Magazinrundschau - Archiv

Observator Cultural

10 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 07.07.2009 - Observator Cultural

Was ist noch schlimmer als westlicher Kapitalismus? Ein Kapitalismus, der sich hinter Hammer und Sichel verbirgt. Der moldawische Journalist und Übersetzer Leo Butnaru schickt einen gepfefferten Brief aus Chisinau, der Hauptstadt Moldawiens, wo es nach den Wahlen am 7. April zu schweren Protesten gegen den Wahlsieg der Kommunisten kam. Butnaru erklärt, wie die Wahlen manipuliert wurden - einem Großteil der im Ausland arbeitenden Moldawier wurde es unmöglich gemacht zu wählen - und um welche Art von Regime es sich in Moldawien handelt: "Wir haben es hier mit einem Mutanten zu tun, der schwer zu beschreiben ist. Dieser märchenhafte Bastard, Kommuno-Kapitalismus, sieht besonders abstoßend aus im Spiegelkabinett eines mysteriöserweise weiterbestehenden, zurückgebliebenen Bolschewismus, mit dem die europäische Autokratie und Diplomatie weiterhin flirtet. Ich wüsste zum Beispiel sehr gern, warum letzten März seine Exzellenz, der frühere britische Botschafter in Chisinau, John Beyer, sich von Towarischtsch Voronin dekorieren ließ, von einem Diktator, Heuchler, Angeber und Verächter der europäischen Idee, einem eingefleischten Bolschewiken durch und durch, der vom 'multilateral entwickelten' Kapitalismus profitiert - um eine Phrase aus den alten Parteiprogrammen zu benutzen."

Beyer ist nicht der einzige, den Butnaru aufzählt: auch der Schweizer Sepp Blatter, Präsident der FIFA, Terry Davis, Generalsekretär des Europarats, der österreichische EU-Politiker Erhard Busek, Bulgariens Präsident Gheorghi Pirvanov und der kroatische Präsident Stjepan Mesic ließen sich Orden an die Brust heften. (Mehr über die Wahlen in der NZZ.)

Außerdem: Der in den USA lebende rumänische Schriftsteller Norman Manea, Susan Harris von "words without borders", die amerikanische Übersetzerin Susan Bernofsky und der Verleger Chad Post unterhalten sich über den Markt für Übersetzungen von Literatur und das Übersetzen an und für sich.

Magazinrundschau vom 12.05.2009 - Observator Cultural

Das Übersetzungsprojekt des Cultural Observator ist diesmal Filip Florian gewidmet. Auf Deutsch ist im letzten Jahr sein Roman "Kleine Finger" veröffentlicht und sehr gut besprochen worden. Der Haupttext ist ein Auszug aus Florians Roman "Die Tage des Königs". Erzählt wird die Geschichte eines Berliner Zahnarztes, der im Jahr 1866 nach Bukarest reist, dort ein in zahnärztliches Kabinett gründet und sich mit dem Fürsten Carol I. befreundet.

Hier der Anfang: "Im Juni, wenn die Sommersonnenwende naht, zieht die Morgendämmerung früher herauf als sonst. An diesem Mittwoch jedoch zeigte sich keine aufgehende Sonne. Die mit Koffern, Taschen und Kisten beladene Kutsche setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, eines der Pferde (eine hochbeinige graue Stute) schnaubte und warf den Kopf herum, als wollte es in die Zügel beißen, das andere (ein Fuchs mit einer Narbe am Hals) reckte die Brust, und aus einem abgedeckten Weidenkorb maunzte Kater Siegfried kläglich. Der Zahnarzt verlor die grünen Fensterläden und die schwere Tür der Herberge, den Wasserbottich im Hof und die Margeritenstauden am Tor aus den Augen, dafür sah er eine getirgerte Katze flink über die Spitzen der Zäune laufen, wobei sie die fehlenden Latten mit traumwandlerischer Sicherheit übersprang, hartnäckig darauf bedacht, mit den Pferden Schritt zu halten. Sie dünkte ihm durchaus ansehnlich, mitsamt dem dicken Bauch."
Stichwörter: Bukarest, Florian, Filip, Narben

