Efeu - Die Kulturrundschau

Zart verzittert

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29.11.2023. Das Solidaritätskonzert gegen Antisemitismus im Berliner Ensemble bewegt die Feuilletons. Die Waffen der Kunst mögen wundersam weltfremd wirken, meint etwa die NZZ, hier aber zeigen sie Wirkung. Die FAZ fühlt sich in einer Ausstellung über Fehler in Computerspielen an Dantes Höllevisionen erinnert. Auch im Tel Aviv Museum of Art ist man geschockt über das laute Schweigen der Kunstwelt, weiß die SZ. In der Ukraine wiederum wird laut NZZ im Zuge der russischen Angriffe über eine Neudefinition der Rolle von Museen nachgedacht. Wie es ist, wenn der Krieg in die Stadt kommt, zeigt der taz Sepideh Farsis Animationsfilm "Die Sirene".
9punkt - Die Debattenrundschau vom 29.11.2023 finden Sie hier

Film

Sepideh Farsis "Die Sirene" (Bac Films)

Sepideh Farsis Animationsfilm "Die Sirene" erzählt von der Zeit unmittelbar nach dem Iran-Irak-Krieg. Tazlerin Barbara Schweizerhof verortet den Film in einer jüngeren Tradition von Zeichentrickfilmen, die sich an ein erwachsenes Arthouse-Publikum richten: "Animation als Medium des Erinnerns, des Nacherlebens und Bezeugens: All das spielt auch bei Sepideh Farsi in 'Die Sirene' eine Rolle. Hinzu kommt eine weitere Facette, die es auch in 'Persepolis' und 'Waltz with Bashir' schon gab: ein Moment der Nostalgie nach den Orten der Kindheit und Jugend, die durch Krieg oder Revolution unwiederbringlich verloren gingen. ... In impressionistisch-kleinen, aber gleichzeitig einprägsam-emotionalen Details schildert der Film, wie es ist, wenn der Krieg in die Stadt kommt: Auf dem Fahrrad kurvt Omid durch einen zum Stillstand gekommenen Autoverkehr, überall stehen Menschen und weisen zum Himmel oder zur brennenden Raffinerie, als könnten sie es noch nicht fassen, während anderswo noch Geschäfte geöffnet und aufgeräumt werden. Vor der Moschee aber fährt bereits der erste Lkw mit bewaffneten jungen Männern los." Dlf Kultur hat mir der Regisseurin gesprochen.

Joachim Huber ärgert sich im Tagesspiegel über die Nehmerqualitäten der hiesigen Filmproduzenten, die sich sehr auf Subventionen aus Steuermitteln verlassen, um Serien zu produzieren, die im Anschluss nicht immer auf Anhieb ihr Publikum finden. "Deutschland ist ein Gemeinwesen, das von allen nimmt, um allen geben zu können. Die Gewohnheit ist akzeptiert, jede Diskussion, ob die Serie als Wirtschafts- oder als Kulturgut zu fördern ist, hat sich damit erledigt. Gefördert wird, was gefordert wird: Serielles made in Germany, egal ob Bockwurst oder Fiktion. ... Sender wollen Quote und Werbegeld, Streamer wollen Abos. Von beidem verstehen sie eine Menge, vom Quotenfang und vom Geldverdienen. Warum nur fällt es ihnen so schwer, diese Kompetenz zu nutzen? Mal nicht nach tausendundeiner Subvention zu schreien, sondern derart zu produzieren, dass Staatsgeld nur noch ein feines Surplus ist. Fällt natürlich schwer, wenn man sich an die süße Droge gewöhnt hat."

Im Welt-Gespräch mit Christian Meier hält Christoph Schneider, Chef der deutschen Sparte von Amazon Prime Video, Clauda Roths Plan, Streamingdienste künftig mit einer am Vorjahresnettoumsatz gemessenen Beteiligung zur Investition in Deutschland zu verpflichten, für einen "politischen Irrweg", der dem deutschem Filmstandort nicht nützen werde. "Eine Investitionsverpflichtung wird im Gegensatz zu einer Anreizregulierung über Steuervorteile keinen einzigen weiteren Euro nach Deutschland bringen. Ich kann als Produzent auch mit einer Investitionsverpflichtung überall in Europa arbeiten und einen deutschsprachigen Titel produzieren. Zum Beispiel in Ländern, die attraktive Produktionsanreizsysteme bieten, wie etwa Österreich das vorbildhaft macht. Schon nach einem knappen Jahr zeigt sich dort der massive Erfolg mit einer Verdreifachung des Produktionsvolumens."

Außerdem: Reinhard Kleber wirft für den Filmdienst einen Blick auf die Lage der Filmfestivals nach der Coronapandemie. Lukas Foerster und Tilman Schumacher resümieren für critic.de das Nürnberger Actionfilmfestival "Karacho". Besprochen werden Noam Pinchas', Yossi Blochs und Duki Drors heute Abend auf Arte gezeigte Reportage "Hamas-Angriff aufs Festival - Die Überlebenden des Wüsten-Raves" (TA, FAZ), Ken Loachs "The Old Oak" (Jungle World, mehr dazu hier), Takashi Yamazakis japanischer Monsterfilm "Godzilla Minus One" (Filmdienst, FAZ), der neue Disney-Animationsfilm "Wish" (Standard) und die Wiederaufführung von Erich Langjahrs Dokumentarfilm "Hirtenreise ins dritte Jahrtausend" (NZZ).
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Literatur

Die Stadt Bochum zieht den Peter-Weiss-Preis für die Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo nach den BDS-Vorwürfen, die die Ruhrbarone publik machten, vorerst zurück (Unser Resümee), melden die Ruhrbarone und zitieren aus der Stellungnahme: "Wir haben heute aus einer Meldung des Blogs Ruhrbarone erfahren, dass die für die Verleihung des Peter-Weiss-Preises der Stadt Bochum von der Jury vorgesehene Künstlerin Sharon Dodua Otoo eine Erklärung der Artists for Palestine UK unterzeichnet hat. Sie hat sich darin öffentlich verpflichtet, 'weder berufliche Einladungen nach Israel noch finanzielle Unterstützung von Institutionen anzunehmen, die mit der israelischen Regierung verbunden sind, bis Israel das Völkerrecht und die universellen Grundsätze der Menschenrechte einhält.'"

"Die Stadt wolle 'niemanden vorverurteilen', sieht aber eine Notwendigkeit zu vorsorglichem sofortigen Handeln", sekundiert Patrick Bahners in der FAZ. "Eingehend haben sich die vier Ratsmitglieder aus der Jury, die den Fraktionen von Grünen, SPD und CDU angehören, in einer gemeinsamen, von der Grünen Barbara Jessel aufgesetzten Erklärung geäußert. Die Stadtpolitiker nehmen eine eindeutige Bewertung einer von den Ruhrbaronen zitierten Verlautbarung von 'Artists for Palestine UK' vor, in der die Befreiung Palästinas mit 'allen Mitteln' gefordert werde. 'Wer dies tut, stellt sich hinter die Massaker der Hamas des 7. Oktober 2023.' Ob Sharon Dodua Otoo auch die jüngsten Stellungnahmen auf den Internetseiten der britischen Gruppe billigt, ist unbekannt."

Außerdem: Gerhard Gnauck (FAZ) und Marta Kijowska (NZZ) schreiben zum Tod des polnischen Schriftstellers Pawel Huelle. Besprochen werden unter anderem eine Schmuckausgabe von Guy de Maupassants Horror-Erzählung "Der Horla" (Tsp) und Orhan Pamuks "Erinnerung an ferne Berge" (SZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
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Kunst

!Mediengruppe Bitnik und Sven König, Download Finished. The Art of Filesharing, 2006, Copyleft: !Mediengruppe Bitnik & Sven König


Großartig, jubelt Clemens J. Setz auf ZeitOnline, dass die Münchner Pinakothek der Moderne sich mit der Ausstellung "Glitch. Die Kunst der Störung" der Welt der Computerspielefehler widmet. Also Momenten, in denen der Code nicht so funktioniert wie er soll, und plötzlich zum Beispiel Mammuts grundlos vom digitalen Himmel fallen. Solche Zufallsschönheiten verschwinden meist spurlos, sobald der Fehler behoben ist, ärgert sich Setz. Umso schöner, dass in der Pinakothek nun erste Versuche einer künstlerischen Archivierung unternommen werden. "Einer der atemberaubendsten Glitches, dessen simple Beschreibung sich bereits wie eine literarische Parabel liest, fand sich ebenfalls in einer älteren Version von Skyrim. Dort konnte es, wie einige Spieler glücklicherweise auf Video festgehalten haben, mitunter geschehen, dass sich der Spieler plötzlich, ohne dass er erklären konnte, weshalb, in einem kleinen kreuzförmigen Raum wiederfand, aus dem es kein Entkommen gab. Dieser Raum ist eine sehr genaue Darstellung der Hölle. Der Spieler kann den Raum nicht mehr verlassen, er kommt immer wieder zurück, wenn er einen der vier Ausgänge des Raumes benutzt. Nichts existiert mehr außerhalb des Raumes. Und das Schlimmste: Der kreuzförmige Raum ist voll mit all jenen Figuren, die der Spieler selbst während des bisherigen Gameplays umgebracht hat. Einige der Figuren bewegen sich sogar noch und reden vor sich hin, wiederholen, in klassisch jenseitiger Manier, einen einzigen oder eine Handvoll Sätze. So machen es auch die Verdammten in Dantes Hölle."

Seit dem 7.10. und dem Terrorangriff der Hamas ist das Tel Aviv Museum of Art praktisch geschlossen, weiß Johanna Adorján in der SZ. Ein paar Besucher dürfen theoretisch mit Voranmeldung hinein, doch kaum jemand hat gerade viel Gedanken für Kunst übrig. Die Museumsdirektorin Tania Coen-Uzzielli und die Chefkuratorin Mira Lapidot machen derweil Erfahrungen, die man auch aus deutschen Debatten zu kennen meint: "Tania Coen-Uzzielli, die in Rom geboren wurde, und die gebürtige Israelin Mira Lapidot wirken nachhaltig geschockt darüber, wie die Kunstwelt auf die Massaker des 7.Oktober reagierte. Nämlich: gar nicht. Empathiebekundungen blieben aus. Die Stille war sehr laut. Bald zeigte sich, was während dieser Stille geschehen war: Die Kunstszene hatte Unterschriften für einen offenen Brief gesammelt, den Artforum am 19. Oktober veröffentlichte. 'Wir fühlen uns von der Kunstszene total im Stich gelassen', sagt Tania Coen-Uzzielli: 'Ich meine, das ist unser Milieu. Man kennt sich.'"

Das Kunstmuseum Odessa wiederum wurde am 6.11. dieses Jahres von einer russischen Rakete getroffen. Kateryn Botanova erzählt in der NZZ, wie sich die Bevölkerung der Stadt sofort um den Wiederaufbau bemühte. Auch das Museum selbst wurde aktiv: "Noch am Morgen des Raketeneinschlags in Odessa dokumentierten Museumsmitarbeiter und Unterstützer den Tatort, überprüften und sicherten die Kunstwerke in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz. In den nachfolgenden Tagen reinigten sie bereits gemeinsam mit Gemeindebeamten das Museum und die umliegenden Strassen von Schutt. Als Reaktion auf die Lawine von Solidaritätsbekundungen bot das Museum Artikel aus seinem Shop online an, und innerhalb weniger Tage waren sie ausverkauft." Tatsächlich wird in der Ukraine gerade die Rolle von Museen neu bestimmt: "Auf der letzten Versammlung des Internationalen Museumsrats (Icom) bestand die ukrainische Delegation darauf, die Definition des Museums zu ändern. Neu soll dessen Rolle nicht allein darin bestehen, Kunstwerke zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen und auszustellen, sondern auch darin, Gemeinschaft zu stiften. Was sich insbesondere dann aufdrängt, wenn Sammlungen wegen des Kriegs ausgelagert und nicht verfügbar sind."

Die taz bringt unter der Überschrift "Osteuropa: Krieg und Kunst" eine Beilage zum titelgebenden Themenkomplex, das auf eine Initiative der taz Panter Stiftung zurückgeht. Im Editorial schreibt Tigran Petrosyan: "Was wird in der Zukunft einmal stellvertretend für unsere heutige Zeit, für die Rezeption des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stehen? Welches Kunstwerk, welche Illustration, welches Bild und welche Skulptur auch immer diese Symbolkraft entwickeln wird - Journalist:innen werden darüber schreiben, kontroverse Diskussionen abbilden und den jeweiligen Kontext schaffen. Wir, als Journalist:innen, als Künstler:innen, als Zivilgesellschaft müssen weiter genau hinsehen und hinhören. Wir dürfen, auch wenn es manchmal sehr schwer fällt, nicht kriegs- und krisenmüde werden." Außerdem in der Beilage: ein Gespräch mit Marija Petrovic, Kuratorin der Ausstellung "All the Dots Connected Form an Open Space Within" im Berliner Kunstverein KVOST sowie Texte über den belarussischen Künstler Sergey Shabohin, die georgische Künstlerin Tamuna Chabashvili, das Internationale Kulturforum in St. Petersburg ("In Russland ist die Kunst wieder Cheferzieher für die Massen"), kulturpolitische Auseinandersetzungen in Kasachstan und ein kurzes Interview mit der ukrainischen Illustratorin Olga Yakubouskaya

Weitere Artikel: Der Streit zwischen Großbritannien und Griechenland um eine Rückgabe des Parthenon-Frieses setzt sich fort. Sebastian Borger berichtet in der FR. Stefan Trinks besucht für die FAZ das Hortensia Herrero Art Center in Valencia, ein neueröffnetes Museum, das in einem umgebauten Renaissancepalast in Valencia eröffnet wurde. Ein wichtiges Warhol-Gemälde aus der Sammlung Marx wurde verkauft und wandert vom Berliner Hamburger Bahnhof in die USA, berichtet Bernhard Schulz in Monopol.

Besprochen werden: "The Splits", eine Solo-Schau der Künstlerin Josephine Pryde im Centre d'art contemporain - la synagogue de Delme, Frankreich (taz), Byrant Giles "I'm Alive" im Berliner Schlachter 151 (Tagesspiegel), Tora Aghabayovas Ausstellung "Allegory of a Stranger" in der Berliner Galerie Under the Mango Tree (taz), Klang-Video-Raumkunst von Samson Young in der Kestner Gesellschaft Hannover (taz Nord), die neue Dauerausstellung des Berner Zentrum Paul Klee (NZZ) und die Schau "Hope" im Südtiroler Museion (Welt).
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Bühne

Gerald Felber besucht für die FAZ eine Gesprächsrunde des Wiener Richard-Wagner-Verbands unter dem Titel "Regietheater - ein Irrweg?" - allerdings speziell auf Opernregie bezogen. Abgerechnet wurde da, lernen wir, mit einer Generation von Opernmachern, die postmoderne Beliebigkeit mit politischem Sendungsbewusstsein verbinden. Wie aber könnte es jenseits des Regietheaters weitergehen mit der Oper? Vielleicht, so die Sopranistin und Regisseurin Cathrin Chytil, "mit der eigenen Erfahrung einer wirklich kollektiven Inszenierungsarbeit, die dem Team kein vorgefertigtes Konzept präsentiert, sondern von Beginn an alle auf und hinter der Bühne Beteiligten einzubeziehen sucht. Sie hatte darin auch die Zustimmung von Roland Schwab, Regisseur unter anderem des letzten, von Publikum wie Kritik wohlwollend aufgenommenen Bayreuther 'Tristan', der aber auch unterstrich, dass nicht pedantische Buchstabentreue das Korrektiv überzogener inszenatorischer Profilierungssucht sein könne, sondern einzig die Gewinnung von assoziativ-emotionalem Neuland in kundig-liebevoller, sich angesagten Moden verweigernder Annäherung an die Stückautoren und ohne den Anspruch, das Publikum betreuen zu müssen: Räume öffnend und nicht verengend."

In der taz schreibt Mahinur Niyazova über Schamil Dyikanbaew, einen kirgisischen Regisseur, der Bühnenstücke nach Vorlagen des Schriftstellers Tschingis Aitmatow inszeniert. Für den Standard besucht Stefan Ender eine Aufführung eines Stücks, die die Wiener Staatsoper bereits seit 60. Jahren gibt: Puccinis "La Bohème" in der Inszenierung Franco Zeffirellis. Swantje Karich bewundert in Welt+ die Schauspielerin Edith Clever, die in der Berliner Akademie der Künste für Besucher einer ihr sowie dem belgischen Künstler Luc Tuymans gewidmeten Ausstellung aus einem Botho-Strauss-Text liest.

Besprochen werden Arrigo Boitos Oper "Mefistofele" in der Opera di Roma (nmz), Patty Kom Hamiltons "Schmerz Camp" am Theater Bremen (taz Nord) und die Wagner-Inszenierungen des "Lohengrin" und der "Meistersinger" an der Deutschen Oper Berlin (VAN).
Archiv: Bühne

Architektur

Das ehemalige Diesterweg-Gymnasium in Berlin Wedding steht seit 2019 unter Denkmalschutz. Und zwar, findet Falk Jaeger im Tagesspiegel, zurecht. Denn der 1974 bis 1976 errichtete, "von Hans-Joachim-Pysall (Pysall Jensen Stahrenberg Architekten) entworfene Bau hat perfekt funktionierende Grundrisse und ist aufgrund seiner Modulbauweise und umsetzbarer Systemwände als flexible Nutzungsstruktur gedacht. Die am Fahrzeugdesign orientierten, leuchtend orange beschichteten 'Soft-Edge-Fassaden' mit abgerundeten Kanten und Fensterecken sind Ausdruck der Pop-Art jener Zeit." Nur, warum wird das Gebäude derzeit nicht als Schule genutzt und rottet vor sich hin? Man kann sich, mit Blick auf Berlin, die Antwort fast denken: "Die nötigen 60 Millionen Euro [Erhaltungskosten] sind nicht aufzutreiben. Man träumt von einem Modellvorhaben energetische Sanierung, doch das Vorhaben steht auf keiner Perspektivliste und ist aus der Finanzplanung gestrichen worden. Das Kulturdenkmal wird noch viele Jahre Leerstand und Vandalismus ausgesetzt sein, als Unkulturdenkmal für die Schul- und Finanzmisere des Landes."
Archiv: Architektur

Musik

Die Feuilletons resümieren das von Igor Levit im Berliner Ensemble organisierte, gegen Antisemitismus gerichtete Solidaritätskonzert, zu dem auch viele musikferne Prominente auf die Bühne gekommen waren (einen Mitschnitt gibt es in der ARD-Mediathek): "Ein Marathon-Treffen von Stars der Kulturszene", schreibt Eleonore Büning in der NZZ über diesen "fantastisch vielfältigen" Abend. "Sven Regener singt, begleitet von Levit, sein Einsamkeitslied vom dummen 'weißen Papier'. Mit Wucht knallt der unvergleichliche Alexander Scheer, vom Trompeter des Tanzorchesters des Berliner Ensembles heftig angeflirtet, seine Songs von David Bowie und Gerhard Gundermann auf die Bretter. Spukhaft zart verzittert, im Lichtkegel, tönt Gustav Mahlers Lied vom toten Soldaten, der seine Liebste noch einmal des Nachts besucht: Da begleitet die neue Chefdirigentin des Berliner Konzerthausorchesters, Joana Mallwitz, ihren Ehemann, den lyrischen Operntenor Simon Bode, erstmals öffentlich am Klavier. Wie stark die Waffen der Kunst sind, auch wenn sie manchmal wundersam weltfremd wirken mag, beweisen eindrücklich Jens Harzer, Jörg Widmann und Die Toten Hosen. Campino schreit vom Träumen unter Wolken. Dann winkt er Margot Friedländer zärtlich zu, bedankt sich so höflich wie in der Tanzschule für die Einladung und geht ab."

"Am Ende klangen einem die Ohren von so viel Poesie und Appell und Prominenz, von all dem Weltwichtigen und Richtigen und tausendmal Gesagten, Gesungenen, zu Herzen Gelegten und Genommenen", schreibt Christine Lemke-Matwey auf Zeit Online und geht mit vielen Fragen nach Hause: "Hat Kunst Macht? Können Künstlerinnen und Künstler etwas 'bewirken', wollen sie es, sollen sie es, gerade in Zeiten sogenannter Dunkelheiten, außer dass sie, die Künstlerinnen und Künstler, zumeist auf hell erleuchteten Bühnen sitzen und im Warmen, und die Menschen, die ihnen zuschauen oder zuhören, die sie lesen, Raum und Zeit miteinander teilen, Räume und Zeiten, und derweil nichts anderes tun können, nichts Böses zumal? ... Wohltuend, ja tröstlich: Dass die Kunst fast durchgehend für sich sprach, ohne weitere Erklärungen." Dieser aufs Sympathischste "unperfekte Abend" war "in allererster Linie: eine Umarmung" hält Thorsten Schmitz in der SZ fest. "Am Ende, kurz vor Mitternacht, sagt der sichtlich berührte, aufgewühlte, tief dankbare Igor Levit, der seit dem schwarzen Samstag am 7. Oktober nur noch Erschütterung spürt und auch Wut auf das Schweigen in der Kulturbranche: 'Und glauben Sie mir, und wenn ich etwas im kommenden Jahr mache, dann ist es das: zehn solcher Abende im BE.' Sie hätten auch 7000 Tickets verkaufen können, so groß sei die Nachfrage gewesen." Für den Tagesspiegel resümiert Katrin Sohns den Abend.

Außerdem: Edo Reents (FAZ) und Will Winkler (SZ) gratulieren dem Bluesmusiker John Mayall zum 90. Geburtstag. Besprochen werden Philipp Abreschs NDR-Reportage "Jung, laut, Frau - Mit Metal und Hijab nach Wacken" über drei junge Frauen, die in einem Dorf in Java eine Metalband gründen und es damit bis zum größten Metalfestival der Welt schafften (FR), ein Wiener Auftritt von Hauschka (Standard) und das Album "Einfrieren" der Leipziger Band Die Quittung (taz).

Archiv: Musik