Virtualienmarkt

Das wettbewerbslose Duopol

Das Bundeskartellamt hat drei Argumente gegen eine Fusion des Axel Springer Verlages mit ProSiebenSat.1 herausgearbeitet. Aber es gibt noch ein viertes. Von Robin Meyer-Lucht
29.11.2005. Warum es gut ist, dass Springer nicht werden darf, was Bertelsmann scheinbar schon ist.
Mathias Döpfner versteht sich bestens darauf, mit einem Habitus der gewinnenden Entschlossenheit und ungebrochenen Souveränität jeden Zweifel an seiner Zielstrebigkeit zu zerstreuen. Am Morgen des 5. August diesen Jahres, einem Freitag, gab sich der Chef des Axel Springer Verlages besonders entschlossen, souverän und zielstrebig. An diesem Tag verkündete der 43-Jährige auf einer Pressekonferenz in München strahlend den Deal seines Lebens: Die Übernahme des zweitgrößten deutschen Privatfernsehunternehmen ProSiebenSat.1 für über 4 Milliarden Euro durch das von ihm geleitete Verlagshaus.

Döpfner erklärte damals, die Transaktion habe eine "überzeugende strategische Logik". Nur welche Strategie? Welche Logik? Einen derart horrenden Kaufpreis zahlt der sendungsbewusste Journalist Döpfner nicht allein aus ökonomischem Kalkül, sondern ebenso aus dominanz- und machtstrategischen Erwägungen. Bislang erreicht sein Verlag mit den vier überregionalen Titeln Bild, BamS, Welt und WamS 17 Millionen Menschen, 26 Prozent der Bevölkerung. Durch den Zusammenschluss mit ProSieben, Sat.1, N24 und Kabel 1 steigt diese Zahl auf 40 Millionen beziehungsweise über 60 Prozent der Bevölkerung.

Dennoch sahen viele Kommentatoren wenig Mittel, gegen die Formation eines zweiten Giganten auf dem deutschen Meinungsmarkt vorzugehen. "Für den Fall eines crossmedialen Zusammenschlusses ist Deutschland nicht gewappnet", diktierte Gerd Kopper von der Uni Dortmund damals der FAZ.Und Peter Glotz schrieb in der Zeit: "Was man Bertelsmann zugestand, wird man Springer nicht verwehren können. Die Macht von Bild ist ein Argument, aber die Macht des Sterns ist auch erheblich." Der ordnungspolitische Rahmen, so Glotz, werde Döpfner nicht stoppen können und außerdem sei der Zeitgeist für forsche Schritte gegen Springer "zu lahm".

Auch Döpfner wähnte sich Anfang August in der Sicherheit, dass die Übernahme kaum zu verhindern sei. Am 31. Mai war er persönlich zum Kartellamt nach Bonn geflogen, um sich zu versichern, dass nur ein geringes Risiko von den Wirtschaftsaufsehern ausgehe. Sicher, ein paar Beteiligungen, die Springer gemeinsam mit Bertelsmann halte, werde man wohl abstoßen müssen, eventuell auch die TV-Zeitschriften - im Großen und Ganzen werde die Übernahme jedoch durchgehen, war Döpfner anschließend überzeugt.

Einige wunderten sich schon bei Döpfners Pressekonferenz Anfang August über dessen positive Einschätzung der Lage. Bei Springer wunderte man sich dagegen über die Interviews, die Kartellamtspräsident Ulf Böge unmittelbar nach Bekanntgabe der Fusionspläne gab. Der öffentlichkeitsversierte, nicht immer uneitle Beamte (Foto) verkündete in der Süddeutschen Zeitung kurzerhand, er werde nicht nur das entstehende TV-Duopol mit Print-Ausleger sehr genau betrachten, sondern erstmals auch die Gefahr einer verstärkten Marktmacht durch "crossmediale Verflechtung" prüfen.

Damit hatte Böge schon zwei der drei Einwände formuliert, die seine Behörde nun am 21. November gegen die Fusion von Axel Springer und ProSiebenSat.1 vorbrachte: Das Duopol der beiden Privatsenderblöcke im deutschen Fernsehen werde gestärkt, die Dominanz der Bild werde durch "crossmediale Promotion" weiter abgesichert und auf dem Anzeigenmarkt für überregionale Anzeigen drohe eine marktbeherrschende Stellung.

