Außer Atem: Das Berlinale Blog

Schön grobes Korn - Alex Ross Perrys Golden Exits (Forum)

Von Thomas Groh
12.02.2017. Unerheblich, aber angenehm nett: In Alex Ross Perrys "Golden Exits" geben sich die Stars die Türklinke hat und betrachten auf 16mm ihren Nabel. Das Brooklyner Frühlingslicht strahlt dazu in schönen Farben.


Ein triftiges Merkmal, in dem sich vorangegangene Generationen von der heute jungen unterscheiden, ist die Menge der angehäuften materiellen Güter. Wer heute 20 ist, hinterlässt im Todesfall wahrscheinlich keine Regalmeter von Fotoalben mehr, keine Archive schriftlicher Korrespondenzen, Handschriften, Tagebücher, liebgewonnene Bilder, wertvolle Kunstbücher und dergleichen mehr. So gesehen ist Nick (Beastie Boy Adam Horovitz) eine Art lebendes Fossil: In einem kleinen Büro in Brooklyn arbeitet er Nachlässe auf, katalogisiert und archiviert die Hinterlassenschaften - etwa für Museen und Kinematheken.

Hier ist er ganz bei sich, sagt er: Dicht am Material, dicht am Leben der Menschen, die von uns gegangen sind. Seine Wohnung liegt nur ein paar Meter weiter entfernt, zu Fuß erreichbar. Ein eingerichtetes, beschauliches, vielleicht etwas gemütlich gewordenes Leben in einem Nebenschauplatz der Metropole, deren Summen und Brummen in "Golden Exits" beinahe schon auffällig fehlt. Wie auch die Prominenz etwa der digitalen Medien und virtuellen Räume, die in anderen Filmen als bequeme Zeitgenossenschaftssignatur dient. Auch die Lebenslauf-Hektik der Generation Praktikum gibt es in dieser in sich ruhenden Welt nicht, auch nicht den Zwang, den Film zum politischen Kommentar zu nutzen. Fast beschaulich darf man in "Golden Exits" dabei zusehen, dass es auch noch ein Amerika jenseits der Trump-Obszönitäten und -Zuspitzungen gibt. In dem Menschen morgens im Sonnenlicht zur Arbeit gehen, mittags einen Kaffee im nahen Imbiss trinken und mit anderen Menschen plaudern. Zugegeben, dieses Amerika ist in "Golden Exits" allerdings auch ziemlich weiß. Und ziemlich in seiner Nischenhaftigkeit versunken.



Ein bisschen Trubel kommt in diese Welt, als die junge Australiern Naomi (Emily Browning) ein Praktikum bei Nick beginnt. Nicht, dass sie von sich aus etwas anrichtet. Sie ist nur ein unfreiwilliger Impuls, der im überschaubaren Lebenskosmos der Late-30- bis Late-40-Somethings dieser kleinen Nische die verschiedenen Formen der Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben zutage bringt.

Das ist klein und sanft erzählt, mit einem angenehmen Gespür für Timing und richtig gesetzte Abblenden. Mumblecore (Produktion: Joe Swanberg), der an den Schläfen langsam ergraut und sich umschaut in der Welt, die er bezogen hat. Natürlich: Ein Kino, das über den eigenen Nabel keinen Millimeter weit hinaus kommt. Aber immerhin vom grenzneurotischen Skurrilitätszwang der Filme von Miranda July noch immer sehr, sehr weit entfernt. Auffällig ist die hohe Zahl namhafter Leute im Cast: Chloe Sevigny, Jason Schwartzman, Emily Browning - mitunter sympathisch ungeschminkt -, Mary-Louise Parker, Lily Rabe - von American Horror Story -  und Adam Horovitz natürlich, bei dem man sich sofort fragt, warum er nicht häufiger im Kino zu sehen ist. Leute, die man dem Namen nach kennt, auf jeden Fall aber vom Gesicht her, in der Regel aus deutlich größeren Produktionen. Das hat auch in dieser Hinsicht ein bisschen was von Woody Allen, flüchtet sich als Film über die Dynamiken innerhalb eines engen Zirkels von Leuten nicht so sehr ins Komische, sondern sanft Melancholische.



Ein Frühlingsfilm, er spielt auch im April und Mai, wenn das Licht in Brooklyn wunderschön ist. Zumindest ist es das auf dem Super16mm-Material, dessen schönes grobes Korn auch in der digitalisierten Projektion noch seinen Charme gut ausspielen kann. Noch so ein Anachronismus, noch so ein Verweis auf die Welt der Haptik und der Dinge, die uns mehr und mehr abhanden kommt. Noch etwas anderes geht uns verloren, das Gespür für den Alltag: "Es werden nie Filme gedreht, die von ganz normalen Leuten handeln, die gar nichts machen", heißt es an einer Stelle. Ziemlich schade ist es, dass der Film seinem Publikum an dieser Stelle das eigene Programm so deutlich ins Notizbuch diktieren muss, versehen vielleicht noch mit dem Hinweis: Dieser Satz wäre doch ein super Einstieg in eine Filmkritik. Zur Strafe für diese Übereindeutigkeit steht der Satz in dieser hier nun ganz am Schluss. Fazit insgesamt: In seiner Unerheblichkeit angenehm nett.

Golden Exits, USA 2017. Regie/Buch: Alex Ross Perry. Kamera: Sean Price Williams. Mit: Emily Browning, Adam Horovitz, Jason Schwartzman, Chloë Sevigny, Mary-Louise Parker, Lily Rabe, u.a. 94 Minuten (Vorführtermine)