Außer Atem: Das Berlinale Blog

Berlinale 3. Tag

Von Ekkehard Knörer, Anja Seeliger
07.02.2004. John Boormans Südafrika-Melodram "Country of my Skull" leidet an Klischeees und wird von seinen Schauspielern gerettet. Alles gelogen in Nancy Meyers Wettbewerbsfilm "Something's gotta give", aber nicht nicht in Andres Veiels Film "Die Spielwütigen", der vier Schauspielschüler beobachtet. In Patrice Lecontes Wettbewerbsfilm "Confidences trop intimes" verwechselt Sandrine Bonnaire einen Steuerberater mit einem Psychiater.
John Boormans Südafrika-Melodram "Country of my Skull" ist zwar voller Klischees, hat aber zum Glück in Juliette Binoch und Samuel Jackson zwei dezente Hauptdarsteller.

Wenn man's recht besieht, begeht John Boormans Wettbewerbsbeitrag "Country of my Skull" so ziemlich jede Todsünde, die man in Hollywood so zu begehen pflegt, wenn man sich schwierigen politischen Themen nähert. Die Komplexität der Verhältnisse wird munter reduziert, durch Personalisierung zuerst. Genau das geschieht hier mit einer so nonchalanten Unverschämtheit, dass es fast schon wieder als Formprinzip durchgehen könnte. Ins Südafrika der Wahrheitskommissionen nämlich wird Samuel Jackson geschickt, als Schwarzer unter Weiße unter Schwarzen. Als Weiße unter Schwarzen fungiert die Afrikaanderin Juliette Binoche (sie hält sich, Akzent und alles, ganz gut) - und die offizielle Historie der Geständnisse und Begnadigungen, der Verbrechen und Verletzungen bekommt als kleine Schwester aus Hollywood das ganze in Gestalt einer Privatgeschichte beigesellt.

Anna Malan, von Haus aus Dichterin, berichtet fürs Radio über die Hearings, die Schwarze und Weiße im Rahmen eines Prozesses eigener Art konfrontiert: Die Schwarzen berichten von ihrem Leid, die Weißen gestehen ihre Untaten und werden begnadigt, wenn sie nur auf Befehl gehandelt haben. Das alles erfährt man, wenngleich es dabei kaum ohne die Nötigung abgeht, durch die Augen der Protagonisten zu blicken. Tatsächlich werden die Prozesse dadurch mehr oder minder zur bloßen Illustration im Rahmen einer aufs Exemplarische und Individuelle reduzierten Geschichtslektion. Die eigentliche Entwicklung findet stets zwischen Anna Malan und John Whitfield statt, der für die Washington Times in die USA berichtet. In einem Prozess politisierter Übertragungsverhältnisse, von dem Freud nicht geträumt haben dürfte, kommen sich die beiden näher. Und näher.

Was zur Folge hat, dass nun Anna Malan einen Wahrheitsprozess eigener Art durchzufechten hat, zuhause, mit ihrem Mann, dem sie alles gesteht. Spätestens hier erweist sich das ganze Arrangement als denn doch zu absurd. Dabei hat John Boorman mit Hilfe eines gar nicht dummen, weil bei aller privatisierenden Dreistigkeit im Detail immer wieder erfreulich dezenten Drehbuchs, seinen Film in beinahe respektabler Manier über die Zeit gerettet. Juliette Binoche und Samuel Jackson, deren Spiel so wenig manipulativ ist wie es, im Großen und Ganzen, die Mittel der Regie sind, helfen dabei nicht wenig. Erst die Auflösungen ins Harmonische sind es, die die Geschichte vom Versöhnlichen ins Versöhnlerische, von Nachdenklichkeit ins Thesenhafte umpolen.

Ekkehard Knörer

"Country of My Skull". Regie: John Boorman. Mit Juliette Binoche, Samuel L. Jackson, Brendan Gleeson u.a., Großbritannien 2003, 100 Minuten (Wettbewerb)



Klaus Nomi ist auf keinen Nenner zu bringen, keinen großen und keinen kleinen - lernen wir aus Andrew Horns Dokumentarfilm über den Künstler.

