oder ermordete Frauen. Mexiko ist für Frauen einer der gefährlichsten Orte der Welt außerhalb von Kriegszonen. Meaghan Beatley porträtiert vor diesem Hintergrund die Journalistin Frida Guerrera, die nach allem, was man liest, fast schon als Superheldin durchgehen muss: Sie recherchiert zu den verschwundenen Frauen, hat Mörder überführt, Fälle aufgedeckt und Frauen zurückgebracht. "Guerrera macht diese Arbeit zum Teil auch, weil die Polizei regelmäßig daran scheitert. 'Sie sind unfähig', erzählt sie mir. Die Journalistin Lydiette Carrión, die mehr als sechs Jahre lang dazu recherchierte, wie der Staat von Mexiko Untersuchungen von Morden an Frauen handhabt, hat herausgefunden, dass Fälle oft wie Bälle von einem Ermittler zum nächsten gespielt werden, dass Müttern mitunter die Knochen von Opfern gezeigt werden, mit der Frage, ob sie ihre Tochter identifizieren könnten. Der Anstieg der Gewalt nach dem Beginn des Drogenkriegs vor 15 Jahren hat die mexikanische Polizei überrollt - und die meisten Gewaltverbrechen bleiben unaufgeklärt. Diese Inkompetenz der Polizei wird durch Korruption noch komplizierter: Bundesstaatliche Mittel, die eigentlich für die Ausbildung und Bezahlung fähiger lokaler Polizeikräfte gedacht sind, versickern in den Behörden. Auch spielt Frauenfeindlichkeit eine große Rolle: Viele Polizeibeamte nehmen erst einmal an, dass junge Frauen einfach mit ihren Freunden abgehauen sind, und weigern sich, vor Ablauf einer Frist von 72 Stunden einen Fall aufzunehmen - und das, obwohl ein Protokoll klar besagt, dass mit einer Suche sofort begonnen werden sollte."

Magazinrundschau vom 09.02.2021 - Guardian

Fara Dabhoiwala empfiehlt zwei Bücher, die ziemlich rigoros mit der Geschichte des British Empires ins Gericht gehen. Der Journalist und Autor Sathnam Sanghera beschreibt in "Empireland", wie der Kolonialismus bis heute die britische Gesellschaft präge, vom immensen privaten Reichtum über die Dominanz der City of London bis zu Großmäuligkeit betrunkener Briten im Ausland. Der Wirtschaftshistoriker Padraic Scanlan betont in seinem "Slave Empire" unter anderem, dass sich mit der Abschaffung der Sklaverei die Lage der Schwarzen nicht unbedingt verbesserte: "Die Abschaffung der Sklaverei beendete nicht das gigantische System aus Handel und Ausbeutung, das sie hervorgebracht hat. Im Gegenteil, es sollte sich perfektionieren. Die britische Regierung bezahlte kolossale Summen, um Sklavenbesitzer zu entschädigen - aber nichts an die verklavten Menschen selbst. Diese wurden stattdessen von dem Gesetz, das die Sklaverei abschaffte, gezwungen, weiterhin etliche Jahre auf den Plantagen zu arbeiten, als unbezahlte 'Lehrlinge'. Die Abolitionisten glaubten, dass befreite Sklaven härter arbeiteten und die Plantagen profitabler machen würden. Als der Preis für karibisches Zuckerrohr fiel, wurde ihrer Faulheit die Schuld gegeben. Als sie die Frechheit besaßen, eine bessere Bezahlung zu fordern, wurde Tausende von dunkelhäutigen Vertragsarbeiter aus China, Indien und Afrika eingeschifft, um ihren Platz einzunehmen - wie auch zu zahllosen anderen neuen Plantagen in aller Welt. Freie Arbeit und freier Handel waren mit Sklaverei nicht vereinbar, sehr wohl aber mit fortgesetzter Ausbeutung und dem globalem Verschieben schlechtbezahlter Arbeiter."

