Magazinrundschau - Archiv

The New Republic

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Magazinrundschau vom 30.04.2013 - New Republic

Adam Kirsch stellt einige Dichter vor, von denen man hierzulande kaum je gehört hat: Georgianische Dichter allesamt, die, so T.S. Eliot einst in boshafter Stimmung, "alles streicheln, was sie anfassen". Sie liebten besonders die Natur, die sie in schwärmerischen - oft etwas zu schwärmerischen - Tönen besangen. Kirsch las jetzt ein Buch über den Dichter Edward Thomas, der zwar unter Georgianern lebte, aber selbst keiner war. Der 1917 im Ersten Weltkrieg getötete Dichter war depressiv und in vielem ein echter Modernist, meint Kirsch: "Thomas ist of ein trauriger Dichter, manchmal sogar ein selbstmitleidiger, in der großen viktorianischen Tradition des Selbstmitleids. Aber in seinen feinfühligsten Momenten weiß er, wie man Natur so beschreibt, dass ihre Heiligkeit eingefangen wird ohne sie als heilig zu beschreiben - zufrieden zu sein mit einer Erfahrung, die er nicht beherrschen oder verlängern kann. In solchen Momenten versucht Thomas gar nicht mehr, das Gedicht zu beherrschen, und er erreicht eine abklingende Einfachheit, die den Leser unwiderstehlich an chinesische Poesie erinnert. Etwas von dieser Qualität kann man sogar in einem seiner berühmtensten englischen Gedichte hören, 'Adlestrop':

The steam hissed. Someone cleared his throat.
No one left and no one came
On the bare platform. What I saw
Was Adlestrop - only the name

And willows, willow-herb, and grass,
And meadowsweet, and haycocks dry,
No whit less still and lonely fair
Than the high cloudlets in the sky.

And for that minute a blackbird sang
Close by, and round him, mistier,
Farther and farther, all the birds
Of Oxfordshire and Gloucestershire.'"

Außerdem: Cara Parks singt ein Loblied auf die Reporterin Janet Malcolm
Stichwörter: Sky, Malcolm, Janet

Magazinrundschau vom 23.04.2013 - New Republic

Der Politikwissenschaftler Olivier Roy glaubt nicht, dass die beiden Brüder Zarnajew Mitglieder von Al Qaida waren, wie er im Interview erklärt. Das Problem junger Attentäter im Westen sei eher, dass sie überhaupt keine echte Verbindung zu ihrer muslimischen Community haben. "Globalisierung und Individualisierung sind hier die Stichworte. Sie verbinden sich nicht mit einer Organisation, sondern mit dem Netz. Sie verbinden sich mit einer virtuellen Umma, nicht mit der realen Gesellschaft. Die meisten von ihnen haben in der westlichen Gesellschaft keine Kontakte geknüpft. Sie sind vielleicht in die Moschee gegangen, waren aber nie wirklich Teil einer Gemeinde, sie haben kein wirkliches, soziales Leben. Ihr soziales Leben findet im Internet statt."

Magazinrundschau vom 09.04.2013 - New Republic

Ja, Hugo Chavez hat etwas für die Armen getan, konzediert Enrique Krauze in einem kurzen und scharfen Artikel über die Zukunft Venezuelas - und soziale Solidarität sei eine der Grundvoraussetzungen für Demokratie in Lateinamerika. Aber leider habe Chavez alle anderen Grundvoraussetzungen für Demokratie zerstört. Krauze setzt auf die Opposition: "Nach Jahren interner Streitigkeiten hat sie sich hinter einem intelligenten und mutigen Anführer vereint, Henrique Capriles. Während Chavez' physischem Verfall hat sich die Opposition in Sprache und Aktionen klug zurückgehalten, jeder Triumphalismus hätte zu einem katastrophalen Rückschlag führen können. Nun kann sie ihre latente Stärke nutzen."

