Außer Atem: Das Berlinale Blog

Tut nicht weh: Gus van Sants "Don't Worry, He Won't Get Far on Foot" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
20.02.2018.


In seinen besten Filmen hat Gus Van Sant immer von Außenseitern erzählt. In "Mala Noche" und "My Own Private Idaho", und natürlich in "Elephant", seiner leisen Antwort auf das Massaker an der Columbine High School. Darin porträtiert er einfühlsam die Teenager einer High School in seiner Heimatstadt Portland, die am Ende von zwei schießwütigen Rechtsradikalen ermordet werden. Es ist der diskrete, poetische Gegenfilm zu Erik Poppes gestern im Wettbewerb gezeigtem "Utoya", der aus dem Massaker des Norwegers Anders Breivik ein gewaltiges Schockerlebnis macht. Für "Elephant" bekam Gus Van Sant in Cannes 2006 die Goldene Palme, dennoch entfachte er eine ähnliche Debatte wie jetzt Poppes "Utoya": Darf man aus einem solchen Gemetzel Kino machen? Muss man ihm Sinn geben?

Gus Van Sants aktueller Film "Don't Worry, He Won't Get Far on Foot" läuft im Wettbewerb, obwohl er bereits beim Sundance Film Festival gezeigt wurde. Doch diese Verfilmung der Autobiografie des Cartoonisten John Callahan birgt nicht annähernd so viel Konfliktstoff und auch nicht annähernd so viel erzählerische Wucht. Dabei war dieser Callahan eine vielversprechend unangenehme Type: Ein gehässiger, misogyner Alkoholiker, der als Songtexter ein großkotziges, aber doch recht jämmerliches Leben in den siebziger Jahren in Long Beach fristete: "Ich trank und erreicht einen Tiefpunkt. Ich trank mehr und erreichte einen weiteren Tiefpunkt." Bei einem Unfall im Auto des ebenfalls sturzbetrunkenen Zechkumpan wird Callahan querschnittsgelähmt.

Wir folgen diesem Callahan durch alle Stufen des Selbstmitleids hinab in die Gosse: Seine Mutter hat ihn als Kind nicht gewollt, seine Adoptiveltern haben ihn nicht geliebt, er wird ein Leben lang ein Krüppel bleiben. Irgendwann haben sogar die soziale Dienste die Nase voll und lassen ihn mit seinem wieder mal zu Schrott gefahrenen Rollstuhl im Regen stehen. Joaquin Phoenix spielt diese ätzende Type mit großem Ernst und noch mehr Sehnsucht nach Liebe, es bleibt ein Rätsel, aus welcher Ader dieser Callahan den Witz für seinen Cartoons gesaugt haben könnte. Rooney Mara gibt die Wunderfrau mit schwedischem Akzent und Engelsgeduld, wahrscheinlich das schöne Überbleibsel eines Delirium Tremens.

Aus dem Elend müssen wir mit Callahan aber auch wieder hinaus, und zwar alle zwölf Schritte im Programm der Anonymen Alkoholiker, unter Anleitung von Donny, der all seine "kleine Schweinchen" mit einer sehr eigenen Mischung aus schwuler Exzentrik und evangelikalem Bekehrungseifer antreibt: Jonah Hill räkelt sich auf seinem weiß-goldenen Bett im Versace-Stil, während er den Glauben an die höhere Macht predigt.

Wie sein torkelnder Protagonist, schwankt der Film vor und zurück, steigt auf und ab, kreist um sich selbst, auf der Suche nach dem guten Kern in sich. Gus van Sants scheint sich noch nicht ganz aus seinem aktuellen Formtief gehievt zu haben. Er erzählt die Geschichte des boshaften Säufers, der auf den richtigen Weg des boshaften Cartoonisten gebracht wird, mit Sentimentalität, wo es Witz gebraucht hätte. Darüber trösten die animierten Cartoons nicht hinweg, die der Film einbaut. Dieser Callahan tut nicht weh und bringt einen nicht zum Lachen. Am Ende entschuldigt sich der Film sogar für Callahans Lesben-Witze im Penthouse.

Don't Worry, He Won't Get Far on Foot. Regie: Gus Van Sant. Mit Joaquin Phoenix, Jonah Hill und Rooney Mara. USA 2018. 113 Minuten. (Vorführtermine)