Magazinrundschau vom 19.01.2021 - Guardian

Im Guardian schreibt Gulbahar Haitiwaji über ihre Erfahrungen in einem chinesischen Umerziehungslager für Uiguren, in das man sie 2016 steckte, nachdem man sie nach zehn Jahren Exil in Frankreich unter einem Vorwand nach China zurückgelockt hatte: "Wir mussten leugnen, wer wir waren. Wir sollten auf unsere Traditionen, unsere Überzeugungen spucken, unsere Sprache, unsere eigenen Leute. Nach dem Lager sind wir nicht mehr wir selbst, sondern Schatten, unsere Seelen sind tot. Ich wurde gezwungen zu glauben, dass meine Lieben, mein Mann und meine Tochter Terroristen waren. Ich war so weit weg, so allein, so erschöpft und entfremdet, dass ich es fast geglaubt hätte. Mein Mann Kerim, meine Töchter Gulhumar und Gulnigar - ich habe Ihre 'Verbrechen' angeprangert. Ich bat die Kommunistische Partei um Vergebung für Gräueltaten, die weder sie noch ich begangen haben. Ich bedauere alles, was ich gesagt habe, was sie entehrt hat. Heute lebe ich und möchte die Wahrheit sagen. Ich weiß nicht, ob sie mir vergeben können. Wie kann ich ihnen erklären, was mir zugestoßen ist? Man hielt mich zwei Jahre in Baijiantan fest. In dieser Zeit versuchten alle um mich herum, die Polizisten, die uns verhörten, die Wachen, die Lehrer, mir die Lüge aufzutischen, ohne die China sein Umerziehungsprojekt nicht rechtfertigen könnte: dass Uiguren Terroristen sind und ich, die ich seit zehn Jahren im französischen Exil lebte, eine Terroristin. Die dauernde Propaganda nahm mir einen Teil meiner geistigen Gesundheit, Teile meiner Seele brachen entzwei. In den gewaltsamen Polizei-Verhören duckte ich mich unter den Schlägen und machte sogar falsche Geständnisse. Es gelang ihnen, mich davon zu überzeugen, dass ich umso schneller frei wäre, je früher ich meine Verbrechen zugäbe. Erschöpft gab ich schließlich nach. Ich hatte keine Wahl. Niemand kann für immer gegen sich selbst kämpfen. Egal wie sehr man gegen die Gehirnwäsche angeht, sie vollbringt ihre heimtückisches Werk. Alle Wünsche und Leidenschaften verlassen dich. Welche Möglichkeiten gibt es? Ein langsamer, schmerzhafter Tod oder Unterwerfung. Wenn es einem gelingt, die Unterwerfung nur vorzutäuschen, dann bleibt etwas Klarheit übrig, die einen daran erinnert, wer man wirklich ist. Ich glaubte kein Wort von dem, was ich ihnen sagte. Ich gab mein Bestes, eine gute Schauspielerin zu sein. Am 2. August 2019 erklärte mich ein Richter aus Karamay nach kurzem Prozess für unschuldig. Ich hörte die Worte kaum. Ich dachte daran, wie oft ich meine Unschuld beteuert und für sie gelogen hatte."
Stichwörter: Uiguren, China, Umerziehungslager

Magazinrundschau vom 20.10.2020 - Guardian

Entsetzliche Gräueltaten werden oft in einem Zustand irrationaler Emotionalität begangen, doch am abscheulichsten sind die kalt geplanten und präzise ausgeführten Schläge, weiß Frank Pasquale und blickt mit Schaudern in die Zukunft der KI-gesteuerten Waffen, Drohnen und Killerroboter: "Wir können uns alle einige besonders schreckliche Waffen vorstellen, die niemals hergestellt oder angewandt werden sollten. Eine Drohne, die einen feindlichen Soldaten langsam zu Tode erhitzen würde, würde gegen internationale Konventionen gegen Folter verstoßen; das Gleiche gilt für akustische Waffen, die das Hörvermögen oder den Gleichgewichtssinns des Gegners zerstören. Ein Land, das solche Waffen entwirft und gebraucht, sollte aus der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Abstrakt gesprochen können wir uns wahrscheinlich auch darauf einigen, die Erbauer von Killerrobotern zu ächten. Allein die Vorstellung, dass eine Maschine zum Töten losgelassen wird, ist gruselig. Und doch bewegen sich einige der größten Armeen der Welt auf eine Entwicklung dieser Waffen zu, indem sie der Logik der Abschreckung folgen: Sie fürchten, von der KI des Gegners zermalmt zu werden, wenn sie nicht eine ebenso mächtige Kraft entwickeln. Der Weg weg von einem solchen Wettrennen führt nicht so sehr über weltweite Verträge, sondern in einem Nachdenken darüber, wofür Kampf-KI benutzt werden könnte. Der Krieg kehrt immer nach Hause zurück, und die Anwendung militärischer Technologie innerhalb des eigenen Landes, wie es in den USA und China der Fall ist, sollte eine Warnung für die Bevölkerung sein: Welche Technologie von Überwachung und Zerstörung Sie auch immer Ihrer Regierung erlauben nach außen hin anzuwenden, kann früher oder später auch gegen Sie selbst benutzt werden."

