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Die Kreolisierung der Revolution: "Ouvertures" von The Living and the Dead (Forum)

Von Thekla Dannenberg
24.02.2020.


Der Aufstand der Sklaven von Haiti war der große Testfall für die Französische Revolution. Hier hätte sich ihr Universalismus bewähren müssen. Leider versagte die Republik. Sie unterwarf die Schwarzen, die sich unter der Führung von Toussaint Louverture ihre Freiheit erkämpft hatten, und Napoleon ließ mit dem Code Noir auch die Sklaverei wieder einführen. Am 7. April 1803, wenige Monate, bevor sich Haiti doch noch seine Unabhängigkeit erstreiten konnte, starb Louverture in französischer Gefangenschaft.

Zusammen mit der Theatergruppe "The Living and the Dead" begibt sich der Film "Ouverture" auf die Spuren des legendären Freiheitskämpfers. Der Film folgt dem Ensemble nach Paris, wo es Louvertures Schriften in der Nationalbibliothek liest, und ins Jura zum Fort de Joux, wo Louvertures in der Kälte seines Kerkers zugrunde ging. Die Schönheit der ewigen Schneelandschaften, barocke Klänge von Purcell und Monteverdi, die Erhabenheit revolutionärer Schriften fügen sich zu einer Komposition, deren Exquisitheit zum Glück schnell gebrochen wird von einem radikalen Schnitt ins das Haiti von Heute.

In Port-au-Prince will das Theaterensemble Edouard Glissants Stück "Monsieur Toussaint" ins Kreolische übersetzen, bisher war das große Drama des haitianischen Freiheitskampfes nur auf Französisch geschrieben. Glissant war der große Vordenker des Postkolonialismus auf den Antillen, der Theoretiker der Kreolisierung und der Mondialität. Gegen die kulturelle Einebnung durch die Globalisierung der Konzerne setzte er auf eine "Poetik der Beziehungen", auf den Austausch und die schöpferische Wechselwirkung von Kulturen.



In einem sehr schönen Bilder- und Gedankenfluss verknüpft der Film Motive von Louverture und Glissant mit Haitis kulturellem Erbe und den aktuellen Diskursen des Postkolonialismus. Unablässig arbeitet das Ensemble an der Übersetzung der Sprache, der Ideen, der Bilder: Sie rappen, streifen über die Strände und Märkte der Insel, beschwören den Geist der Republik, und diskutieren über Feminismus und die Rolle des Voodoo, über Baron Samedi, die Trance und die Spiritualität. Ist es Wissen oder Gabe? Wie findet mich die Medizin, die ich brauche? Zwei Mitglieder des Ensembles blicken auf das Meer und malen sich Utopisches aus: "Ich möchte ein Bürger der Welt sein", sagt der eine, sozial und kulturell frei von Herkunft. Nur Mensch, keine Kategorie. Das sei nicht humanistisch, sondern individualistisch, erwidert sein Kompagnon: Herkunft und Verantwortung zu leugnen, Unterschiede zu negieren, das trennt die Menschen erst recht.

Der Film ist nicht nur ein poetischer und gedankenreicher Essay zu Fragen des Austauschs und der Übersetzung. Er ist eine Übung in Kreolisierung. Wie würde die Revolution heute klingen?

Ouvertures. Regie: The Living and the Dead Ensemble. Mit Jude Joseph, Jephté Carmil, James Fleurissaint, Rossi Jacques Casimir, Dieuvela Cherestal. Vereinigtes Königreich, Frankreich 2020, 132 Minuten (Alle Vorführtermine)