Außer Atem: Das Berlinale Blog

Das Ich in Großaufnahme: Yance Fords 'Strong Island' (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
12.02.2017. Schwarzes Selbstverständnis, schwarze Queerness: Yance Fords Essayfilm kreist um den nie vor Gericht verhandelten Mord an dessen Bruder. 


Yance Fords Bruder William wurde 1992 im Alter von vierundzwanzig Jahren erschossen. Er war mit einem weißen Automechaniker in Streit geraten, der schließlich sein Gewehr zückte und den jungen Schwarzen erschoss. Der Fall kam nie vor Gericht. Eine nur mit weißen Geschworenen besetzte Grand Jury glaubte dem Mechaniker, dass er sich von dem 120 Kilo schweren Schwarzen bedroht gefühlt hatte, sie erkannte auf Notwehr und ließ den Mann gehen. Wahrscheinlich zählten schwarze Leben Anfang der neunziger Jahre nicht mehr als heute, vor allem aber kümmerten sie noch weniger.

Vierundzwanzig Jahre später rollt Yance Ford den Fall in seinem essayistischen Film wieder auf, der im Panorama läuft und dort zum Schwerpunkt "Schwarze Welten" über schwarzes Selbstverständnis und schwarze Queerness gehört. Ford erzählt die Geschichte seiner Familie, die 1965 aus dem rassistischen Süden nach New York floh, um dort eine etwas randständige, aber auch ganz typische schwarze Mittelklasse-Existenz zu führen. Er hakt bei Polizei und Staatsanwaltschaft nach, interviewt die früheren Freunde seines Bruders, und lässt die Mutter von ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung über den Tod des Sohnes erzählen. Bewegend ist ihre Verbitterung über die hartherzige Polizei, die sie wie eine Schuldige behandelte, über die Staatsanwaltschaft, die sich keinen Deut für den Tod eines jungen Schwarzen interessierte, und über ignorante Geschworene, die ihre Zeit im Gericht möglichst schnell absitzen wollten.

Sie ist eine imposante, redegewandte Frau, diese Mutter, jahrzehntelang hat sie als Lehrerin gearbeitet, erst in einer für ihre Gewalt berüchtigten Brooklyner High School, dann auf der Gefängnisinsel von Rikers Island. Die Kamera blickt von unten zu ihr herauf, so dass sie auf ihrem Küchenstuhl zu thronen scheint wie Abraham Lincoln in seinem Washingtoner Memorial. Umso mehr erschrickt man, wenn sie im Grunde die Prinzipien des großen Idealisten widerruft, der Amerika in einen erbitterten Krieg um die Gleichberechtigung geführt hatte: "Ich habe Euch immer gesagt, Ihr sollt auf den Charakter eines Menschen achten, nicht auf die Hautfarbe. Wie konnte ich so falsch liegen?"

Sich selbst befragt Yance Ford nicht. Sein Film ist nicht Selbsterkundung, sondern Selbstbehauptung: "Wenn es Euch nicht passt, dass ich Fragen stelle", sagt der Filmemacher zu Beginn des Film, "dann steht auf und geht". Verlust- und Schuldgefühle über den nicht verhinderten Tod des Bruders blitzen kurz auf, auch Scham und Verwirrung eines jungen Transgender. Doch vor allem demonstriert Ford Trauer und Wut. Wir sehen seine Verletztheit in Großaufnahme: immens, aber auch isoliert von allen anderen. Es ist ein Kino als Monolog. Kino von der einsamen Insel.

Strong Island. Regie: Yance Ford. USA/Dänemark 2017. 107 Minuten. (Vorführtermine)