Post aus Neapel

Wie Berlusconi Fiat retten will

Von Gabriella Vitiello
11.12.2002. Fiat ist pleite, tausende Angestellte werden entlassen. Doch Berlusconi weiß Rettung: Im Pflegedienst sind noch Stellen frei, und auch Schwarzarbeit ernährt ihren Mann.
Bei seinem ersten großen Auftritt vor der internationalen Presse präsentierte John Philip Elkann keine neuen Autos, sondern Kunst. Der 27-jährige Enkel des Fiat-Ehrenpräsidenten Giovanni Agnelli gilt als designierter Thronfolger der Agnelli-Dynastie und eröffnete Ende September auf besonderen Wunsch seines Großvaters die Pinacoteca di Giovanni e Marella Agnelli. Die 23 Bilder und zwei Skulpturen, die das Ehepaar Agnelli aus seiner privaten Stiftung der Stadt Turin vermachte, krönen seitdem das historische Fiat-Werksgelände, den Lingotto. Damit war die Umwandlung der alten Auto-Fabrik durch Stararchitekten Renzo Piano in ein post-industrielles Kultur- und Messezentrum (Bilder) abgeschlossen.

John Elkann, Spross der Künstlerverbindung zwischen der Malerin Margherita Agnelli und dem Schriftsteller Alain Elkann (ein paar Infos hier), verkörpert perfekt die Menage zwischen Industrie und Kultur. Er sitzt im Verwaltungsrat sowie im Vorstand von Fiat, sieht aus, als käme er als Attraktion für ältere Herren mit homoerotischen Neigungen aus einem Visconti-Film (Foto), und sagte auf der Eröffnungszeremonie der Pinakothek zur Zukunft des Fiat-Konzerns: "Da ich die Ausstellung eröffne, nehme ich mal an, dass damit eine neue Epoche beginnt."

Das neue Fiat-Zeitalter könnte allerdings das letzte sein. Fiat ist pleite (hier ein Dossier zur Fiat-Krise) und die Krise des Turiner Industriekonzerns führte vor wenigen Tagen zu einer neuen, unerwarteten Vermählung von Kunst und Auto. So hatte sich John Elkann die neue Fiat-Epoche sicherlich nicht vorgestellt: Bevor Riccardo Muti mit Glucks "Iphigenie in Aulis" die Mailänder Opernsaison eröffnete, verlas der Direktor der Scala, Luca Bonini, im neuen Teatro degli Arcimboldi - wegen Sanierungsarbeiten musste die Scala in das Theaterhaus am Stadtrand umziehen, wo früher die Pirelli-Werke standen - eine Mitteilung der streikenden Alfa Romeo-Arbeiter von Arese (Alfa ist Teil des Fiat-Konzerns, hier das Alfa-Museum). Damit protestierten die Arbeiter gegen die Schließung des Mailänder Alfa-Werkes und wandten sich gegen das umstrittene Fiat-Rettungsprogramm, das die Regierung Berlusconi über die Köpfe der Gewerkschaftsführer hinweg mit der Konzernspitze ausgehandelt hat; und das bislang mehr als 5000 Arbeiter auf unbestimmte Zeit in die Arbeitslosigkeit entlassen hat.

"Die Schließung von Alfa bedeutet nicht nur die Verschlechterung der Lebensumstände von Tausenden von Familien, sondern auch die allgemeine Verarmung der Produktivkräfte, der Geschichte und der Zukunftsperspektiven dieses Landes" - so der zentrale Punkt der Mitteilung. Umberto Eco (mehr hier), Italiens berühmtester Semiotiker und Schriftsteller, lobte die ungewöhnliche Protestform in der Oper: "Vor dreißig Jahren protestierte man gegen Pelzmäntel, heute gegen ein Problem, das ganz Mailand betrifft. Die Scala hat ihre Kultur unter Beweis gestellt." (Mehr zum Protest in und vor dem Theater hier.)

Auch Italiens Premier Silvio Berlusconi wollte mal wieder seine Kultur beweisen und vermischte seine vielseitigen Talente als Arbeiter-Medien-Unternehmer-Präsident mit der Kultur des Buches und der Tradition der italienischen Institutionen. Dabei folgte er dem derzeitigen Trend, im kulturellen Kontext über Industrie und Politik zu sprechen. In Rom stellte er gemeinsam mit dem Direktor der Turiner Tageszeitung La Stampa, Marcello Sorgi, das neue Buch von Bruno Vespa vor. "La grande muraglia" (Die große Mauer), Vespas zehntes Buch in zehn Jahren, ist im Mondadori Verlag erschienen, der zum Medienimperium Berlusconis gehört. Der Journalist Vespa ist außerdem Zeremonienmeister des TV-Talk-Salons "Porta a Porta" auf RAI Uno.

