Dann und wann, genauer: immer zwischen zwei Büchern, verliert
Ian McEwan den Glauben an die Literatur. Warum,
fragt er sich dann, soll er sich für die Gefühle und Kämpfe
irgendeines erfundenen Henry interessieren? "In diesen Momenten denke ich, ich werde sterben ohne
Anna Karenina zum fünften Mal gelesen zu haben oder
Madame Bovary zum vierten Mal. Ich bin 64. Wenn ich Glück habe, bleiben mir noch zwanzig gute Lesejahre. Lehrt mich etwas
über die Welt! Bringt mir die
Kosmologen, die über die Erfindung der Zeit schrieben, die Chronisten des Holocaust, den Philosophen, der sich den Neurowissenschaften zugewendet hat, den Mathematiker, der einem Strohkopf die Schönheit der Zahlen beschreiben kann, den Forscher über Entstehung und Fall von Imperien, die Kenner des Englischen Bürgerkriegs. Abgesehen von einigen weit auseinanderliegenden Vergnügungen, was habe ich oder weiß ich am Ende eines weiteren Romans über
Henrys Reue oder Triumpf?" Schade, dass McEwan die Frage nicht weiterdenkt, sondern dann doch schnell in die Kuhwärme der Literatur zurückflüchtet.
Fast dreißig Jahre, nachdem Philip Larkin den
Tod des Essays verkündet hatte, erscheinen mehr Essaybände als je zuvor. Aber sind es wirklich Essays? Adam Kirsch
beugt sich kritisch über die neuen Bücher von
Davy Rothbart,
Sloane Crosley und ihr Vorbild
David Sedaris und stellt fest, dass sie eher Humoristen sind, die "kurze, lustige Klatschgeschichten darüber erzählen, was ihnen alles für merkwürdige Dinge passiert" sind. Dafür erfinden sie, so Kirsch, ein fiktionales Alter Ego, das ihren Namen trägt und sich nett idiotisch benimmt. Kirsch geht das auf die Nerven. Er empfiehlt als Antidot
Sheila Hetis Roman
How Should a Person Be?: "Wo die neuen Essayisten die Realität fiktionalisieren, um ein Image aufzubauen, benutzt Heti angeblich reale Menschen und sogar Dokumente - Emails, mitgeschnittene Unterhaltungen - um das klassische fiktionale Projekt des Bildungsromans, die
Bildung eines genuinen Selbsts, zu forcieren. Die Ernsthaftigkeit ihrer Suche wird belegt durch ihre Bereitschaft, ihrer Romanfigur 'Sheila Heti' zu erlauben, wirklich - nicht lustig - grandios, dumm und narzisstisch zu sein, wie es ein konventioneller Essayist sich
niemals trauen würde."
Außerdem: David Thomson
verreißt "Side Effects", den letzten Film von
Steven Soderbergh, den er generell völlig überschätzt findet. In der
Titelgeschichte "The Republicans. Party of White People" blickt Sam Tenenhaus zurück auf eine Zeit, als die
Republikaner größere Anhänger von
affirmative action für Minderheiten waren (das schließt den Bürgerkrieg ein) als die Demokraten und damit auch
erfolgreicher.