Klaus Nomi
war ein Phänomen zwischen den Ordnungen und den Szenen, den Kulturen und den Konventionen. Ja, es war gerade dieses nicht genau zu klassifizierende Zwischen, das ihn zum Phänomen machte. Klaus Sperber aus der deutschen Provinz mitten in der New Yorker Performance- und Kunstszene. Es spannt sich der Bogen vom East Village zu Thomas Gottschalk. Der Musiker zwischen Klassik und Rock, zwischen David Bowie und Maria Callas. Der Androgyne, den seine schwulen Mitmusiker nicht als Lover wollten. Der Künstler, der sich mit großer Zielsicherheit als Marke inszenierte, um zu werden, was er zu sein glaubte.

Andrew Horn versammelt in seiner Dokumentation die Widersprüche, ohne sie auflösen zu können. Klaus Nomi war ein Alien, und zwar ein außerordentlich nettes, so etwa lautet das Resümee, das keine Antwort ist auf all die Nomi-Fragen. Und das man nicht sehr gelungen finden muss, um aus diesem Film doch viel zu lernen. Über ein Leben im Widerspruch, in Widersprüchen. Darüber auch, dass es manchmal gut gehen kann, wenn einer nur entschieden genug sein Ding macht, selbst wenn keiner sagen kann, worum genau es sich handelt bei diesem Ding, am wenigsten der Künstler selbst. Ein Film daher auch über den Rahmen und das, was aus ihm fällt, über den Erfolg, die Einsamkeit, das Musik-Business, die späten siebziger Jahre in New York.

Formal ist das Ganze, von gelegentlichen prompt überflüssigen Ausflügen ins Weltall abgesehen (file under: These Alien), konventionell gemacht. Talking Heads, die sich erinnern. Hübsch die Wärmestube der deutschen Provinz mit der Stimme der Tante, der Horn ein einschlägiges Interieur dazu erfunden hat, in dem sie nun sitzt, als Fotografie. Die Tante, die für die Heimat steht, in der man den Propheten erst bei der Rückkehr erkennt. Das ist die Methode, mit der der Film jenes Zwischen herausarbeitet, in dem sich Klaus Nomi fand, ohne zu wissen wie: erfolgreich und unverstanden, weil prinzipiell unverständlich: Horn lässt sich ein auf die Milieus und kann zeigen, wie abgekapselt das eine gegen das andere ist. Da ist die New Yorker Szene nicht besser als die Tante mit Kaffee und Kuchen und das Twisted-Sister-Publikum in New Jersey, das der Vorgruppe Klaus Nomi einen Abend in der Hölle bereitet hat.

Das Leitmotiv des Films, die Zeile aus einem Nomi-Song: "Do you know me (beziehungsweise eben: Nomi) now, do you, do you know me now." Dass man nach dieser Dokumentation von ganzem Herzen "Nein" antworten kann, ist ihr gar nicht so kleines Verdienst. Übrigens: Auch die Musik ist entsetzlich und großartig zugleich. Es gibt den gemeinsamen Nenner nicht, sei er groß, sei er klein, auf den sich irgendwas an Klaus Nomi bringen ließe.

Ekkehard Knörer

"The Nomi Song". Dokumentarfilm von Andrew Horn. Deutschland 2003, 96 Minuten (Panorama).



Nancy Meyers Komödie "Something's gotta give" (Wettbewerb) und Andreas Veiels Dokumentarfilm "Die Spielwütigen" (Panorama)

Falls sich demnächst die unwahrscheinliche Frage stellen sollte, ob Sie Jack Nicholson, Diane Keaton und Keanu Reeves in Nancy Meyers "Something's gotta give" oder eine Reihe Schauspielschüler in Andreas Veiels Dokumentarfilm "Die Spielwütigen" im Kino angucken wollen: Wählen Sie den Veiel. Er hat die besseren Schauspieler.

Veiel hat sechs Jahre lang vier Schüler der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin begleitet. Es fängt an mit kleinen Vorführungen der jungen Leute. Wir sehen eine junge Frau, die eine Haarbürste ans Ohr hält und einer Person am anderen Ende der Leitung erzählt, die Tür ihrer Telefonzelle lasse sich nicht öffnen. Theaterszene, klar. Applaus von der Regieassistentin, der silberhaarige Herr Intendant sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen daneben, wartet, bis die Assistentin ihn verlegen ansieht und die Hände herunternimmt, und sagt dann mit Nachdruck: "Sehr schön." Bei der nächsten Einstellung zeigt sich, dass es die Eltern der jungen Frau sind, die im Wohnzimmer eine Probe abgehalten hat.