Diesen komplizierten Guiness-Rekord des Berlusconischen Interessenkonflikts hat der Musikjournalist Alessandro Robecchi im linksintellektuellen Tagesblatt il manifesto virtuos zusammengefasst: "Erstens: der Autor präsentiert sein Buch (Mondadori Verlag) gemeinsam mit seinem Verleger, perfekt. Zweitens: Der Autor ist gleichzeitig ein wichtiger Journalist des öffentlichen Fernsehens und stellt sein Buch gemeinsam mit dem Besitzer der konkurrierenden TV-Gruppe (Mediaset) vor. Drittens: Der Besitzer der TV-Konkurrenz ist gleichzeitig die politische Kontrollinstanz des öffentlichen Fernsehens und eine Art 'verlegerischer Fixpunkt' für den Autor. Und er ist der Präsident der Abgeordnetenkammer. Das wurde er (unter anderem auch), weil er in der Sendung des Autors den 'Vertrag mit den Italienern' unterschrieb. Der Autor bedankt sich und schreibt politische Analysen in einer bekannten Wochenzeitung, die zum Besitz seines Doppelt-und-Dreifach-Herausgebers gehört."

In diesem schwindelerregenden Interessen-Konzentrat läuft Berlusconi zur Höchstform auf, spielt Agnelli, gesteht seinen "Überlegenheitskomplex" ein und nimmt kurzentschlossen die Fiat-Krise selbst in die Hand. Sein Marketing-Rezept besteht aus drei Komponenten. Erstens: da es sich um eine vorrübergehende Krise handelt, muss das Management ausgetauscht werden, das kein Vertrauen in die Zukunft hat. Zweitens: Weg mit der Fiat-Marke! Erhalten werden nur Alfa Romeo und Ferrari, und die alten Fiats werden in Ferrari umbenannt. So wird aus dem Fiat-Stilo "Ferrari Woman" oder "Young Ferrari" oder gar ein Ferrari-Panda. Drittens: Die Arbeiter des Fiat-Werks von Termini Imerese in Sizilien werden in Krankenpfleger oder -schwestern umgewandelt. "In Italien mangelt es an Pflegekräften. Es müssen ja nicht alle 1800 Arbeiter sein, aber es werden ja zehn oder auch vierzig darunter sein, die schon mal einen Erste-Hilfe-Kurs belegt haben oder für das Erste-Hilfe-Schränkchen im Aufenthaltsraum verantwortlich waren" - so der Premier (hier einige Sanierungsempfehlungen im Original).

Wenn er nicht so viel zu tun hätte, würde er Fiat gleich selber kaufen, merkt Berlusconi an. Die "17 Stunden Arbeit täglich" halten ihn jedoch nicht davon ab, das Amt des Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi anzustreben - allerdings nur, wenn der oberste italienische Posten nach französischem Vorbild reformiert wird: "Sehen Sie Vespa, in einem Präsidentialsystem ist der Präsident für die Regierung verantwortlich, er ernennt den Premier, hat den Vorsitz über den Ministerrat und trägt viel mehr Verantwortung" - lautet die Vision Berlusconis.

Während der Premier seine Pläne für die Zukunft ankündigt, setzt sich Umberto Bossi, der Vorsitzende der Lega Nord und Minister für Reformen in Berlusconis Casa delle Liberta-Bündnis für die Realisierung der sogenannten Devolution ein (übrigens auch auf einer Buchpräsentation von Vespas neuestem Werk, diesmal allerdings in Mailand). Der Föderalismus-Entwurf - sponsored by Berlusconi und ganz nach Geschmack des Lombardei-Patrioten Bossi - wurde bereits vom Senat abgesegnet. Der moderate Politiker Agazio Loiero bezeichnet in der Tageszeitung Unita die Devolution Bossis als "wilden Föderalismus: ein konstitutionelles Implantat, in dem die Blutsbande, die Sprache und der Dialekt Vorrang haben vor der Logik gemeinsamer Werte. Ein abenteuerlicher Rückschritt in Anbetracht der institutionellen Kultur der westlichen Welt."

Der Philosoph und Ex-Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacciari, gesteht il manifesto gar seine Angst in Anbetracht des Berlusconi-Bossi-Projektes und sieht Italien in den Ruin gestürzt. Berlusconi verfolge mit diesem "ruchlosen Pakt" im Eiltempo seine Strategie des Präsidentialismus weiter, dabei erfülle die Devolution nur den Zeck, die Institutionen zu zerschlagen und Chaos zu verbreiten - analysiert Cacciari: "Da gibt es einen Bossi, der die Rolle des Rammbocks übernimmt, alles kurz und klein schlägt und den Begriff 'Föderalismus' in den Dreck zieht; und einen Berlusconi, der plötzlich hervorschießt und im richtigen Moment nach dem 'Starken Mann' ruft."

