Magazinrundschau - Archiv

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215 Presseschau-Absätze - Seite 10 von 22

Magazinrundschau vom 27.07.2010 - Nepszabadsag

"Tararabumbia" - so heißt die Theater-Performance von Dmitri Krymov, die zum 150. Geburtstag Anton Tschechows im Januar in Moskau uraufgeführt wurde - eine Hommage an den Dramatiker, in der auf einem Fließband über 80 Schauspieler in mehr als 300 verschiedenen Kostümen erscheinen - Figuren aus den Werken und aus dem Leben Tschechows, aber auch "Delegationen" aus dem befreundeten Land Shakespeares und dem Karneval von Venedig. Der Dichter und Kritiker Akos Szilagyi hat die Aufführung während des internationalen Tschechow-Festivals Anfang Juni besucht und sieht darin auch eine Parabel auf Russland: "'Tararabumbia' ist mehr als nur der respektlose Respekt, den die Theaterwelt Tschechow zollt. Es ist ein Todesmysterium, ja sogar eine geschichtsphilosophische Parabel, die von dem auf 'das Fließband der Geschichte' montierten Russland handelt. Das Fließband wird immer schneller, das Land steht aber - oder vielmehr: marschiert - an Ort und Stelle. Auch dann, wenn es seine Beine gerade am schnellsten hebt. Weil es niemals die Gesellschaft, die Menschen sind, die es beschleunigen, sondern der Staat. Der Staat ist aber nur in der Lage, das Fließband zu beschleunigen. Die Kostüme und die Schauplätze ändern sich, das Fließband und die Absurdität der Bewegung ohne Vorankommen bleiben die gleichen. Russland ist vorerst nicht in der Lage, vom Fließband abzusteigen, ohne das Fließband würde es in der Unbeweglichkeit erstarren und der Zerfall würde beginnen. Also muss es bewegt werden, und es muss immer vom Staat bewegt werden. Russland bewegt sich nur, wenn es getragen wird. Wenn es vom Fließband bewegt wird. Doch das Fließband führt immer nur in dieselbe Richtung: in den Abgrund."

Magazinrundschau vom 18.05.2010 - Nepszabadsag

Jahrzehnte lang bestehende Organisationen, ob Parteien oder Unternehmen, ob Clubs oder Kirchen, neigen dazu, in ihren Gewohnheiten und Reaktionen zu erstarren. Sie entwickeln Lösungsmethoden, Riten, eine Art Kultur, Probleme anzugehen, an denen sie bedingungslos festhalten. Um eine erfolglose Kultur durch neue, energische Konstruktionen zu ersetzen, muss darum eine komplette personelle und organisatorische Erneuerung stattfinden. Dieser Prozess steht nun auch Ungarns Sozialisten bevor, meint der Verhaltensforscher Vilmos Csanyi: "Die Linke ist keine Partei, sondern eine Bewegung, sie muss kontinuierlich organisiert und am Leben erhalten werden, sonst verkommt sie zur Rentnerträumerei. Dass die Führer der Partei die linksliberale Intelligenz als eine Art 'Ressourcen' betrachteten, die den Apparat - egal welchen Unsinn er sich ausdenkt - mit uneingeschränkter Loyalität unterstützen müssen, war ein Zeichen der vollkommenen Unfähigkeit. Ab und zu, zu feierlichen Anlässen, wurden sie zwar angehört, aber für die Meinungen und Warnungen dieser Unterstützer interessierte sich der Apparat im Grunde nicht. Er hat überhaupt nie über seinen Tellerrand geblickt und dabei auch die Massen aus den Augen verloren. Es war ein riesiger Fehler."

Magazinrundschau vom 06.04.2010 - Nepszabadsag

In Ungarn stehen Wahlen bevor, es droht ein Triumph der extremen Rechten. "Der wirtschaftliche Bankrott ist Ungarn erspart geblieben. Kann aber der politische Bankrott noch abgewendet werden?", fragt sich die Philosophin Agnes Heller angesichts des Phänomens "Jobbik", der rechtsradikalen Partei, die sich vor allem unter Jugendlichen enormer Popularität (bei etwa 15 Prozent) erfreut. Sie fordert Zivilcourage von den Ungarn: "Wir müssen uns trauen, unserem Nachbarn zu sagen, dass er bestimmt selbst nicht versteht, was er da sagt, wir müssen rassistische Parolen Grölende in der Straßenbahn zurechtweisen. Wir, die stille Mehrheit, dürfen uns nicht ducken, sondern müssen uns offen dazu bekennen, dass wir all jene, die unsere Demokratie gefährden, satt haben."
Stichwörter: Heller, Agnes, Zivilcourage