Andere Szene. Ein kräftiger junger Mann zielt mit einer Pistole auf ein imaginäres Gegenüber und brüllt: "Hört genau zu, ihr Wichser, ihr Arschlöcher, hier steht ein Mann, der sich nichts mehr gefallen lässt." Papa sitzt stirnrunzelnd auf dem Sofa und sieht - bestimmt gegen seinen Willen - aus, als begutachte er einen aus Polen importieren Mercedes der S-Klasse. Mama kann ihr Entsetzen über diesen irren Travis Bickle aus "Taxi Driver" überhaupt nicht verbergen.

Wir beobachten die Diskussionen mit den Eltern - "sei vernünftig, studier doch noch Publizistik und Kommunikation", "Papa, für mich ist mein Leben nicht Kommunikation, sondern Kunst!" -, die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule in Berlin, das Schulleben bis zu den ersten Schritten in den heißersehnten Beruf. Dieser Film hat alles, was Meyers "Something's gotta give" fehlt: Die vier Schauspielerschüler sind phantastisch vor der Kamera. Wahrhaftig, intensiv, voller Leben und unglaublich jung. Wenn sie von sich erzählen, sind sie viel besser als wenn sie zum Beispiel die Jungfrau von Orleans vortragen - aber Schiller hat ja auch nie versucht, an einer Schauspielschule zu landen, darum hat er keine Ahnung von Dramatik.

Dagegen nehmen sich Jack Nicholson und Diane Keaton wie Falschgeld aus. Nicholson spielt in "Something's gotta give" einen 63-jährigen, der sich nur mit Frauen unter dreißig verabredet. Warum er sich plötzlich in die fast gleichaltrige Keaton (sie ist immer noch neun Jahre jünger als Nicholson) verliebt, versteht kein Mensch. Innere Werte? Man kann Nicholson wirklich jede Sekunde des Films ins Gesicht sehen und weiß: das ist gelogen. Diane Keaton spielt ihre Rolle mit der üblichen Hysterie. Schauspieler als routinierte Lügner - so kann's enden.

Anja Seeliger

"Die Spielwütigen". Dokumentarfilm von Andres Veiel. Deutschland 2003, 108 Minuten. (Panorama)

"Something's Gotta Give - Was das Herz begehrt". Regie: Nancy Meyers. Mit Jack Nicholson, Diane Keaton, Keanu Reeves, Frances McDormand, USA 2003, 128 Minuten (Wettbewerb)




Haben keine Affäre: Sandrine Bonnaire und Fabrice Luchino in Patrice Lecontes Wettbewerbsfilm "Confidences trop intimes".

Von allen Arten, keine Affäre zu haben - und beinahe doch - haben sich M. Faber und die Frau, die einmal bei ihm klingelt - und ihn gar nicht meint - eine der aparteren ausgesucht. Was sie nämlich will und zunächst auch gefunden zu haben glaubt, ist ein Psychoanalytiker. Was sie freilich gefunden hat, ohne es zu wissen, ist ein Steuerberater, der freundliche M. Faber. Ihm nun erzählt sie von ihrer häuslichen Malaise, dem Mann, den sie - aus Versehen - fast totgefahren hat, dem Mann, der keinen mehr hochkriegt, dem Mann, der sie aufgefordert hat, es doch mit einem anderen zu treiben. M. Faber kann sich nicht ermannen, die Wahrheit zu gestehen und so nehmen, erst unter dem Schutz des Missverständnisses, dann auch ohne ihn, die Dinge ihren Lauf. Keine große Affäre, keine kleine Affäre, überhaupt keine Affäre - jedenfalls im engeren Sinne - entspinnt sich nun zwischen Anna (Sandrine Bonnaire) und M. Faber (Fabrice Luchini), aber doch eine Beziehung eigener Art, zwischen Gesprächstherapie und Lebensberatung, zwischen Flirt und Beichte.

Prima Prämisse also, Patrice Leconte legt in seinem Wettbewerbsbeitrag "Confidences trop intimes" musikalische Fährten zu Hitchcock, es wäre also der Boden bereitet für ein Kammerspiel ganz eigener Form. Die Probleme beginnen mit dem ersten Schritt, den der Film tut hinaus aus der Zweierbeziehung, die ihn tragen könnte und tragen müsste. Weil sie das aber nicht tut, weil dem Drehbuch im Grunde nicht viel einfällt zu Übertragung, Gegenübertragung, Begehren und Intimität, hat es Nebenfiguren hinzugefügt, denen vor allem eines ins Gesicht geschrieben steht: ihre Überflüssigkeit. Also gibt es eine Ex-Geliebte von M. Faber und deren neuen Geliebten, und die alte Liebe vagabundiert abseits des eigentlich interessanten Geschehens durch die Geschichte.

