Post aus London

Bestseller-Schlachten

Von Henning Hoff
05.09.2003. Martin Amis gegen Ian Rankin, David Beckham gegen Doctor Atkins: In Großbritannien tobt die Bestseller-Schlacht so heftig wie selten. Verlagen und Autoren ist dabei fast jedes Mittel recht.
Gradmesser für Ruhm können manchmal seltsam sein. Die Eminenz des britischen Schriftstellers Martin Amis kann man daran ablesen, dass die Höhe seiner Zahnarztrechnungen auf den Aufmacherseiten von Zeitung diskutiert wird.
Das Medieninteresse an Amis, der heute die meiste Zeit in den USA lebt, ist seit jeher hoch. In der Berichterstattung geht seit geraumer Zeit ein kritischer, wenn nicht gar hämischer Tonfall um. Das ist diesen Herbst einmal mehr mitzuerleben. Denn im Moment ist wieder Amis-Zeit: Nach drei nicht-fiktionalen Büchern, der Autobiografie "Experience", einer Abhandlung über Stalin ("Koba the Dread") und der Essaysammlung "The War Against Cliche" hat Amis vor ein paar Tagen mit "Yellow Dog" nach achtjähriger Pause einen neuen Roman herausgebracht. Und der hat es in sich: Unter anderem kommen darin ein zukünftiger britischer Monarch, Henry IX., seine in einen Sex-Skandal verwickelte Tochter, ein weiblicher Porno-Tycoon, ein schmieriger Boulevard-Journalist und eine Leiche auf transatlantischem Unglücksflug vor.

Die Hassliebe, die Martin Amis und die britischen Medien verbindet, reicht weit zurück. Zu den Ritualen, die vor der Veröffentlichung eines "neuen Amis" abgehalten werden, gehören frühzeitig gestreute Gerüchte über Inhalt und voraussichtlichen Erfolg oder Misserfolg des Buches. So hatte es auch dieses Mal schon Wochen vorher im Medienwald, durch den im Moment täglich Premierminister, "spin doctors" und tote Waffenexperten irren, vorherbstlich geraschelt. Ausführlich wurde spekuliert, ob Amis dieses Jahr für den "Booker" nominiert werden würde, Großbritanniens renommiertester Literaturpreis (eine inoffizielle Website findet sich hier). Das ist ein heikles Thema, denn gewonnen hat Martin Amis diesen Preis noch nie. Nur einmal kam er auf die "Booker short list", die die sechs "besten Bücher" verzeichnet, 1991 mit dem Roman "Pfeil der Zeit" ("Time's Arrow"). Die Cassandras lagen dieses Mal falsch, denn "Yellow Dog" nahm die erste Hürde. Mitte August stand Amis Name auf der langen "Booker"-Liste.

Höhepunkt der Vor-Publikations-Publicity stellte ein Artikel von Autorkollege Tibor Fischer (mehr hier) dar, der Anfang August gegen "Yellow Dog" zum Präventivschlag ausholte. "Ich bin geradezu erleichtert, dass Amis eine Arbeit abgeliefert hat, die seiner unwürdig ist", schrieb Fischer in der konservativen Tageszeitung "Daily Telegraph". Zwar sei er bekennender Amis-Anhänger, aber die Lektüre des Vorab-Exemplars sei ihm peinlich gewesen. "Yellow Dog" sei nicht schlecht im Sinne von "nicht sonderlich gut" oder "enttäuschend", sondern "man-weiß-gar-nicht-wo-man-hinsehen-soll-schlecht". Amis in solcher Form zu sehen sei so schmerzhaft wie wenn der eigene Lieblingsonkel bei autoerotischen Handlungen auf dem Kinderspielplatz erwischt würde. Damit war der Grundton vorgegeben. Die Kritiken, die seit ein paar Tagen in der britischen Presse erscheinen, sind beinahe einstimmig vernichtend.

Fischers Angriffe sind dabei nur ein Scharmützel in einer Bestseller-Schlacht, die im Moment in Großbritannien so heftig tobt wie selten. Sie zeugen von der Frustration von Schriftstellern, die weniger Medieninteresse auf sich ziehen und deren Werke deshalb schnell im Trubel untergehen - Fischers neuer Roman "Voyage to the End of the Room" erschien nämlich am gleichen Tag wie der von Amis. Im Listen-verliebten England haben die großen Verlage nur noch die Nummer Eins der Bestsellerliste im Kopf. Das führt zu Vermarktungsstrategien, die bislang in Deutschland allenfalls in Ansätzen bekannt sind. (Die Kehrseite davon ist, dass neue Bücher, oder Literatur allgemein, nationalen Nachrichtenwert haben. Auch das kennt man aus Deutschland so nicht unbedingt.)

Konkurrenz zu "Yellow Dog" kommt von allen Seiten. Selten sind so viele Anwärter auf den Spitzenplatz der Bestsellerlisten zur gleichen Zeit veröffentlicht worden, quer durch die literarischen Genres. Von Jackie Collins, der Königin des glitzernden Sex und Crime, erscheint in diesen Tagen "Hollywood Divorces". Collins ist die in London gebürtige, aber längst in Kalifornien beheimate Schwester der Schauspielerin Joan Collins, die in Deutschland als "Alexis, das Biest" aus dem "Denver Clan" (hier oder hier) bekannt ist. Im Vergleich zu dem Treiben von Jackie Collins Figuren wie der "dunkelhaarigen, sexy Schauspielerin-Schönheit Shelby" und "Linc, ihrem Macho-Gatten mit einem Hang zu harten Drinks", ging es bei den Carringtons aus Denver geradezu gesittet zu.

