Außer Atem: Das Berlinale Blog

Erzählt von der Erschaffung Brasiliens: Andrea Thomas' 'Vazante' (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
12.02.2017.


Der brasilianische Film ist in diesem Jahr gut auf der Berlinale vertreten, vor allem mit Regisseurinnen. In ihrem Historienfilm "Vazante" erzählt Andrea Thomas von der Entstehung des Landes aus Dreck, Gier und Unterwerfung. Es ist ein ambitionierter Film, der mit wenigen Mitteln auskommen musste.

Es ist eine Familiengeschichte, wie sie für das Jahr 1821 nicht ungewöhnlich gewesen sein dürfte. Aber sie ist erbarmungslos. Sie spielt in den Diamantenbergen von Minas, doch die Vorkommen sind erschöpft und die portugiesisichen Goldsucher verarmt. Das einzige, womit sie noch Geld machen können, sind ihre Töchter. Denn Frauen sind rar in dieser Gegend, in der Fieber, Wahnsinn und nackte Gewalt die Menschen dahinraffen.

Dem Viehtreiber und Sklavenhalter Antonio stirbt die Frau im Kindbett, er kauft sich ihre junge Nichte Beatriz, die Tochter seines verarmten Schwagers. Kaum hat er sein Angebot gemacht, prügelt die Mutter das Mädchen windelweich, weil es den Mann verhext habe. Beatriz ist noch ein Kind, nicht einmal in der Pubertät. Verstört, vereinsamt spielt es lieber mit den Kindern der Schwarzen als die Missus auf dieser Farm fernab der Zivilisation zu geben, auf der drei, vier Vorarbeiter Dutzende von Afrikanern in Schach halten. Ihr Mann Antonio weiß nicht, ob er ihr Puppen schenken soll oder sie mit Gewalt ins Bett zerren. Antonio lässt sie in Ruhe, doch man kann nicht wirklich erleichtert sein über das bisschen Restanstand, das er dem Mädchen gegenüber an den Tag legt. Statt ihrer holt er sich eine versklavte Frau ins Bett, mit der er bereits einen gemeinsamen Sohn hat.


Es passiert nicht viel in diesem Film. Auf Maultieren oder Ochsenkarren ziehen die Portugiesen durch die Sierra, die versklavten Afrikaner schleppen sich durch den Schlamm in schweren Eisenketten. Nicht vom Schicksal zusammengeführt, sondern von reiner Unmenschlichkeit versuchen sie alle, den Boden fruchtbar zu machen, die Hitze auszuhalten, zu überleben. Andrea Thomas erzählt von diesem Beginn einer Gesellschaft in sehr ruhigen Bildern, das Schwarzweiß betont vor allem in den Gesichtern enorm, es schafft Distanz, ohne die aufdringliche Erhabenheit auszustrahlen, wie etwa die Bilder eines Sebastiao Salgado.

Andrea Thomas findet sehr einfache, eindrückliche Bilder für die Gewalt, die Brasilien zu dem Land schmiedete, das es heute ist. Und sie weist auch auf einen weiteren, weniger augenfälligen Aspekt hin: Die Schwarzen kamen aus den unterschiedlichsten Gegenden Afrikas. Sie konnten sich untereinander kaum verständigen, denn sie sprachen nicht die gleichen Sprache. Das machte sie chancenlos gegenüber ihren Unterdrückern.

Vazante. Regie: Daniela Thomas. Mit Adriano Carvalho, Luana Nastas und anderen. Brasilien/Portugal 2017. 116 Minuten. (Vorführtermine)