Außer Atem: Das Berlinale Blog

Fördert Vertrauen statt Geld: 'Der Geldkomplex' von Juan Rodriganez (Forum)

Von Lukas Foerster
12.02.2015. Angelehnt an einen Briefroman von Franziska Gräfin zu Reventlow erprobt Juan Rodrigáñez revueartig verschiedene Methoden, kein Geld auszugeben.


Erst vor ein paar Tagen meinte jemand beim gemeinsam-Vor-dem-Kino-Herumstehen nach einem ganz anderen Film, dass der Begriff "Erzählökonomie" problematisch sei, weil er einen der Wirtschaft entlehnten Begriff gedankenlos auf ein anderes semantisches Feld übertrage. Ich hätte fast eingewendet, dass die Sprache solche Übertragungen andauernd vornehme, gemäß einer Eigenlogik, die sich um kulturelle Semantiken nicht unbedingt schere. Statt dessen meinte jemand anderes: Das liege einfach daran, dass die Wirtschaft im Kapitalismus alle anderen Lebensbereiche durchdringe. Nach dem kleinen, faszinierenden spanischen Forumsfilm "Der Geldkomplex" kam mir dieses Gespräch wieder in Erinnerung.

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Das Geld beschaffen soll der Regisseur: Juan Rodrigáñez taucht in der ersten Szene seines Debütlangfilms selbst auf. Er wird nach Düsseldorf geschickt, wo er bei einem gewissen Herrn Müller vorstellig werden soll, zwecks Finanzierung eines nicht näher spezifizierten Projekts. Aber erst einmal wird ein deutscher Satz geübt: "Wir brauchen eine Million." Danach verschwindet Rodrigáñez aus dem Film. Geld treibt er sowieso keines auf. Das fehlende Geld ist konstitutiv für den Film, auf mindestens zwei Ebenen: Als freie Adaption eines Briefromans von Franziska Gräfin zu Reventlow (mit Joachim Lottmann hat der Film nichts zu tun) verhandelt "Der Geldkomplex" die Abwesenheit von Geld, als No-Budget-Produktion agiert er sie aus. Eine dritte Ebene, vielleicht: Als Formexperiment widersetzt sich der Film allem, was man, zu Recht oder zu Unrecht, als Erzählökonomie bezeichnet.

Der Film spielt in einem sonnendurchfluteten Landhaus und drumherum, irgendwo im idyllischen südspanischen Nirgendwo. Dort hat sich eine Gruppe von Menschen im jungen bis mittleren Alter versammelt. Zu Filmbeginn ist das eine ziemlich lebendige Gemeinschaft: Man kocht gemeinsam Paella (die lustigste Szene in einem ohnehin ungemein lustigen Film), man flirtet, zwischendurch langweilt man sich ein wenig, aber nur, bis man sich zu wundern beginnt, wie es sein kann, dass jemand alleine ein Klavierstück für vier Hände spielt.

"Der Geldkomplex" ist ein Spielfilm von sozusagen minderer Fiktionalität: Die Menschen, die in ihm auftauchen, sind in erster Linie Kumpels, die sich für ein weitgehend improvisiertes Filmprojekt zusammen gefunden haben. Figuren sind sie höchstens in zweiter Linie. Wobei es schon einige Setzungen gibt: Eine der Frauen ist eine Braut, einer der Männer ist Italiener (und mächtig stolz auf sein Heimatland). Irgendwo im Hintergrund scheint es ein großes, gemeinsames Projekt zu geben, aber worin das bestehen könnte, bleibt unklar; vielleicht kann man sagen: Erst das Geld würde die Abhänggemeinschaft zur Handlungsgemeinschaft vereindeutigen. Aber das Geld ist in Deutschland, bei Herrn Müller.

Und auch die Abhänggemeinschaft ist nicht besonders stabil. Ungefähr nach der Hälfte des Films brechen all die von Anfang an nicht allzu soliden Handlungsfäden in sich zusammen. Der Film bremst sich selbst komplett herunter, für eine ganze Weile ist da nur noch die entspannte tote Zeit Südspaniens, die (wie der ganze Film) in maximal unaufdringlichen, fast ungeformten, im besten Sinne kunstlosen Einstellungen eingefangen wird. Anschließend werden, in lockerer, revueartiger Folge, andere Methoden erprobt, kein Geld auszugeben: Eine Frau liest einen Brief vor, eine andere imitiert ein Huhn, irgendwann beginnen alle zu singen. Man muss dem Film wohl von Anfang an vertrauen, um überall mitzugehen (darauf läuft es am Ende hinaus: Vertrauen statt Geld). Wenn man das tut, ist, und da muss der Leser jetzt mir vertrauen, alles ganz wunderbar.

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Noch bizarrer als der Film gestaltete sich seine Premiere Montagabend: Ausgerechnet während der absichtsvoll toten, dialoglosen Phase in der Mitte des Films brach am Rand des Zuschauersaales ein Streit aus. Ein vermutlich alkoholisierter Mann beschimpfte seine Begleitung ausgiebig und lautstark. Da er ihr unter anderem vorwarf, irgendwelches Geld nicht zurückgezahlt zu haben, kam ich (wie auch einige andere Zuschauer vermutlich) kurzfristig auf die Idee, dass die Filmemacher selbst eine Intervention in den eigenen Film inszenieren würden. Das Ganze war dann aber doch nur ein Fall für die Security.

Juan Rodrigáñez: "El complejo de dinero - Der Geldkomplex. Mit Lola Rubio, Gianfranco Poddighe, Rafael Lamata, Eduard Mont de Palol, Jorge Dutor, Katrin Memmer, Pablo Herranz, Juan Rodrigáñez, Cecilia Molano, Julia de Castro, Miguel Rodrigáñez. Spanien 2015, 76 Minuten. (Vorführtermine)