Magazinrundschau vom 03.03.2009 - Observator Cultural

Die Romane und Kurzgeschichten des Schriftstellers Stefan Agopian markieren einen wichtigen Punkt in der Emanzipation der rumänischen Literatur vom sozialen Realismus der fünfziger Jahre, schreibt Jean Harris in ihrer an Eugen Negricis Essay über den Magischen Realismus Rumäniens angelehnten Einführung zum Werk Agopians: "Für rumänische Schriftsteller, die lange Zeit besessen davon waren, die kreative Atmosphäre der Jahre zwischen den Kriegen wiederzuentdecken, führte die Rückkehr der (post-stalinistischen) 'Normalität' zu einer Art Neuerfindung des Alphabets der Dichtung, einem Ereignis nicht unähnlich der Erfindung des Rads. Was vor allem zählte, war das Recht, realistische Prosa mit erzählerischen Techniken zu produzieren und traditionelle Typologien mit sozialen oder psychologischen Motiven, aber ohne gefährliche politische Implikationen ... Die Literatur befreite sich von der 'Tyrannei des Typischen' und ging über zum Außergewöhnlichen, Marginalen, nie Dagewesenen ... Stefan Agopian betrat die literarische Szene und ließ der kreativen Fantasie freien Lauf, er rief unversehens eine konsequente und kreative Irrealität ins Leben, die sich keiner realistischen Bestimmung bewusst war..."

Lesen dürfen wir auf Deutsch einen Auszug aus Agopians "Geschichten des Geografen Ioan". Sie beginnt so: "Lang zogen sich damals die Tage dahin, die Dunkelheit scheinbar endgültig von sich gestreift, staubig und wehmütig. Von irgendwo her ließ Er, einen endlosen Blick aufgelegt und engelumgeben, unseren Schritt sich verlangsamen, uns so zur Ruhe kommen. Der Speichel gerann uns letztlich zu einem Gemisch wie fusselige Watte und unsere Worte verendeten langsam. Wir versanken im Gehen in einer Art schlangenhaften Schweigens, während die seitlich abgerutschte Sonne ins Feld ausblutete. Erhaben wollten wir, die Waffen fest an den Leib geschnallt, sein."

Magazinrundschau vom 03.02.2009 - Observator Cultural

Der Observator Cultural stellt in einer neuen Ausgabe seines Übersetzungsprojekts die Schriftstellerin Gabriela Adamesteanu vor. Übersetzt ist ein Auszug aus Alain Nicolas' Besprechung von Adamesteanus Roman "Verlorener Morgen" in L'Humanite. Hier ein Auszug aus dem Roman auf Deutsch: "Früher, hätte sie damals so stillgesessen, ohne aus dem Haus zu gehn, da wär ihr wohl die Decke auf den Kopf gefallen. Irgendwann hielt es sie nicht mehr, und auf ging?s. Alle klapperte sie ab, an einem Tag den einen, am andern Tag den andern, bei keinem ging sie leer aus, man redete auch noch ein Wörtchen, sie erfuhr noch das eine oder andere, denn immer nur mit diesem Holzklotz von einem Mann herumhocken, das ist ja zum Auswachsen. Mit ihm hat sie sich nie was zu sagen gehabt, was redet man denn auch mit dem Mann?!
'Der Mann braucht dich nur bis zum Gürtel kennen ...', sagt sie, und wenn die das hört, ihre Schwägerin, dann wird die gleich böse:
'Halt doch den Mund, Vica, verdammt, der Junge hört dich ... Bist eine alte Frau und hast immer noch Schweinkram im Maul ...'
'Ach herrjeh ... Und was ist, wenn er?s hört? ... Soll er doch! Wirst ihn nicht mehr lang unter deinen Röcken halten! ... Keine Sorge, bin auch in allerhand großen Häusern gewesen, ich weiß, wie auch die feinen Damen reden ... Wo immer ich herumgekommen bin, man hat mich verstanden, man tat mich mögen und schätzen, auch bei der Madam Ioaniu, was haben wir doch gelacht mit ihr und der Ivona ...' "

Lesen dürfen wir außerdem einen Auszug aus "Der immergleiche Weg eines jeden Tages" und aus dem Roman "Die Begegnung", den Carmen Musat vorstellt.

Magazinrundschau vom 13.01.2009 - Observator Cultural

Die neueste Ausgabe des Übersetzungsprojekts des Observator Cultural präsentiert Radu Cosasus Text "Ein Olivenzweig". Leider gibt es keine Biografie des Autors. Und auch im Netz finden sich - außer auf Rumänisch, versteht sich - kaum Informationen über Cosasu. Gefunden haben wir nur eine englische Seite, auf der rumänische Schriftsteller erklären, warum Cosasu einer der wichtigsten Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg ist.