Magazinrundschau vom 26.01.2010 - Nepszabadsag

Die Ungarn sind enttäuscht von der Demokratie, weil sie sie falsch verstehen, glaubt der Verhaltensforscher Vilmos Csanyi und schlägt vor, sich mit diesem Begriff bis zu den Parlamentswahlen im April noch verstärkt auseinander zu setzen: "Die meisten halten die Demokratie für einen institutionalisierten Wohltäter, der Rechte verteilt, die Bedürftigen unterstützt und den Menschen den Weg zum allgemein gültigen Guten weist. [...] Dabei ist die Demokratie nichts anderes als eine hoch entwickelte kulturelle Institution zur Regelung der biologischen Aggression und somit die vielleicht wichtigste Erfindung der menschlichen Kultur."

Magazinrundschau vom 19.01.2010 - Nepszabadsag

"Nachdem im 20. Jahrhundert erst das religiöse und dann das moralische Himmelszelt eingestürzt ist, droht nun dem astronomischen Himmelszelt ein ähnliches Schicksal", schreibt der Dichter und Kritiker Akos Szilagyi. Da man in vielen Städten nachts kaum noch die Sterne sehen kann, wurden in jüngster Zeit Sternenhimmel-Reservate geschaffen und der Anblick des "unverdorbenen Himmelszelts" "im Originalzustand" zu einer Erlebnis-Dienstleistung, einem Jahrmarkt-Spektatel degradiert: "Die Sternenhirten im Reservat treiben nachts die Sterne aus dem Stall, lassen sie sozusagen auf dem Himmel grasen, und die Erlebnistouristen staunen, dass ihnen die Spucke wegbleibt. Das ist aber sicherlich nur der Anfang. Die Zukunft gehört dem projizierten Himmelszelt und dem künstlichen Sternenhimmel, der viel schöner, imposanter und überzeugender sein wird, als es einst der ursprüngliche Himmel war, und - davon mal ganz zu schweigen - sogar viel billiger! An diesem Himmel werden so viele Sterne zu sehen sein, von denen frühere Menschen nicht einmal träumten! Ob diese Sterne dann echt oder unecht sind, nun, das ist im Hinblick auf das Erlebnis vollkommen egal."

Magazinrundschau vom 29.12.2009 - Nepszabadsag

Ist Ungarn in einer moralischen Krise?, fragen Peter Nagy N. und Akos Toth den Schriftsteller Peter Nadas. Seine Antwort: "Ein Land ist nicht in einer moralischen Krise, das können nur Personen sein. Die Moral ist dem Einzelnen überlassen, eine kollektivistische Ausweitung des Moralbegriffs kann ich nicht akzeptieren. Jeder ist für die eigene Moral verantwortlich. [...] Wir erleben gerade eine dauerhafte politische Krise. Damit müssen wir leben, weil es unsere eigene Krise ist. Mit ihrer Auflösung können wir nur rechnen, wenn eine bedeutende, wohlhabende Schicht entsteht, deren Leben sich stabilisiert und die der Gesellschaft im Interesse ihres eigenen Wohlergehens nichts mehr wegnimmt, sondern zum Geben gezwungen wird: die Wissen und Arbeit geben muss. Von da an wird diese Schicht nicht mehr auf die Destabilisierung der Gesellschaft spekulieren, wie sie es jetzt tut."
Stichwörter: Nadas, Peter