Mit dieser couragierten Auslegung der Kartellgesetzte trat Volkswirt Böge, der vor sechs Jahren von der Leitung der Abteilung Wirtschaftspolitik des Bundeswirtschaftsministeriums an die Spitze der Kartellbehörte wechselte, all jenen entgegen, die zu meinen glaubten, die deutsche Fusionskontrolle sei ein stumpfes Instrument bei crossmedialen Verflechtungen und Springer müsse Bertelsmann zwingend nachfolgen dürfen: "Es wäre eine falsche Betrachtungsweise, wenn man sagen würde: Was Bertelsmann darf, muss Springer auch dürfen", erklärte Böge der FTD. Sein argumentativer Trick: Er definiert den relevanten Medienmarkt so breit, dass auch crossmediale Einflüsse von ihm zu prüfen sind.

Böge ist in seinem Urteil geradezu angriffslustig eindeutig: Man habe "schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen" gefunden, der Zusammenschluss sei nach bisheriger Würdigung "nicht genehmigungsfähig". Beobachter zweifeln zunehmend, ob es dem Axel Springer Verlag überhaupt noch gelingen könnte, die Kartellwächter umzustimmen. Ein zentraler Einwand, die Stärkung der Bild durch die TV-Stationen, ließe sich letztlich nur ausräumen, wenn Springer das Blatt verkaufen würde - ein undenkbarer Vorgang, nicht nur weil sich dabei um eines der profitabelsten Verlagsobjekte handelt. Mit dem Rückwind des Kartellamtsvotums beurteilt nun auch die KEK, die "Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, eine Art flügellahmes Kartellamt für Meinungsmacht, den Zusammenschluss zunehmend kritisch.

Kartellbehörde und KEK betrachten bei ihrer Analyse der Markt- und Meinungsmacht von Axel Springer lediglich auf zukünftige Marktanteile und Besitzverhältnisse. Dabei lohnt sich zugleich ein Blick auf das aktuelle Marktverhalten und -gebaren. Wie mächtig der Springer-Verlag schon heute ist, kann man nicht nur daran erkennt, dass er mit Bild die derzeit kampagnenfähigste und -freudigste deutsche Zeitung herausgibt. Man kann seine Macht vor allem auch daran erkennen, was es in Deutschland nicht gibt: Gratistageszeitungen.

Man mag Gratistageszeitungen für eine publizistische Pest halten. Damit hat man auch Recht. Gratistageszeitungen bringen die unsägliche Kultur der Privatrundfunk-Nachrichten in die Zeitung. Sie verbreiten ein klebriges Gemisch auf Kurz- und People-News, ohne Kohärenz und Vertiefung. Sie züchten eine Schar von unkritischen, konsumwilligen Nachwuchslesern heran. Sie sind die Billig-Tiefflieger des Journalismus. Eine NZZ-Journalistin schrieb kürzlich: "Gratistageszeitungen kosten nichts - außer das eigene Niveau."

Publizistischer Abscheu vor Billigheimertum hin oder her: Das neue Genre der Gratistageszeitungen kann als Gradmesser für die Wettbewerbsintensität und die Höhe von Zutrittsschranken in nationalen Print-Märkten gelten. Dieser Zeitungstyp wurde Anfang der 90er Jahre in Stockholm von dem Venture Capital finanzierten StartUp Metro entwickelt (mehr hier). Inzwischen gelten Gratistageszeitungen vielen Kommentatoren als größte Innovation auf dem Zeitungsmarkt seit Erfindung der Boulevard- oder Sonntagspresse. In vielen Ländern gehören Gratistageszeitungen zu den reichweitenstärksten Titeln. In der Schweiz findet die Gratistageszeitung 20 Minuten täglich eine Million Leser - ein Viertel der Bevölkerung der Deutschschweiz. Dabei ist 20 Minuten hochprofitabel: Branchenkenner schätzen, dass das Blatt in diesem Jahr einen Überschuss von rund 30 Millionen Franken erzielt - bei einem Umsatz von rund 75 Millionen Franken. Apologeten des Gratistageszeitungsmodells argumentieren, eine Zeitung, die kompakt, schnell und kostenlos informiere, passe einfach "in ihre Zeit". Tatsächlich könnten Gratistageszeitungen die tägliche Zeitungsleserschaft in Deutschland in kürzester Zeit um mehrere Millionen steigern.