Magazinrundschau vom 12.03.2013 - New Republic

In einem längeren Artikel zeichnet Paul Berman die Entwicklung nach, die Hugo Chavez' Einstellung zum Marxismus nahm, und liefert zugleich ein sehr beeindruckendes Porträt des ganzen Mannes. Berman hatte Chavez 2002 bei einer Veranstaltung in New York getroffen und gefragt, was er von den Sandinisten halte. "Chavez war ein kleiner Mann. Ich bin von mittlerer Größe. Er starrte nach oben und in diesem Blick lage dieselbe Intensität und Kraft, die er vor einigen Minuten noch vom Podium nach unten ins Publikum ausgestrahlt hatte, nur dass diesmal ich das ganze Publikum war. Seine Backen besaßen die gleiche prächtige gepanzerte Qualität wie die Brustmuskeln bestimmter Menschen. Er glühte. Er zögerte einen Moment, vielleicht um sein Ohr an die Besonderhieten meiner spanischen Syntax zu gewöhnen. Und dann schien der Bug seines militärischen Torsos nach vorn, in meine Richtung zu branden und er formulierte seine Antwort scharf und analytisch. Er bewundere die Sandinisten, sagte er. Die Sandinisten hätten großartige Dinge getan. ... Aber die Sandinisten hätten einen Fehler begangen. Sie hätten den Marxismus umarmt. Dies habe zu ihrem Untergang geführt. Ich war überrascht. Er erklärte, dass in Nicaragua die Sandinisten in Konflit mit der Wirtschaft geraten waren. Aber diese Art von Konflikt sei unnötig gewesen. Darin lag der Fehler."

Sarah Williams Goldhagen liefert einen instruktiven Überblick über die Architektur neuer Bibliotheken - dabei geht es ihr weniger um repräsentative Großbauten als um Stadtbibliotheken. Sie nennt unter anderem die von Anne Fougeron entworfene Ingleside Branch Public Library in San Francisco und Peter Q. Bohlins Ballard Library in Seattle. "Als Louis Kahn 1965 eine Bücherei für die Phillips Exeter Academy entwarf, stellte er die Institution selbst in Frage. Was genau soll eine Bibliothek sein? Er kam mit einer ganz einfachen Antwort: Eine Bibliothek beginnt, wenn jemand 'ein Buch ans Licht bringt'. Ingleside und Ballard halten an Kahns Diktum fest, dass dies die Haupterfahrung einer Bibliothek sein muss. Fougeron und Bohlin benutzen Oberlichter, Lichtschachte, Innenfenster, Fensterwände, um natürliches Licht im Überfluss in und durch ihre Projekte zu leiten, und dabei arbeiten sie sorgfältig mit Reflektion, Filtern, Projetktionswänden, Screens und Schatten, um dem Auge Ermüdung zu ersparen."

Angesichts des großen Erfolgs von Tom Hoopers Filmadaption der Musicaladaption von Victor Hugos Roman "Les Misérables" überlegt der sehr fleißige Paul Berman, was die Faszination dieses Werks ausmacht, sucht nach Vorbildern Hugos und findet sie bei Virgil, Erzbischof Fénelon und vor allem François-René de Chateaubriand: "Sein Thema in 'Les Misérables' - der Existenzkampf der Armen, der durch die Industrielle Revolution erstmals in der Geschichte ein lösbares Problem geworden war - entspricht in seinem Maßstab Chateaubriands Geschichten von christlichen Martyrern und gemarterten Indianern. Hugos und Chateaubriands Themen sind womöglich, auf einer tieferen Ebene, dieselben. Diese gigantischen Gedichte waren großartige Feiern der Großartigkeit selbst, und die Großartigkeit beider Autoren entpuppt sich als eine Würdigung des wahrsten, schönsten, göttlichsten und fortschrittlichsten aller Gefühle: der Traurigkeit."

Magazinrundschau vom 19.02.2013 - New Republic

Dann und wann, genauer: immer zwischen zwei Büchern, verliert Ian McEwan den Glauben an die Literatur. Warum, fragt er sich dann, soll er sich für die Gefühle und Kämpfe irgendeines erfundenen Henry interessieren? "In diesen Momenten denke ich, ich werde sterben ohne Anna Karenina zum fünften Mal gelesen zu haben oder Madame Bovary zum vierten Mal. Ich bin 64. Wenn ich Glück habe, bleiben mir noch zwanzig gute Lesejahre. Lehrt mich etwas über die Welt! Bringt mir die Kosmologen, die über die Erfindung der Zeit schrieben, die Chronisten des Holocaust, den Philosophen, der sich den Neurowissenschaften zugewendet hat, den Mathematiker, der einem Strohkopf die Schönheit der Zahlen beschreiben kann, den Forscher über Entstehung und Fall von Imperien, die Kenner des Englischen Bürgerkriegs. Abgesehen von einigen weit auseinanderliegenden Vergnügungen, was habe ich oder weiß ich am Ende eines weiteren Romans über Henrys Reue oder Triumpf?" Schade, dass McEwan die Frage nicht weiterdenkt, sondern dann doch schnell in die Kuhwärme der Literatur zurückflüchtet.