Magazinrundschau vom 15.12.2009 - Nepszabadsag

Für Gabor Balazs ist Frankreich das Beispiel für den Zerfall der Sozialdemokratie und die daraus entstehenden Sumpfblüten der Ultra-LInken: "Die Ultra-Linke erscheint stets nach den großen Niederlagen und der ideologischen Entleerung der Linken beziehungsweise der institutionellen Arbeiterbewegung, wenn nicht nur die Ohnmacht des Reformflügels der Bewegung zu Tage tritt, sondern auch die der 'klassischen' Sozialisten, die auf den Fortbestand des Sozialstaats beharren (und ihre Ziele ausschließlich mit politschen Mitteln verwirklichen wollen)." Gänzlich abgewandt hätten sich die Ultra-Linken von der Arbeiterbewegung. Sie wurde "von einer Schar Plebejer abgelöst, die sich derzeit noch in einem recht diffusen Zustand befindet und die wirklich nichts außer ihrer Ketten zu verlieren hat. Noch ist es ruhig am Horizont, das Geräusch der Ultra-Linken, der 'handelnden Minderheit' ist noch kaum zu hören. Aber auch den Bund der Kommunisten bildeten nur einige Dutzend Menschen, die dann ein Manifest veröffentlichten..."

Magazinrundschau vom 08.12.2009 - Nepszabadsag

Der Literaturwissenschaftler Akos Szilagyi ist beunruhigt über die politische Gleichgültigkeit vieler Ungarn: "Die Frage ist heute nicht mehr, welche Art des Herrschens - die liberale oder illiberale - innerhalb der Demokratie die Oberhand gewinnt, sondern, ob die parlamentarische Demokratie, der Rechtsstaat als Garant des Humanitätsprinzips überhaupt bestehen bleibt, wenn ein Großteil der Gesellschaft sich für das eigene Schicksal nicht mehr interessiert und die von Hysterie und Irrationalität befallene, zunehmend antidemokratische Mittelschicht die Zerstörung ihrer selbst mehr und mehr als ihre wichtigste Aufgabe betrachtet. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem sogar die illiberale Demokratie der aus dem kalten Bürgerkrieg als Sieger hervorgehenden Rechten sich als schöner Traum erweisen könnte - verglichen mit der sich in hysterischen Seelen und grausamen Herzen ankündigenden höllischen Wirklichkeit eines Monsterstaates der ethnonationalistischen Diktatur."

Magazinrundschau vom 01.12.2009 - Nepszabadsag

Die Demokratien in Europa verlieren mehr und mehr das Vertrauen des Volkes. Einen Grund dafür sieht der Journalist Robert Friss im europäischen Modell des Nationalstaates, der nun ausgedient habe, denn immer mehr Bürger behandelten seine Vertreter mit Verachtung: "Das gemeinsame Europa, so es nicht gänzlich in den Hintergrund gedrängt werden will, müsste mit der spaltenden Romantik der Nationalstaaten abrechnen. Und zwar, indem es im ersten Schritt das europäische Bewusstsein stärkt und auf die Allmacht des unterdrückenden Nationalstaats verzichtet; indem es abwägt: wie die Freiheit und die garantierte Lebensqualität der nicht nationalen, sondern europäischen Bürger mit der starken gemeinsamen Macht in ein empfindliches Gleichgewicht gebracht werden kann und dann über die Zuständigkeiten der gemeinsamen, der mitgliedstaatlichen und der regionalen Ebenen entscheidet. Ein Vorbild gibt es nicht: Europa muss seine eigene, neue und effiziente politische Struktur schaffen, die die freie Bewegung des Kapitals ermöglicht, aber auch kontrolliert."

Magazinrundschau vom 10.11.2009 - Nepszabadsag

Die so genannte "Glückspiel-Affäre" hat die polnische Medienlandschaft im Nu in regierungsnahe und oppositionelle Lager aufgeteilt. Angesichts der verhärteten Fronten befürchtet der polnische Publizist Bogdan Goralczyk eine Art "kalten Bürgerkrieg", wie er in Ungarn seit Jahren zu beobachten ist: "Bei der Schlussabrechnung werden alle auf der Verliererseite stehen. Sollten die Emotionen nicht bei Zeiten abgekühlt und die Parteiinteressen in den Hintergrund gedrängt werden, könnte der große Verlierer gar Polen selbst sein. [...] Da kann man noch von Glück reden, dass der Konflikt ausschließlich die politische und die Medien-Elite beschäftigt, während die Bevölkerung aber ihren Pflichten nachgeht, wodurch der wirtschaftliche Zustand erhalten werden könnte. Trotzdem erwarten uns noch trotz des Winters heiße Monate in Polen – und das ganz unabhängig von der globalen Erderwärmung."
Stichwörter: Erderwärmung