Und hier der Anfang von Cosasus "Ein Olivenzweig": "Tinibalda hatte mir vorgeschlagen, auf den Königsstein zu steigen, um alles um uns zu vergessen. Ich liebte sie. Sie hatte sehr breite Hüften, aber sie scherte sich nicht darum. Sie scherte sich um gar nichts. Sie trug enge Kleider, die ihr nicht gerade schmeichelten, aß aber Jonathan-Äpfel, von denen es ihr verging, wie sie sagte?Was verging ihr? Sie ließ ihre Sätze in der Luft hängen. Ich war begeistert von ihrer Verachtung für Sätze. Sie glaubte an mein Talent. Verlangte ich Details, so erzählte sie bereitwillig und sagte mir, dass ich daran schon nicht sterben werde. Kein Mensch stirbt, nur, weil er mal hungern muss."

Magazinrundschau vom 16.12.2008 - Observator Cultural

Ovidiu Simonca unterhält sich mit dem Schriftsteller Mircea Horia Simionescu, der in diesem Jahr achtzig Jahre alt geworden ist. Den Vorwurf, misogyn zu sein, entkräftet er fröhlich: "Ich war nicht gerade ein Schürzenjäger, aber ich konnte mit Frauen. Ich war ständig verliebt." Aber besser fürs Geschäft waren die schlechte Erfahrungen: "Ich will nicht nochmal erzählen, wie nützlich die Erfahrung, betrogen zu werden, für das Schreiben ist. Ich wollte immer wissen: Weiblichkeit und Frauen waren Studienobjekte für mich. Man ist nicht ganz vollständig, wenn man durch diese Dinge nicht durchgegangen ist. Ich habe auch ein Zugunglück erlebt. Einmal war ich auch in den Bergen mit zwei Mädchen. Ich war für sie verantwortlich, und während wir zum Piatra Arsa wanderten, gerieten wir in einen Schneesturm. Wir sahen in den Abgrund hinunter, Wir hätten alle drei sterben können. Alles, was passierte, war gut fürs Schreiben. Alle Abenteuer, alle Unfälle, der Selbstmordversuch. Alles. Ich frage Sie: Ist das nicht verrückt?" (Auszüge aus seiner "Bibliografia generala" kann man hier auf Deutsch lesen.)

Magazinrundschau vom 04.11.2008 - Observator Cultural

Der Observator Cultural hat ein neues Dossier zu dem Schriftsteller Mircea Nedelciu. 1950 in eine Bauernfamilie geboren, hat er 39 Jahre unter einem totalitären Regime verbracht. Die restlichen zehn Jahre kämpfte er gegen seine tödliche Krankheit, das Hodgkin-Lymphom. In einer Einführung zu Nedelcius Werk zitiert Sanda Cordos aus Nedelcius Text "Der horizontale Mensch", in dem er sich mit dem Tod auseinandersetzte: "die Konfrontation ist unausweichlich, du musst kämpfen und kannst dich nicht mehr drücken. (...) Was das angeht, kann die Position des horizontalen Menschen geradezu ein Trumpf sein: du kannst nicht mehr nach unten fallen, es gibt für dich nur vorwärts oder rückwärts (ein strategisches Rückwärts versteht sich natürlich). Es wird sich zeigen, wohin das alles führen mag, aber so viel sei schon mal gesagt: ich habe einige Tricks entdeckt (bei manchen Gegnern hätte es ohne Tricks gar keinen Sinn, überhaupt zu kämpfen). Zum Beispiel ausführlich ein gesundes Bein zu beschreiben, die Zehen, wie sie sich frei nach unten oder oben ausstrecken, die Beweglichkeit eines feinen Knöchels, die spielende Leichtigkeit der Waden und Schenkel beim Tanz - das alles macht die Strategie meines abscheulichen Widersachers zunichte. Denn er weiß zwar, dass meine Beine bereits ihm gehören, aber ich spreche nicht von meinen Beinen, sondern von anderen: es gibt so viele und wird immer neue geben!"

Eine Leseprobe aus Nedelcius "The Controlled Echo Effect" gibt's im Augenblick leider nicht auf Deutsch, aber auf Englisch, Russisch, Ungarisch, Polnisch, Niederländisch, Spanisch, Französisch und Italienisch.
Stichwörter: Trickster, Wade