Gratistageszeitungen gibt es nunmehr in über zwanzig Ländern Europas (Liste) - bloß in Deutschland gibt es kein nennenswerten Titel. Mittels einer vereinten Anstrengung aus Regionalverlegern und Axel Springer Verlag gelang es 1999, die Etablierung von 20 Minuten in Köln zu verhindern. Damals startete der norwegische Medienkonzern Schibsted seinen Gratistitel mit einer dünnen Kapitaldecke und lediglich regional.

Nun plant er eine Rückkehr im großen Stil auf die nationale deutsche Bühne. Dafür braucht Schibstedt jedoch einen deutschen Partner, um leichter Zugang zu Druckereien, Journalisten, Media-Agenturen und Behörden zu haben. Ursprünglich war die Bertelsmann-Tochter RTL als ein solcher Partner im Gespräch. Inzwischen hat sich Bertelsmann jedoch aus den Verhandlungen zurückgezogen. Hier sieht man nun, was ein weitgehend "wettbewerbsloses Duopol" in der Praxis bedeutet: Als anderer großer Partner käme nur der Axel Springer Verlag infrage. Der jedoch hat kein Interesse am Aufleben von Gratistageszeitungen in Deutschland, weil dies seine Cash-Cow Bild erheblich bedrängen würde. Ein Bündnis aus Regionalverlegern zur Gründung einer Gratistageszeitung scheiterte, wie die meisten Gemeinschaftsprojekte unabhängiger Regionalverleger, ebenfalls.

Derzeit scheint nur noch der Verlag Holtzbrinck über die Gründung einer Gratiszeitung gemeinsam mit Schibsted nachzudenken. Verwandte Formate testete man schon einmal hier und hier. Doch die Verlagsmanager aus Stuttgart erahnen mit Grausen das Vergeltungspotenzial von Axel Springer und den Regionalverlegern. Mathias Döpfner führt derzeit auf Reisen gerne ein Exemplar der Nullnummer von Gratissimo mit sich. Es handelt sich dabei um eine Probeversion jener Gratistageszeitung, die sein Verlag rein als Gegenmaßnahme gegen jeden Gründer eines anderen Titels ins Feld führen würde. Neben Springer planen auch die WAZ, DuMont Schauberg und die Süddeutsche Zeitung regional eigene Gegentitel zu lancieren. "In Deutschland hat jeder, der eine Gratistageszeitung gründen will, immer mindestens zwei sehr starke Gegner gegen sich", frohlockte Döpfner kürzlich bei einem Auftritt: "Den Axel Springer Verlag und das entsprechende Produkt der Regionalverleger."

Das Kartell der Platzhirsche ist heute schon sehr stark im deutschen Zeitungsmarkt. Was Wettbewerb wirklich bedeutet, erleben deutsche Zeitungshäuser fast nur noch im Ausland - etwa in Polen oder Ungarn, wo Axel Springer verbittert Boulevard-Titel verteidigt oder angreift.

Ende Dezember wird das Kartellamt sein abschließendes Urteil über die Fusion von Springer und ProSiebenSat.1 fällen. Danach könnte es zu monate- bis jahrelangen Rechtsstreits kommen. Dies erscheint jedoch eher unwahrscheinlich, da die Konzernteile sonst vorerst gelähmt nebeneinander her existieren müssten. Eine Ministererlaubnis ist in diesem Fall hochbrisant - aber keinesfalls ausgeschlossen.

Eventuell kommt es in oder nach den Wirren um die Fusion doch noch zur Gründung einer oder mehrerer Gratistageszeitungen in Deutschland. Der niederländische Gratistageszeitungsexperte Piet Bakker prognostiziert in einem solchen Fall einen Zeitungskrieg mit gut fünf Millionen Exemplaren. Dem ökonomischen, wenn auch nicht dem publizistischen Wettbewerb wäre es zu wünschen.