Vom Nachttisch geräumt
Erst im Theater sieht man, was wirklich ist
Von Arno Widmann
22.01.2020. Satan als jugend- licher Held: Johann Heinrich Füssli bediente den Hunger nach Theaterbildern.
Shakespeare und Milton waren Füsslis literarische Helden. Oder wurden es übermächtig, als er merkte, wie stark die Nachfrage nach Szenen aus deren Stoffen war. Nicht nur das: Es gab einen Hunger nach Theaterbildern. Nach Gemälden, die Szenen, die man aus dem Theater kannte, in dramatischer Bühnenbeleuchtung festhielten oder auch erst kreierten. Füssli war im theaterverrückten London genau der richtige Mann am richtigen Ort. Allerdings herrschte noch Zensur. Es gab immer noch nur zwei öffentliche Bühnen. Es entstanden damals Galerien, die Theaterbilder ausstellten. Der Maler sollte nicht die Wirklichkeit darstellen, sondern die Theaterszene. Besser noch: Szenen, die in dieser Intensität und Konzentration kein Theater bieten konnte. Der Schrecken, der zum Erhabenen gehört, sollte auch von der Leinwand aus den Besucher anspringen. Satan ist bei Füssli kein Greis mit Hinkefuß, sondern ein jugendlicher Held.
Aber der wahre Schrecken liegt in uns selbst. Füssli soll gesagt haben: "Was, so frage ich, könnte ihnen einen größeren Schrecken einflössen, als wenn sie eines Abends nach Hause kommen und sich an ihrem eigenen Tisch sitzend… anträfen?" Sich selbst zu begegnen - das ist das Ende. Der Verdopplung der eigenen Existenz zu begegnen ist der Beginn ihrer Vernichtung. Man sieht auf Füsslis Bilder mit anderen Augen. Das ist eine Moderne, mit der wir erst später rechneten. Karl Heinz Bohrer hat uns die Romantik bereits als Schreckenskammer, als Versuch plötzlicher Überwältigung geschildert. Hier sieht man es und man begreift, wie reflektiert, wie vielfach dieser Gedanke gebrochen wurde, bevor er auf der Leinwand auftraf.
Fuseli. Drama and Theatre, hrsg. von Eva Reifert, Prestel Verlag, München 2018, 95 farbige und 29 s/w Abbildungen, in englischer Sprache, 240 Seiten, 49 Euro.
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