Noch viel schlimmer ist die Art, in der "Confidences trop intimes" mit Fabers Sekretärin (Anne Brochet) umgeht: auf ihre Rechnung gehen nur die billigsten Lacher, die umso fataler sind, als sie den labilen Kern der Liebesgeschichte, die hier doch recht eigentlich erzählt wird, verraten. Der Film hat kein Vertrauen in seine Figuren, auch kein Vertrauen in seine Konstellation, da hilft das Zirkulieren verschiedener Objekte (ein Feuerzeug in auffälligster Manier) nichts, da helfen diverse Vor-, Nach-, Zusatz- und Spiegelgeschichten nichts. Der Film verliert sich im Niemandsland, starrt in die großen Augen des dauerkonsternierten Fabrice Luchini, der einzig in einer allerdings auch nicht sonderlich motivierten Tanzeinlage aus der Rolle fällt. Das ist hübsch, mehr nicht. Und der Film starrt auf die wie immer wunderbare Sandrine Bonnaire, der man das Geheimnis noch abnimmt, das ihre Figur nicht hat.

Ekkehard Knörer

"Confidences trop intimes - Intimste Fremde". Regie: Patrice Leconte. Mit Sandrine Bonnaire, Fabrice Luchini u.a., Frankreich, 2004, 104 Minuten (Wettbewerb)



Wie benutzt man einen Reißverschluss? Auch das lernt der Mönch Tum in Nonzee Nimibutrs "Baytong" (Forum)

"Baytong" beginnt mit einem Knall, mit dem Drama um einen Terroranschlag, dem Verlust einer Mutter, dem Vorspann, der sich als Vehikel erweisen wird, um die Geschichte in Gang zu bringen. Doch ist diese Beschreibung nicht ganz fair. Denn so wenig zunächst der Terrorismus und die Tragödie die Geschäftsgrundlage der Erzählung sind, so sehr sie zunächst nur Voraussetzung zu sein scheinen für die Fabel vom Mönch, der das Leben der Moderne kennen lernt, so erfreulich ist die Manier, in der "Baytong" dann doch auf die zu Beginn angeschlagenen Themen zurückkommt. Der Komödienton, der viele der Erlebnisse des Mönchs, der kein Mönch mehr ist, ins Heitere transponiert, bleibt von buddhistischen Lebensweisheiten bis zum Ende kontrapunktiert. Und zwar ganz im Ernst, das macht den Film, der zwischendurch ein wenig in Richtung Klamotte unterwegs scheint, zunächst einmal sehr schätzenswert.

Der Mönch Tum ist nicht weniger als eine nationale Selbstverständigungsfigur, Verkörperung einer Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne. Das Verhältnis wird von der Tradition her gedacht, das Projekt ist eines der Versöhnung. Tum lernt Radfahren (das zeigt schon, aus welch weiter Ferne er kommt), Tum lernt Genießen, Tum lernt - schmerzlich (Regisseur Nonzee Nimibutr hat offensichtlich "Alle lieben Mary" gesehen) - den Umgang mit Reißverschlüssen und nicht zuletzt lernt Tum die Liebe kennen. Es geht also, zum einen, um die Aufgabe des Gelernten, Anpassung und Offenheit. Umgekehrt aber fordert der Film nicht, dass sein Held die weltfremde Lebensklugheit, die in den buddhistischen Lehrbüchern steht, einfach über Bord wirft. Die Perspektive, aus der er erzählt wird, ist, könnte man sagen, die der Weisheit eines ehemaligen Mönchs: Nicht die eines zum Renegaten gewordenen Traditionsflüchtlings, sondern die eines von buddhistischen Werten durchdrungen gebliebenen modern gewordenen Menschen.