Magazinrundschau vom 22.09.2020 - Guardian

Die Lachszucht ist ein unappetitliches Geschäft. Auf Hunderten von Farmen werden Lachse im nördlichen Alantik oder Pazifik aufgebracht, in jedem einzelnen Gehege leben bis zu 250.000 Fische. Sie verdrecken die Meere, brauchen genauso viel Futter wie sie selbst wiegen, und wenn sie ausbrechen, gefährden sie die Wildbestände. Mark Kurlansky sieht dennoch wenig Chancen, dass sich die Zustände zum Besseren ändern werden: "Die Lachszucht wird sehr wahrscheinlich weitermachen - genug Leute wollen die Jobs, die Profite oder den Fisch -, aber ihr stehen auch viele Schlachten bevor: Im November 2015 entschied die amerikanische Food and Drug Administration (FDA), zur Freude der einen und zum Schrecken der anderen, genetisch veränderten Lachs für den menschlichen Konsum freizugeben. Obendrein entschied die FDA. dass dieser Lachs nicht gekennzeichnet werden muss, was die hochumstrittene amerikanische Praxis für genetisch veränderte Pflanzen ist. Dennoch führt der Lachs in eine gruselige neue Welt. Er ist das erste gentechnisch mainipulierte Lebewesen, das in Geschäfte darf. AquaBounty Technologies, lange eine kleine Firma in Massachusetts, kämpfte zwanzig Jahre lang für diese Zulassung. Wenn sich dieser Frankenfisch, wie er manchmal genannt wird, mit den Wildbeständen mixt, wird es desaströse Folgen haben, schlimmer noch als bei anderem gezüchteten Lachs. Die juristischen Anfechtungen haben natürlich sofort eingesetzt. Der genetisch veränderte Lachs ist Zuchtlachs, der in in der Hälfte der Zeit zu Marktgröße wächst, die ein natürlich gezüchteter Lachs braucht. Der Plan ist, diese Lachse in Tanks an Land aufzuziehen, um sie von den Wildbeständen fernzuhalten. Wenn diese Lachszucht Erfolg hat, dürfte anderen Farmen die Konkurrenz schwer fallen."

Magazinrundschau vom 08.09.2020 - Guardian

"Operation Condor" klingt wie ein Film, war aber tatsächlich das Netzwerk, zu dem sich die Militärdiktaturen Lateinamerikas in den siebziger und achtziger Jahren zusammengeschlossen hatten, um ihre Folterknechte und Todesschwadronen auch über die Landesgrenzen schicken zu können. Giles Tremlett verfolgt die Spuren dieser Operation, über die in den vergangenen Jahre immer mehr Informationen ans Licht kamen. Zum Teil weil immer mehr italienische Gerichte alte Fälle aufgreifen, zum Teil weil Barack Obama Geheimdienstdokumente freigegeben hat. Hunderte Menschen wurden allein im Rahmen der Operation Condor verschleppt, gefoltert und ermordet: "Obwohl die Agenten der Operation Condor ihre Opfer in allen beteiligten Staaten jagten, konzentrierten sie sich vornehmlich auf Argentinien, das den Exilanten der Diktaturen als Zuflucht diente, bis es selbst unter Militärherrschaft fiel. Die von Uruguay oder Chile nach Argentinien entsandten Condor-Schwadronen nutzen eine Reihe von provisorischen Gefängnissen und Folterzentren, die ihnen ihre Gastgeber zur Verfügung stellten ... Condor-Opfer wurden etwa in den Club Atlético gebracht, der Codename für den Keller eines Polizeidepots in Buenos Aires. Hier wurde im Juli 1977 auch die 18-jährige Laura Elgueta mit verbundenen Augen gebracht, zusammen mit ihrer Schwägerin Sonia, nachdem bewaffnete Chilenen und Argentinier sie aus ihren Wohnungen entführt hatten. Zu jener Zeit suchte Elguetas chilenische Familie - die im argentinischen Exil lebte, ihren Bruder Kiko, einen Aktivisten, der ein Jahr zuvor in Buenos Aires verschwunden war. 'Wir wussten, dass er verschleppt worden war, aber das war alles', sagt Elgueta. Im Auto wurde sie sexuell, physisch und verbal malträtiert. Im Club Atlético ging es weiter - dort wurden die Frauen entkleidet und in Handschellen gelegt, ihnen wurden Kapuzen übergezogen und die Nummer K52 und K53 gegeben. 'Wer vorbeikam, beleidigte uns, schlug zu oder warf uns auf den Boden', erinnert sich Elgueta. Sie konnten hören, wie andere Gefangene in Ketten vorbeiliefen. Die chilenischen Folterer machten keine Anstalten, ihre Nationalität zu verbergen, ihre Vernehmungen konzentrierten sich auch ganz auf die chilenische Exilgemeinde in Argentinien. Immer wieder wurden die Frauen in den Folterraum gebracht. Wieder Schläge, Vergewaltigung, Elektroschocks. 'Sie sagten so was wie: Jetzt kann die Party richtig losgehen.' Auch wenn man es weiß und immer wieder liest, kann man sich nicht vorstellen, wozu Menschen fähig sind. Es war ein Haus des Schreckens', sagt Elgueta. 'Als meine Schwägerin aus einem Verhör kam, hatten sie ihr so starke Elektroschocks gegeben, dass sie noch immer zitterte.'"