Fast dreißig Jahre, nachdem Philip Larkin den Tod des Essays verkündet hatte, erscheinen mehr Essaybände als je zuvor. Aber sind es wirklich Essays? Adam Kirsch beugt sich kritisch über die neuen Bücher von Davy Rothbart, Sloane Crosley und ihr Vorbild David Sedaris und stellt fest, dass sie eher Humoristen sind, die "kurze, lustige Klatschgeschichten darüber erzählen, was ihnen alles für merkwürdige Dinge passiert" sind. Dafür erfinden sie, so Kirsch, ein fiktionales Alter Ego, das ihren Namen trägt und sich nett idiotisch benimmt. Kirsch geht das auf die Nerven. Er empfiehlt als Antidot Sheila Hetis Roman How Should a Person Be?: "Wo die neuen Essayisten die Realität fiktionalisieren, um ein Image aufzubauen, benutzt Heti angeblich reale Menschen und sogar Dokumente - Emails, mitgeschnittene Unterhaltungen - um das klassische fiktionale Projekt des Bildungsromans, die Bildung eines genuinen Selbsts, zu forcieren. Die Ernsthaftigkeit ihrer Suche wird belegt durch ihre Bereitschaft, ihrer Romanfigur 'Sheila Heti' zu erlauben, wirklich - nicht lustig - grandios, dumm und narzisstisch zu sein, wie es ein konventioneller Essayist sich niemals trauen würde."

Außerdem: David Thomson verreißt "Side Effects", den letzten Film von Steven Soderbergh, den er generell völlig überschätzt findet. In der Titelgeschichte "The Republicans. Party of White People" blickt Sam Tenenhaus zurück auf eine Zeit, als die Republikaner größere Anhänger von affirmative action für Minderheiten waren (das schließt den Bürgerkrieg ein) als die Demokraten und damit auch erfolgreicher.

Magazinrundschau vom 12.02.2013 - New Republic

Der oft wenig respektvolle Kunstkitiker Jed Perl hat auch am Werk des wunderbaren Ai Weiwei manches auszusetzen, ist aber so höflich, es in Fragen zu kleiden: "So fest und bewunderungswürdig Ai gegen das chinesische Regime einsteht, in seiner Kunst neigt er zu stark zu Scherzen und Ironie, die in der Wiederholung banal werden. Sollen die 1001 Chinesen, die er zur Documenta brachte, ein Readymade sein? Und würde er auf den Einwand, dass fast sein gesamtes Schaffen dem Schaffen amerikanischer Künstler ähnelt - ob es seine Boxen sind, die an Judd erinnern, seine Möbel, die auch von Richard Artschwager sein könnten, oder seine Stahlstangen, die an Robert Morris und Carl Andre denken lassen - antworten, dass er es genau so meine und aus der amerikanischen "Original"-Idee ein Readymade mache? Und wenn er Antiquitäten kaputtmacht oder anderweitig verändert - ist das dann seine Version eines 'Readymade aided', wie es Duchamp einst nannte?"

Außerdem: Michael Kinsley beschreibt sein Leben als Journalist in amüsanten (und unfreundlichen) Briefen.

Magazinrundschau vom 22.01.2013 - New Republic

Jed Perl kriegt es hin, einen Verriss zu schreiben, der zugleich eine Hymne ist, und umgekehrt. Er lobt die Virtuosität, mit der die Kuratorin Leah Dickerman die Ausstellung "Inventing Abstraction" im MoMA hängte, für ihre Virtuosität und Stimmigkeit und wirft ihr im selben Atemzug Purismus vor, verständlich, wenn man bedenkt, dass sie Paul Klee und Joan Miró nicht in der Ausstellung zuließ, weil sie in ihren Bildern Rudimente der Gegenständlichkeit witterte. "Vielleicht hat Dickerman Miró unter Surrealismus abgelegt, den manche ebenfalls als eine Art der Abstraktion ansehen. Und offenbar hatte sie vor, zumindest einen Klee in die Ausstellung aufzunehmen, seine 'Hommage an Picasso', aber wahr ist doch, dass Klee ein ebenso zentraler Akteur in der Ausstellung hätte sein müssen wie Léger, Malewitsch oder Arp. Je mehr ich über den Ausschluss Mirós und Klees nachdenke, desto schwerer ist er zu verstehen. Manche mögen sagen, dass 'Inventing Abstraction' eine alte Linie des Museum of Modern Art widerspiegelt, das Abstraktion oft (aber nicht immer) als Einbahnstraße in eine immer größere Reinheit ansah. Aber wenn die MoMA-Vision von Abstraktion die späteren abstrakten Expressionisten einschließt, dann ist es vollends sinnlos, Miró und Klee auszuschließen, deren poetisches Verständnis abstrakter Kunst die Avantgarde der Vierziger so tief beeindruckte." Die Illustration zeigt Klees "Hommage an Picasso".

Außerdem in der New Republic: Lydie DePillis' launige Reportage von der Consumer Electonics Show in Las Vegas.