Einen anderen potentiellen Verkaufshit, der jetzt erscheint, hat Robert Harris verfasst. Nachdem sich Harris mit seinen ersten drei historischen Thrillern - "Fatherland", "Enigma" und "Aurora" (englischer Titel: "Archangel") - im 20. Jahrhundert aufgehalten hat, geht es in "Pompeii" dieses Mal zurück in die Römerzeit. Vor dem Hintergrund des drohenden Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus ist der Ingenieur Marcus Attilius Primus, verantwortlich für den mächtigen Aquädukt Aqua Augusta, dunklen Geheimnissen auf der Spur und den Naturgewalten ausgesetzt.

Weitere Konkurrenz kommt von Altmeister Frederick Forsyth (eine inoffizielle Homepage hier), Autor von "Der Schakal" oder "Die Akte Odessa", der sich nach sieben Jahren mit "Der Rächer" (englischer Titel: "Avenger") zurückmeldet. Sein jüngster "Action-Thriller" spielt im Milieu internationaler Geheimdienste, Terroristen, Kriegsverbrecher und korrupter Diktatoren rund um den Erdball. "Avenger" muss sich gegen die Werke jüngerer Kollegen behaupten, wie Ian Rankins neuer Krimi, "A Question of Blood", "Teeth of the Tiger" von Tom Clancy oder "Empire State" von Henry Porter, die ebenfalls an die Spitze klettern könnten.

Schließlich kommen aus der Sachbuch-Ecke andere potentielle Spitzenreiter: David Beckham, Kapitän der englischen Fußballnationalmannschaft, hat just nach seinem Wechsel von Manchester United zu Real Madrid eine Autobiografie mit dem mehrdeutigen Titel "My Side" herausgebracht, in der er unter anderem mit seinem Ex-Trainer Sir Alex Ferguson abrechnet. Und dann sind da noch die Diät-Bücher des Doktor Atkins, dessen Empfehlung für eine proteinreiche und kohlehydratarme Ernährung auf ein "Iss Dich dünn" hinausläuft. Aktins belegt schon seit Wochen Spitzenplätze.

Wer sich in diesem Bestseller-Kampf durchsetzen wird, ist offen. Der Buchhandel, der in Großbritannien fest in den Händen großer Ketten wie "WH Smith", "Waterstone's", "Books Etc." oder "Ottakar's" ist, lässt sich von den Verlagen das Herausstellen bestimmter Titel teuer bezahlen und steuert durch schnelle Preisnachlässe bald nach dem Publikationsdatum das Bestsellergeschäft mit. Kleinere Verlage können da nicht mithalten. Außerdem räumen die Buchhändler ihren Büchern immer kürzere Regalfristen ein: Was sich nicht schnell verkauft, wird zurück an die Verlage geschickt.

Für den Handel zahlte sich diese "Hype"-Strategie zuletzt nicht immer aus. "WH Smith", das vor allem Zeitungen und Zeitschriften umsetzt und ein Monopol an Bahnhofsbuchhandlungen hat, gab - Harry Potter zum Trotz - vor ein paar Tagen eine Gewinnwarnung für das erste Halbjahr heraus. Die rückläufigen Umsätze schob man auf den Irak-Krieg und das schöne Wetter. Das verleitete Richard Ingrams, ein Kolumnist der Sonntagszeitung "The Observer", zur höhnischen Frage, warum "WH Smith" nicht auch das enttäuschende Abschneiden der englischen Kricketmannschaft erwähne. Für Ingrams, früher Chefredakteur der Satirezeitschrift "Private Eye", ist die Sache klar: Das Problem ist das Produkt beziehungsweise die aufdringliche, überdrehte Art und Weise, auf die Bücher heute in Großbritannien verkauft werden.

Vor diesem Hintergrund haben literarische Publikationen, die nicht von den Stars der Szene stammen, kaum Chancen. Zu den wenigen Möglichkeiten, Medienaufmerksamkeit zu erhaschen, gehören die großen Literaturpreise. Wer bei "Literaturpreis" an das graue Ingeborg-Bachmann-Vorlese-Seminar von Klagenfurt denkt, ist auf dem falschen Dampfer. In Großbritannien sind diese Auszeichnungen - sei es der "Booker", der "Orange"- oder "Whitbread"-Preis - glamouröse Angelegenheiten. Die Verleihungen kommen wie kleine Oscar-Zeremonien daher, für die vorher gezielt Spannung aufgebaut wird. So erscheint Mitte September die "Booker short list" der sechs Bücher, die die Juroren in die engste Wahl genommen haben. Im Oktober wird der Gewinner dann bei einem Galadinner im British Museum gekürt, das live im Fernsehen übertragen wird. Bei den Buchmachern kann man jetzt schon auf den Gewinner wetten.

Neben den großen Namen - Monica Ali ("Brick Lane"), Margaret Atwood ("Oryx and Crake"), J.M. Coetzee ("Elizabeth Costello"), Graham Swift ("The Light of Day") -, hinter denen meist große Verlagshäuser stehen, sind auf der langen "Booker"-Liste drei Titel dabei, die aus Verlagen kommen, die Kleinst-Unternehmen sind: "Jazz Etc" von John Murray, das von Flambard Press verlegt wird, Clare Morralls "Astonishing Splashes", das bei Tindal Street Press erschienen ist, und "The Nick of Time" von Francis King, herausgekommen bei Arcadia Books. In der "Booker"-Berichterstattung gehen diese Titel allerdings meist unter.

Sollte einer von ihnen unerwartet gewinnen, ist die weitere Geschichte von Buch und Autor meist vorgezeichnet: Ein Großverlag macht ein Angebot - in der Hoffnung auf den nächsten Bestseller.