Außer Atem: Das Berlinale Blog

Grüne Wüsten: Fernando E. Solanas' "Reise in die vergifteten Dörfer" (Special)

Von Lara Ladik
18.02.2018.


Auf unbefestigten Straßen, die sich als lange braune Schneisen durch den Wald ziehen, führt Fernando E. Solanas raus aufs Land, in die Provinz Salta im Norden Argentiniens, wo sich Sojaplantagen über tausende Hektar Land erstrecken. Diese sogenannten "grünen Wüsten" wirken auf den ersten Blick harmlos, doch ein Bauer der Region klärt gleich zu Beginn des Films über das Übel auf, das sich hinter der gewaltigen Monokultur verbirgt. Während er durch die kniehohen Pflanzenreihen streift, macht er seiner Empörung Luft: Die Arbeit für die industrielle Bepflanzung und Instandhaltung von Sojaplantagen ist heute von einer einzigen Person innerhalb von 20 Minuten erledigt, während die ehemaligen Pfirsichplantagen - er deutet traurig in die Weite, wo ein paar Bäume übrig geblieben sind - früher hunderte von Menschen beschäftigt haben. Davon ist heute nichts mehr zu sehen.

Die einseitige Monokultur brachte nicht nur Gifte ins Umland, sondern auch Dürre und Hunger mit sich, was schließlich zu einer Welle der Landflucht führte. Leer stehende und überwucherte Häuser, ehemals das Zuhause von Bauernfamilien, stehen vereinzelt unter ein paar Bäumen. Einige der Vertriebenen gehören dem indigenen Volk der Wichis an, das seit jeher in der Provinz seine Heimat hatte. Der über das Land führende Bauer hat eine traurige, aber längst tief sitzende Tatsache erkannt: "Soja hat das Denken und die Mentalität der Argentinier verändert". Da, wo Quantität die Qualität ersetzt hat, wurden die Menschen in Machtlosigkeit und Einsamkeit vertrieben. Wen interessiert das herzlich wenig? Monsanto natürlich, der Riesenkonzern, der das Monopol in der Sojaproduktion hält und Entwickler des unkrautvernichtenden Wirkstoffs Glyphosat ist, das weltweit in der Landwirtschaft eingesetzt wird.

Der Streit um das als krebserregend eingestufte Gift wird bekanntermaßen seit Jahren auch in Europa ausgetragen - wie verheerend es aber in Argentinien zum Einsatz kommt, führt Solanas, der vergangenes Jahr mit dem Goldenen Bären für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, mit seiner Dokumentation drastisch vor Augen. Flugzeuge, brausen über die Felder und lassen, ungeachtet der anliegenden Dörfer und Flüsse, das Gift auf die grünen Wüsten niederregnen. Was die Betroffenen dieser "vergifteten Dörfer" schildern, ist dramatisch und wird unterfüttert von erschreckenden Zahlen und schockierendem Bildmaterial aus medizinischen Recherchen, die jeglichen Zweifel an den verheerenden Folgen des Pflanzengiftes aushebeln: in einem Dorf wurden hunderte Menschen krebskrank, erlitten Haut- und Magenkrankheiten, zahlreiche degenerierte Föten kamen als Fehlgeburten und Babys mit schweren Missbildungen zur Welt. Dies und ein Gerichtsprozess um zwei Kinder, die sich beim Spielen am Fluss tödlich vergiftet hatten, bilden das Beweismaterial - mit grausamen Bildern, die nur schwer erträglich sind.



Wie weit das Gift auch außerhalb dieser schwer betroffenen Gemeinden greift, führt Solanas am eigenen Körper vor: Der alte Mann hat sich selbst einem Blut- und Urintest im Hinblick auf Glyphosatbefunde unterzogen. Die Gespräche mit den Ärzten und die Ergebnisse, die zum Ende des Films bekannt gegeben werden, umrahmen das, was der Film im Inneren dokumentiert: Glyphosat ist eine "stille Vergiftung", gegen die man seine Stimme erheben muss. Und das tut Solanas auch, indem er als Antwort auf die Ohnmacht der Opfer gegenüber dem Monsanto-Schrecken Aktivisten auf den Plan ruft: zweihundert Medizinstudenten, einheitlich in orangefarbene T-Shirts gekleidet, strömen in die Dörfer, um unter der Leitung ihres Professors die Missstände zu untersuchen, zu dokumentieren und Kranke zu behandeln. Die akute Hilfe wird zur Demonstration. Und obwohl Solanas auch einige Eigentümer erfolgreicher Öko-Bauernhöfe aufsucht, um exemplarisch nachhaltigen Anbau zu zeigen, bleibt die traurige Wahrheit: jene Lebensmittel, die wegen der strengeren europäischen Gesundheitsrichtlinien nicht hierher exportiert werden dürfen, landen auf argentinischen Tellern - und der Staat schaut weg.

Viaje a los Pueblos Fumigados - Reise in die vergifteten Dörfer. Regie: Fernando E. Solanas, Argentinien 2017, 97 Minuten (Vorführtermine)