Magazinrundschau vom 11.12.2012 - New Republic

Paul Berman schickt der EU einen anerkennenden und nur ganz leicht spöttischen Glückwunsch zum Nobelpreis. Im großen und ganzen hat sie ihn verdient, findet Berman. Warum aber ist dann die Stimmung in Europa so trübsinnig? "Man kann eine europäische Erfolgsstory wie das heutige Polen besichtigen und findet sogar dort überall ernsthafte Denker, Helden der Revolution 1989, die einem sagen, dass es seit der Wende abwärts gehe mit Polen. Was ist los mit diesen Leuten? Vor fast hundert Jahren bemerkte Paul Valéry etwas ähnliches, und er fürchtete schon damals ein Gefühl der Müdigkeit und Erschöpfung, als sei Europa nicht mehr in der Lage irgendetwas zu erreichen. Da das Gefühl so alt ist, kann man es nicht ganz auf die EU schieben."
Stichwörter: Berman, Paul, Abwärts

Magazinrundschau vom 18.12.2012 - New Republic

Die Demokraten haben eine gute Chance, die Waffengesetze zu verschärfen, meint Nate Cohn. Allerdings nicht, weil die Stimmung der Bevölkerung sich gegen Waffen gewandt hätte, sondern schlicht, weil die Demokraten nicht mehr um die Stimmen der Waffenbefürworter zu werben brauchen - denn sie haben ihre Mehrheit auch jenseits davon: "In den Jahren 2000 und 2004 mögen die Demokraten noch geglaubt haben, dass sie diese Wähler brauchen um zu gewinen. Aber nun haben die Demokraten Wege gefunden, Wahlen zu gewinnen, ohne auf die Waffenfans aus West Virginia angewiesen zu sein: indem sie in den Städten und Suburbs noch stärker wurden, wo die Unterstzung für Gun Control wohl am stärksten ist. Das gilt sogar für Ohio, wo Obama zweimal gewann, indem er die Ergebnisse der Demokraten in Städten und Vorstädten noch verbesserte, statt wie Clinton oder Carter um konservative Wähler in Südost-Ohio zu werben."

In einem zweiten Artikel fragt Amy Sullivan, warum Massaker wie das Newtown immer häufiger werden: in diesem Jahr sind in den USA 140 Menschen bei Massakern umgekommen, doppelst so viel wie in den Jahren zuvor.

Paul Berman schreibt einen ausgreifenden Essay über Rushdies Erinnerungen an die Zeit der Fatwa und ist am Ende nicht ganz zufrieden mit dem Buch: "Seine Talente - Feuerwerke aus Wortspielen, Nachahmung von Dialekten, exotischer Glitter, großartige Landschaften, gelegentliche Geistesblitze - lassen sich nicht disziplinieren. Es sind nicht die Talente, die man für eine Chronik tatsächlicher Ereignisse gebrauchen kann. Schon der Titel 'Joseph Anton' drückt Rushdies Sehnsucht nach fiktionalen Charakteren aus, über die er lieber schreibt als über sich selbst. Wirklich, er hätte einen Roman schreiben sollen."

Magazinrundschau vom 27.11.2012 - New Republic

Der Konzertpianist Jeremy Denk schreibt einen genialisch mäandernden, aber lesenswerten Artikel über alles, was er je über Bach sagen wollte, bei dem es ab und zu auch um Paul Elies Buch "Reinventing Bach" (Leseprobe) geht, das den Anlass des Artikels bildet. Anders als Elie sucht Denk die Wahrheit über Bach, den er selbst einen Komponisten der Wahrheit nennt, nicht in berühmten Plattenaufnahmen, sondern in den Noten: Denn "wenn du einer Aufnahme lauschst, dann lauschst du der Wahrheit eines anderen über die Wahrheit in Bach. Du magst staunen, dass du Wahrheiten hörst, die du nie vermutet hättest, Möglichkeiten von denen du nicht zu träumen wagtest - und doch lauschst du der Wahrheit einer anderen Person. Und darum sage ich allen Ernstes: Nimm ein Instrument, falls du noch nicht spielen kannst, nimm Stunden, nimm dir die Zeit.... Habe keine Angst, wir leben zu sehr in Ehrfurcht vor den perfekten Aufnahmen, die uns umgeben. So schwach deine Technik sein mag, ich verspreche dir, es ist der beste Bach, den du je hörtest." Elies Buch wurde auch in der New York Times besprochen.

Hier erklärt und spielt Denk die "Aria" aus den Goldberg Variationen:



Außerdem schreibt Noreen Malone einen recht skeptischen Artikel über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter.