Per Leo

Tränen ohne Trauer

Nach der Erinnerungskultur
Cover: Tränen ohne Trauer
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021
ISBN 9783608982190
Gebunden, 232 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Wie können wir uns von Hitler emanzipieren, ohne den Nationalsozialismus zu vergessen? Auf unsere Erinnerungskultur sind viele Deutsche stolz. Tatsächlich aber diente sie oft nur der eigenen Entlastung. Und sie hat unser Geschichtsbewusstsein verengt. Per Leo weitet es wieder, indem er den Blick öffnet: in die USA und zur DDR, nach Israel und Polen, zurück in eine unaufgeräumte Vergangenheit, nach vorne in ein unvollkommenes Einwanderungsland. Dieses radikale Buch verbindet eine Provokation mit einem Angebot. Es irritiert unseren Läuterungsstolz, und zugleich verlockt es zu einem frischen Blick auf die eigene Geschichte. Im Umgang mit dem Nationalsozialismus haben die Deutschen manches geleistet, sie sind aber auch vielen Illusionen erlegen. Heute droht eine Vergangenheit, die umso häufiger beschworen wird, je weniger man von ihr weiß, den Blick auf die Gegenwart zu verstellen. Migration und Wiedervereinigung haben unser Land so verändert, dass wir lernen müssen, anders auf uns selbst zu blicken. Weniger provinziell, weniger zwanghaft, weniger egozentrisch. Weltoffener, vielfältiger, neugieriger. Ein Leitmotiv, das uns dabei den Weg weisen könnte, ist für Leo das deutsch-jüdische Verhältnis. Wer bereit ist, die routinierte Betroffenheit über den Holocaust hinter sich zu lassen, wird auf eine verblüffende Vielfalt stoßen. Denn "die Juden" gibt es nicht - und auch hierzulande kann man viel, viel mehr sein als bloß "kein Nazi".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.2021

Rezensent Jürgen Kaube kommt Per Leos Buch über den Stellenwert des Holocaust in Deutschland vor wie eine große Small-Talk-Sammlung. Problematisch findet er nicht nur die beliebige Einbindung von Themen und Quellen und Leos sehr persönlichen Affekten und Erlebnissen in den Text. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt das Buch für Kaube jedenfalls ganz und gar nicht. Dafür entwerfe der Autor mit großer Geste lauter Forschungsprojekte zum Nationalsozialismus und diskreditiere die Arbeit anderer Historiker zum Thema und das Wirken der Geschichtspolitik, stellt Kaube verärgert fest. Sich beliebig für ein paar Seiten in jede Debatte zum Judenmord "zu werfen", scheint Kaube schlecht zu passen zu Leos Forderung, "das Sprechen über den Holocaust (zu) mäßigen".
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 06.08.2021

Rezensent Günther Wessel erkennt die Polemik in Per Leos Buch über deutsche Erinnerungskultur. Die mit Verve vorgebrachte Kritik des Autors an der hierzulande gepflegten Erinnerung an den Holocaust (dient der Entlastung der Erinnernden mehr als der Erinnerung an die Opfer, findet Leo) hält Wessel dabei selbst für kritikwürdig. So nachvollziehbar der Wunsch des Autors nach einer neuen, zeitgemäßen Erinnerungskultur ist, so wenig überzeugend sind Leos historische Betrachtungen, findet Wessel. Mehr Struktur, weniger der Polemik geschuldete Verallgemeinerungen und Ungenauigkeiten hätten dem Buch gut getan, glaubt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.08.2021

Etwas ausufernd bespricht Rezensent Alexander Cammann Per Leos Buch, das A. Dirk Moses' hämische Kritik an der deutschen Gedenkkultur gewissermaßen ins tiefsinnig Deutsche wendet. Cammann ist nicht unkritisch mit Leos Anekdotenseligkeit, attestiert ihm aber, mit Ernst und durchaus eigenen Ideen in die Debatte einzugreifen. Das "Geschwätz von der Singularität des Holocausts" wolle er nicht mitmachen und beschreibe, wie sich deutsches Gedenken eine Opferposition erschleiche. Insgesamt ein unbedingt lesenswerter Beitrag zur Debatte, findet Cammann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 26.07.2021

Rudolf Walther liest Per Leos Kritik an deutscher Gedächtniskultur und Geschichtsaufarbeitung mit gemischten Gefühlen. Einerseits stellt er mit Genugtuung fest, dass Leo anders als Ernst Nolte keine revisionistischen Tendenzen zeigt, andererseits bleibt die vom Autor in Aussicht gestellte Kritik an deutscher Erinnerungskultur seiner Meinung nach fragmentarisch. Als Ursache dafür erkennt Walther methodologische Gründe. Indem Leo Geschichtsschreibung nach altmeisterlicher, anekdotischer Art betreibt und den Nationalsozialismus anhand der eigenen Herkunft zu verstehen versucht, mutet er dem Leser kaum aussagekräftige Pauschalisierungen zu, findet der Rezensent. Überzeugender scheinen ihm Leos Ausführungen zum Antisemitismus und seine Vorschläge für eine Opfern und Tätern gleichermaßen gerecht werdende Perspektive.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 24.07.2021

Für den Rezensenten Till Schmidt gefällt sich Per Leo allzu sehr in der Rolle des Rebellen und Polemikers, der das deutsche Verhältnis zum Holocaust, zum Islam und zum Kolonialismus ankreidet. Leider geht das Rebellentum des Autors laut Schmidt im Buch auf Kosten von Klarheit und Ordnung. Der Themen sind es einfach zu viele, findet der Rezensent, wenn Leo sich mit dem Berliner Holocaust-Mahnmal, mit Martin Walsers Rede von 1998, Marcels Beyers Roman "Flughunde" oder dem Film "Der Untergang" befasst. Das Buch wirkt auf Schmidt überladen, Leos Argumentation zu kursorisch und ungenau, genau das, was der Autor selbst in den Diskussionen um Zionismus und Holocaust kritisiert, so Schmidt.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 24.07.2021

Für den Rezensenten Thomas Schmid baut der Autor Per Leo in seinem neuem Buch einen Popanz auf, um mit Verve auf ihn einschlagen zu können. Die Verlogenheit einer um sich selbst kreiselnden deutschen Holocaust-Gedenkkultur, die Leo kritisiert, kann Schmid nicht wirklich erkennen, ebensowenig ein alle und jeden vereinnahmendes Gedenkgebot. Darüber hinaus bleibt der Autor bei seinen Vorschlägen zu einer anderen Gedenkkultur eher vage und "schmallippig", so Schmid. Die Süffigkeit und Flüssigkeit der Sprache im Buch können Schmid nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die von Leo behauptete "Antisemitismus-Diktatur" in Deutschland gar nicht gibt.