Vom Nachttisch geräumt

Jugend forscht im Jahre 1662

Von Arno Widmann
23.10.2017. Über Amikäfer und Hitlerkäfer: Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden, von Florian Weiß und Lucia Jay von Seldeneck.
Ein aufwändiger Band, bei dem jeweils die rechte Seite aufgeklappt werden muss, wenn man die ganze Tierillustration auf einer Doppelseite betrachten will. Als der Ingenieur und Käfersammler Oskar Scheibel (1881- 1953) einen 1933 in der Steska-Höhle in Slowenien entdeckten Käfer als eine neue Art erkannte und sie beschrieb, nannte er sie, es war inzwischen 1937 geworden, guter Nationalsozialist, der er war, "Anophthalmus hitleri". Dieser Käfer ist inzwischen vom Aussterben bedroht. Nicht weil sein Biotop durch die Klimakatastrophe zerstört werden würde. Sondern eher im Gegenteil. Sein Erfolg droht ihm den Garaus zu machen.

Der fünf Millimeter kurze Käfer gehört zur Familie der räuberischen Laufkäfer. Wikipedia preist ihn: "Die Basalgrübchen sind breit und tief ausgebildet. Die Beine sind lang und schlank ausgebildet… Der Aedeagus (Penis) von Anophthalmus hitleri ist sehr kräftig und 'plump' ausgebildet. Er verengt sich abrupt zur Spitze, die etwas aufgebogen ist."



Er ist als typischer Höhlenbewohner blind. Das sagt schon sein Name. Das griechische anophthalmus bedeutet augenlos. Für den gewöhnlichen Käfersammler ist "Anophthalmus hitleri" nicht besonders interessant. Aber für die gewöhnlichen Hitlerverehrer schon. Viele Exemplare sollen aus Museen gestohlen worden sein. Manche Sammler zahlen mehr als eintausend Euro für ein Exemplar. Da lohnt sich ein Abstieg in eine der slowenischen Höhlen, um nach dem Tierchen zu suchen. Man muss allerdings sehr gute Augen haben: 5 Millimeter. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum diese seltsamen Hitlerdevotionalie die immense Nachfrage nach ihr überlebt.

Die 1977 in Berlin geborene Lucia Jay von Seldeneck beschreibt in ihrem neuesten Buch nicht mehr 111 Orte, die man in Berlin gesehen haben muss oder 111 Berliner, die man kennen lernen sollte, sondern Merkwürdigkeiten aus der Tierwelt. In einem aufwändig gestalteten, mit Zeichnungen von Florian Weiß geschmückten Band schreibt sie über den Meeresbiologen, der der japanische Kaiser Hirohito auch war, oder über die 15jährige Maria Sybilla Merian, die 1662 in Frankfurt am Main zum ersten Mal die Entwicklung der Raupe bis zum Schmetterling aufzeichnet.

Oder sie erinnert an solche Geschichten: Im Mai 1950 stieg die Zahl der Kartoffelkäfer in der gerade gegründeten Deutschen Demokratischen Republik sprunghaft an. Die Regierung erklärte, amerikanische Bombengeschwader hätten die Viecher über Sachsen, Thüringen und Mecklenburg abgeworfen, um die DDR am Gang in den Sozialismus zu hindern. Das Wort "AmiKäfer" ist geblieben.

Ich habe einen Blick ins Archiv der Berliner Zeitung geworfen. Dort findet man am 1.6.1950 auf Seite 2 in einem Artikel unter der Überschrift "Flugzeuge kreisten über Schönfeld" u.a. Folgendes: "Eine Frau aus Schönfeld sagte unter anderem aus: 'Ich habe am Dienstag (23. Mai) in den frühen Nachmittagsstunden zusammen mit meiner Mutter zwei Flugzeuge beobachtet, die parallel zueinander flogen und zwischen denen sich ein nicht erkennbarer großer Gegenstand befand. Beide Flugzeuge drehten eine Schleife über Schönfeld. Ebersbrunn und Lichtentanne und entfernten sich daraufhin.' Die Dienststellen, die das Überfliegen ihres Gebiets durch Flugzeuge registrieren, meldeten, dass die Maschinen entweder vom Westen herkamen oder sich in der Richtung auf Bayern bewegten. Schon das bisherige Ergebnis der Untersuchungen bestätigt eindeutig den Zusammenhang zwischen den Funden der Koloradokäfer und dem Ein- oder Ausflug amerikanischer Flugzeuge." Biologische Kriegsführung im Kalten Krieg oder Propaganda?

Florian Weiß und Lucia Jay von Seldeneck: Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen - Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden, Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2017, 196 Seiten, s/w Zeichnungen, 28 Euro.
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