Bliebe die Frage, ob sich eine Hals über Kopf in den Kapitalismus stolpernde Gesellschaft dergleichen Geschichten erzählen lässt. Oder eher: Ob der seltsame Onkel Tum hier nicht doch eine Witzfigur bleibt - gegen die Intention des Films - als einer, dessen Ernst mit Nachsicht zu behandeln, dessen Ungelenkheit als unheilbar zu betrachten wäre. Ob nicht die Versöhnung als Traum die reine Ideologie ist und gerade also solche von einer Gesellschaft, die sich solche Geschichten, aber nicht solche Versöhnungszumutungen gerne bieten lässt, freudig akzeptiert wird als Kompensation für ein den Alltag in der Stadt bestimmendes herzliches Desinteresse an Mönchen und ihren Weisheiten (und auch für Versöhnungszumutungen zwischen in politischem Hass gegeneinander stehenden Religionen). Das sind natürlich Fragen, die nur beantworten kann, wer Thailand kennt. Es sind allerdings Fragen, die sich angesichts derartiger Märchen, so schätzenswert sie in ihrer Grundhaltung sein mögen, stellen, und zwar genau deshalb, weil auch ideologische Kompensationszusammenhänge längst globalisiert sind.

Ekkehard Knörer

"Baytong". Regie: Nonzee Nimibutr. Mit Puwarit Poompuang, Jeeranun Manojam, Saranya Kruangsai, Attaporn Theemakorn u.a., Thailand 2003, 103 Minuten (Forum)



Psychotischer Horror bis zuletzt: Kim Jee-woons "Janghwa, Hongryun - A Tale of Two Sisters" (Forum)

Ein Film, durch den eine Grenze läuft, aber so, dass nie die Entscheidung fällt. Es ist die Grenze zwischen dem schieren Horror und der Geschichte einer Psychose. Die Psychose als Horror, der Horror einer Psychose, aber so, dass sich der Betrachter dem einen wie dem anderen kaum entziehen kann. Konzentriert ist das Geschehen auf einen einzigen Ort, ein Haus inmitten schöner Natur, ein See. Ganz am Anfang sieht man Su-mi und ihre Schwester auf einem kleinen Steg, die Füße im Wasser, umspielt von der Kamera, die von oben blickt, von hinten und auch von unter der Wasserlinie. Schon in dieser Einstellungsserie gelingt es Regisseur Kim Jee-woon, durch die Abfolge der verschiedenen Blicke eine Verunsicherung in die Wahrnehmung hineinzutragen - es bedürfte gar nicht des Grummelns der Tonspur (die später immer wieder ganz ins Lager des Horrors überläuft, Bernard Hermanns "Psycho"- Score überdeutlich zitiert).

Vorgeschichte und Motive der Beteiligten bleiben ungeklärt. Klar ist nur, dass sich der Film ganz auf die Seite Su-mis schlägt, von der ersten Sekunde an, dass den Bildern hier nicht zu trauen ist, so präzise sie auch in Szene gesetzt sind. Oder gerade: In dieser Präzision sitzt der Schrecken als einer, der hervorbrechen kann in eben dieser präzisen Manier. Das Gespenstische wird keineswegs vage angedeutet, es zeigt sich vielmehr frontal. Ungewöhnlich ist an diesem Film vor allem, dass er die Grenze, die durch ihn läuft, nicht verschwimmen lässt, sondern beide Seiten so ausformuliert, dass sie identisch zu werden scheinen. Der psychotische Horror ist in diesem Fall eine Sache der Inszenierung - und des grandiosen Spiels der Darsteller, Su-mis und der Schwiegermutter im besonderen.

Es gibt einen Moment der Auflösung, doch gelangt der Film mit diesem Moment - wie es beinahe jeder andere Film täte - nicht an seinen toten Punkt. Der Schrecken verschwindet nicht. Und seine Permanenz ist nicht eine Sache gespenstischer Wiederkehr und Wiederholung, sondern einer Ausweglosigkeit, die nur zu immer weiteren Spaltungen und psychotischen Verdopplungen führt. Auch sie vollzieht der Film noch als seine Wirklichkeit mit, in einer Konsequenz, die bleischwer bis zum letzten, hellen Naturbild auf dem Betrachter liegt, die jeden Ausweg in eine Lösung verstellt. Psychotischer Horror bis zuletzt.

Ekkehard Knörer

"Janghwa, Hongryun - A Tale of Two Sisters". Regie: Kim Jee-woon. Mit Im Soo-jung, Moon Geun-young, Yeom Jeong-a, Kim Gab-su u.a., Korea 2003, 115 Minuten (Forum)