Denn nur als starker Mann kann Berlusconi all seine Interessen befriedigen, mutmaßt der Musikjournalist Alessandro Robecchi und sieht als Ursache der unersättlichen Gier des Premiers den ungelösten Interessenkonflikt Berlusconis an, der viel zu lange keine Beachtung fand: "Der Interessenkonflikt hat sich ausgebreitet wie ein Virus, hat jegliches anderes Interesse angesteckt und somit endlose Konflikte geschaffen. Dieses totale und gleichzeitig lähmende Verstrickung lässt sich nur noch auf eine Art und Weise lösen: indem alle Interessen zentriert und die Wirtschaft, die Politik , die Information, der Staat, der Markt, das Öffentliche und das Private in einem einzigen Persönchen konzentriert werden." Falls Berlusconi dann ein großes Problem mit sich haben sollte, kann er dies ganz einfach selber lösen, prophezeit Robecchi: "Er kauft sich selbst. Vorher muss er aber den Preis drücken, schließlich geht es ums Geschäft."

Bevor jedoch der italienische König Midas sich selbst zu Gold macht, gibt er den arbeitslosen Fiat-Angestellten noch einen Tipp, wie sie ihr mageres Arbeitslosengeld aufrunden können: "die, die wirklich wollen, werden sicherlich eine zweite Arbeit finden - vielleicht nicht gerade eine offizielle - aus der dann zusätzliche Einnahmen für die Familie resultieren." Für die Aufforderung zur Schwarzarbeit brauchte Berlusconi noch nicht einmal den Rahmen einer Buchpräsentation. Die Telefonschaltung zur Nachrichtensendung seines Hausberichterstatters Emilio Fede auf dem Sender Rete 4 (Mediaset) reichte dem Premier, um über die Fiat-Krise zu plaudern.

Mit seinem Aufruf zur Schwarzarbeit hat sich Berlusconi endgültig geoutet, meinen viele Linksintellektuelle. Auch Roberta Carlini, die Vizedirektorin des manifesto, will in Berlusconis Aussprüchen nicht einfach nur die üblichen vom Premier produzierten Peinlichkeiten sehen, sondern für sie ist die "Kultur der Illegalität" Berlusconis "Essenz und die tragende Struktur der Casa delle Liberta".

Während sich die Intellektuellen noch Gedanken machen über Berlusconis soziale und wirtschaftliche Destabilisierungsstrategien, die Italien ins Chaos stürzen, Berlusconi aber auf den Präsidententhron heben sollen, werden im Fiat-Agnelli-Establishment die Karten neu gemischt. Einen Manager trifft das gleiche Schicksal wie viele Arbeiter - er wird nicht mehr gebraucht. Damit wirkt Berlusconis Fiat-Nothilfe-Programm im Nachhinein wie eine düstere Prophezeiung. Auch sein Wunsch vom Fiat-Ferrari könnte in Erfüllung gehen, denn plötzlich sei eine Luxus-Gruppe, bestehend aus Ferrari, Alfa und Maserati, in der Fiat-Spitze im Gespräch, berichtet die Tageszeitung La Repubblica. Sogar Ferrari-Chef, Luca Cordero Montezemolo, kann sich bereits vorstellen, den neuen Sportwagen-Koloss zu managen (hier die Fiat-Seiten der Repubblica). In diesem Untergangsszenarium der Auto-Industrie stehen aber nicht nur Pkw oder Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Spiel, sondern auch der Corriere della Sera, der mit dem Fiat-Imperium verflochten ist. Kritische Beobachter sehen im Vorgehen Berlusconis einen Angriff auf die Tageszeitung, die noch nicht zu seinem Medienimperium gehört.

Ähnlich katastrophal wie das Machtspiel um die Auto-Agonie ist die Diagnose, die der renommierte Psychoanalytiker Mauro Mancia dem 'Patienten' Berlusconi stellt. In der TV-Polit-Talkrunde des Journalisten Gad Lerner auf La7 bescheinigte Mancia (das Gespräch war aufgezeichnet) dem Premier mit dem selbst diagnostizierten Überlegenheitskomplex genau das Gegenteil: "Er ist ein kleiner Mann mit wenig Charme, der sich kleidet wie die Schaufensterpuppe in einem Provinzgeschäft. Er benutzt eine banale Sprache und verneint alles, was offensichtlich ist. Für ihn stellt die Lüge eine relationale Regel dar und seine projizierende Innenschau bringt ihn dazu, dass er seinen Gegnern seine eigenen Schwächen andichtet, angefangen bei der Lüge. Bleibt zu wünschen, dass er das Bedürfnis verspüren möge, sich zu kurieren." Ob eine eventuelle Behandlung mit dem unbefristeten Fahren eines Fiat 500 unterstützt werden sollte, verrät Mancia allerdings nicht.

Sollte es Berlusconi tatsächlich bis zum heißersehnten Präsidentenamt schaffen (und nicht zur empfohlenen Therapie), lässt er sich vermutlich lieber gleich ein Berlusconi-Mobile bauen - mit Sonderausstattung: drei Bildschirme zeigen seine TV-Programme nonstop, der Corriere della Sera ist abonniert und die gesammelten Werke von Bruno Vespa liegen ihm zu Füßen.