Außer Atem: Das Berlinale Blog

Heilige Mütter in Laura Bispuris "Figlia Mia" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
18.02.2018.


Vor drei Jahren machte die italienische Regisseurin Laura Bispuri auf der Berlinale mit ihrem Film "Vergine Giurata" Furore, in dem die stets hinreißende Alba Rohrwacher eine albanische Schwungjungfrau spielte. Auch für "Figlia Mia" haben sich die beiden zusammengetan, um weibliche Lebenswelten zu erkunden, auch wenn das heutige Sardinien in Sachen Archaik nicht mit Albaniens Bergwelt mithalten kann (wo der Vater zur Hochzeit seiner Tochter eine Gewehrkugel mitgibt, mit der ihr Ehemann sie erschießen kann, wenn sie nicht gehorcht).

Im Sardinien von heute reiten Männer beim Rodeo Pferde zuschanden, jagen auf Motocross-Rädern durch die Berge und vögeln hinter der Kneipe die verlorenste aller Seelen: Angelica. Wir erleben das rohe Vergnügen mit den Augen der kleinen Vittoria, die zunächst noch Schutz bei ihrer Mutter sucht, aber sich zunehmend zu Angelina hingezogen fühlt, einer Trinkerin mit lockerem Lebenswandel, hoch verschuldet und ohne Plan fürs Leben. Als role model untragbar, außer für die behütete Vittoria. Deren Mutter Tina ist das genaue Gegenteil zur haltlosen Angelica: pflichtbewusst, kontrolliert, fürsorglich und zärtlich. Ein Bild von einer Mutter. Aber in ihrer Güte auch berechnend. Denn sie ist auf den ersten Blick erkennbar nicht die leibliche Mutter des Mädchens und in heller Panik, dass Angelica ihr das Kind entfremdet. Während die beiden Frauen den Streit ausfechten, wer mehr mütterliche Anrechte auf Vittoria hat, zeigt das Kind keinerlei Drang, sich von den beiden eine Entscheidung aufdrängen zu lassen.



Bispuri bemüht in diesem Kampf alle Motive zu Mutterschaft, die der Kulturkanon hergibt, vom Hohelied Salomons über die Marienverehrung bis zu Bertolt Brecht. Mit solch heiligem Ernst können nur Italiener über Mutterschaft nachdenken. Madre admirabile. Madonna impeccata. Nicht immer schrammt Bispuri am Klischee vorbei, mitunter kippt die Geschichte ins Gefühlige. 

Doch findet sie sehr moderne Bilder für ihre großen alten Fragen. Wir folgen Vittoria auf ihren Streifzügen durch die wunderschöne Landschaft Sardinien - leider mit einer sehr verwackelten Kamera und in unscharfen Bildern -, in die Schule, zu einer Nekropole, zu Fischern und natürlich immer wieder auf den Hof ihrer leiblichen Mutter. In einer großartigen Szene tanzt Angelica zu dem völlig unpassend obszönen Lied "Questo amore" mit der Kleine, die hin und weg ist von dem Flittchen-Gehabe ihrer Mutter. Ein anderes mal wird sie von ihr auf den Berg geschleppt: "Wie kannst Du Angst vor der Leere haben? Da ist doch nichts" Der Film hat etliche solcher Szene, er lebt aber vor allem von den beiden Schauspielerinnen. Alba Rohrwacher ist wie immer grandios, eigentlich viel zu schön für die Rolle, aber eine fantastische Schauspielerin. Und Sara Casu, die Vittoria spielt ist eine Offenbarung: Zart und anmutig, jede Geste ist natürlich und voller Grazie. Eine Sensation.

Figlia mia - Daughter of Mine. Regie: Laura Bispuri. Mit Alba Rohrwacher, Sara Casu und Valeria Golino. Italien / Deutschland / Schweiz 2018, 100 Minuten (vorführtermine)