Seit mehreren Wochen diskutiert die ungarische Opposition, wie sie überhaupt das Land regieren könnte, da Viktor Orban und seine Fidesz-Partei mit einem
Grundgesetz dafür gesorgt haben, dass etliche Gesetze, aber auch die personelle Zusammensetzung von
Behörden und Institutionen nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden können. Was könnte eine künftige Mehrheit tun: Es bei der Eliminierung einzelne Paragraphen belassen oder das gesamte Grundgesetz aufheben? Der Jurist und Ökonom
Péter Róna argumentiert, dass das aktuelle Grundgesetz weder historisch noch rechtlich eine Verfassung darstellt, und
schreibt: "Es könnte sein, dass der
Neoabsolutismus von Viktor Orbán eine Antwort auf die Modernisierungskrise der ungarischen Gesellschaft war wie die absolutistischen Monarchien eine Antwort auf den westeuropäischen Feudalismus waren. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied: Während die absolutistischen Herrscher die
Autonomie der Zivilgesellschaft, die auf Regeln aufbauende Bürokratie, die Entwicklung der Technologien und die gesellschaftliche Mobilität vorantrieben (noblesse de robe), betrachtet Orbán die Aufhebung der Zivilgesellschaft, die Zerschlagung der öffentlichen Verwaltung und das Einfrieren der gesellschaftlichen Mobilität als seine Mission, also in ihrer Gänze den Aufbau einer
Machtkonstruktion östlichen Typs, bei der die übertriebene Idee der nationalen Souveränität den gesellschaftlichen Fortschritt verhindert. Die Überwindung dieser Konstruktion ist der bevorstehende politische und historische Spieleinsatz. Die große Frage ist somit, ob die ungarische Gesellschaft soweit ist, dass sie eine
vertragliche Einrichtung gegenüber der Macht einfordert, ob sie überhaupt eine ehrliche Verfassung will, oder ob sie ihre eigene Tilgung aus der Kontrolle der Macht akzeptiert. Wenn sie bereit ist, dann wird es den Vertrag in Form einer neuen Verfassung geben. Wenn nicht, dann ist alles gleich."