Magazinrundschau vom 28.10.2008 - Observator Cultural

In der englischen Sektion des Observator cultural blickt die Literaturwissenschaftlerin Carmen Musat in einem vor Informationen und Autorenhinweisen strotzenden Text auf die rumänische Literatur der achtziger Jahre zurück, die ihrer Meinung nach durchaus als postmodern gelten kann. "Die subversiv-politische Dimension der rumänischen Postmoderne führte wie in den anderen exkommunistischen Ländern zur Ausbildung spezieller ästhetischer Strukturen, die sich von denen der amerikanischen Postmoderne erheblich unterschieden. Ich denke an den 'Neuen Humanismus', den Alexandru Musina theoretisch begründete und den Liviu Petrescu für das entscheidende Merkmal der Literatur in den achtziger Jahren hält. Die rumänische Postmoderne war das Ergebnis spezifischer Erwartungen und entsprang nicht so sehr einem ökonomischen und politischen Kontext, sondern, wie Magda Carneci in ihrem Essay schreibt, einer Vielzahl von soziokulturellen und psychologischen Gründen, unter denen die Ablehnung des von der Partei propagierten Neuen Menschen eine äußerst bedeutende Rolle spielte. Die Romanciers der 80er Jahre zeigten ein unverhülltes Interesse an der Authentizität der Sprache und des täglichen Lebens, an den einfachen Leuten, aber auch an den gebildeten und gelehrten... Eine neue Sensibilität richtete sich auf das alltägliche Leben, auf das Treiben in der Stadt, auf die Wiederentdeckung des Menschlichen an sich nach Jahrzehnten, in denen Literatur sich ausschließlich für bloße Individuen zu interessieren schien."

Magazinrundschau vom 14.10.2008 - Observator Cultural

Wir haben vor einiger Zeit schon mal auf das phantastische Übersetzungsprojekt der rumänischen Kulturzeitschrift Observator Cultural hingewiesen. Inzwischen sind die Dinge vorangeschritten - und zwar auf Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch und Polnisch. Die erste Ausgabe war dem Schriftsteller Stefan Banulescu gewidmet, die zweite Gheorghe Craciun - mit einem Auszug aus Craciuns Roman "Pupa Russa" und einem Essay von Caius Dobrescu, der Craciun als "Bertrand Russell Wagner'schen Odems" vorstellt.

Die nunmehr dritte Ausgabe ist dem Autor Stelian Tanase gewidmet. Es gibt einige Dinge, "die ein potentieller Leser rumänischer Literatur gerne wüsste", behauptet einleitend und völlig zu Recht die Übersetzerin und Autorin Jean Harris, zugleich Direktorin des Übersetzungsprojekts. Zum Beispiel, dass "Rumänien Weltmeister im Geschichtenerzählen (ist), weil es Weltmeister der Regimewechsel ist". Bevor Harris konkret auf den Schriftsteller Stelian Tanase eingeht, gibt sie einen kurzen Abriss der rumänischen Geschichte und Grundvoraussetzung der rumänischen Literatur: "Langfristig betrachtet zählt die Feststellung, dass das rumänische Problem immer schon war, 'wie man es schafft, zu überleben'. Oft genug war es 'wie man es schafft, nicht zu sterben'. Und oft war es auch 'wie man stirbt' - wie man eine geistige Haltung findet, durch die man sich den Tod zum Freund macht. In diesem Kontext ist das Geschichtenerzählen auf mehreren Ebenen mit einer Erlösung gleichzusetzen." Bei Tanase speist sich diese geistige Haltung aus dem Blues.

Außerdem: eine kurze Vorstellung von Tanases Roman "Leuchtkörper" und eine Leseprobe.

Magazinrundschau vom 15.07.2008 - Observator Cultural

Die rumänische Zeitschrift nimmt ein ambitioniertes Übersetzungsprojekt in Angriff. In nicht weniger als sieben Sprachen - von Polnisch bis Spanisch, auch Deutsch - sollen wichtige Autoren des Landes vorgestellt werden. In der ersten Ausgabe porträtiert Paul Cernat den Schriftsteller Stefan Banulescu (1926-1998), "einen der wichtigsten und bedeutendsten Prosaautoren Nachkriegsrumäniens", und charakterisiert seine Werke so: "Obwohl er vom Kern des Wirklichen ausgeht und den Ton des Reportagenhaften, Tagebuchmäßigen oder Memorialistischen nicht scheut, ist Banulescu kein realistischer Schriftsteller, wie er andererseits auch kein voll und ganz phantastischer Autor ist. Doch enthalten seine Prosastücke eine gewisse Dosis des reflexiven 'Unaussprechlichen', Geheimnisvollen, wo das Gesagte dazu da ist, das Nichtgesagte zur Geltung zu bringen: die Menschen sprechen anspielungsreich, 'in Rätseln', mit bedeutungsschweren Schweigeeinlagen."

Außerdem gibt es die Übersetzung eines Auszugs aus dem ersten Band des unvollendet gebliebenen Großprojekts "Das Buch des Millionärs".