Magazinrundschau - Archiv

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288 Presseschau-Absätze - Seite 9 von 29

Magazinrundschau vom 21.09.2021 - HVG

Péter Hamvay stellt eine Studie von Luca Kristóf vor, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, die die Veränderungen innerhalb der ungarischen kulturellen Elite und die Auswirkungen des durch die Regierung seit 2010 forcierten Elitenwechsels untersucht wurden. Zwar sind die Veränderungen beträchtlich, aber die kulturelle Elite erwies sich zumindest in den letzten elf Jahren am resistentesten im Vergleich zu anderen Eliten des Landen. Die Situation lässt sich immer noch mit den Worten des verstorbenen Péter Esterházy beschreiben: "Einen Staatssekretär kann man ernennen, einen Dichter nicht." Vergeblich, so Hamvay, "wurden aus beinahe allen Institutionen die linksliberalen Künstler hinausgefegt, denn in den breiten Schichten der Gesellschaft werden sie weiterhin als maßgeblich betrachtet. (...) Laut der Studie wurde seit 2010 ein Viertel der kulturellen Elite ausgetauscht. Die Veränderung - die gleichzeitig ein Rechtsruck ist - betraf mit ca. 50 Prozent in erster Linie die Leitung der kulturellen Institutionen sowie die Medien, was erheblich ist. Dennoch gelang der Austausch der kulturellen Elite nicht in dem Maße wie zum Beispiel in der Wirtschaft."
Stichwörter: Rechtsruck

Magazinrundschau vom 14.09.2021 - HVG

Der neue Film des Regisseuren Gábor Herendi stellt die Konfrontation eines drogenabhängigen Schauspielers mit seinem Psychiater in den Mittelpunkt (Toxikoma, 2021). Der Kritiker Gellért Kovács spricht im Interview mit Dóra Matalin über die Frage, warum das Thema Drogenkonsum - insbesondere in ländlichen Regionen - in ungarischen Filmen kaum thematisiert wird. "Bis zur Wende war es ein Tabu, danach scheint es, als hätten die Filmemacher hierzulande keinen Zugang zum Thema Drogen gefunden. Es sind vielschichtige Gründe, warum hiesige Filme nicht die aktuelle Drogensituation reflektieren und wenn dann nur als Witz oder in einem Nebenstrang. Es gab und gibt erfolgreiche Kultfilme im Ausland. (…) Und es ist nicht einfache mit ihnen im Wettbewerb zu stehen, eine neue Herangehensweise oder Ausdrucksform zu entwickeln. Darüber hinaus sind ungarische Filmschaffende stets hauptstadtbezogen, die Drogensituation auf dem Lande konnte so nicht ins Blickfeld geraten. Ein Film entsteht aber auch, wenn er gefördert wird, also hängt es in erster Linie von den Entscheidungsträgern ab, welche Werke es in die Kinos schaffen. Gegenwärtig sind Dramedys und historische Filme beliebt, das Zeigen zeitgenössischer Gesellschaftsfragen hingegen weniger. Aber neben den sich rasch verbreitenden Designerdrogen schaffen es auch andere brennenden Fragen des heutigen Ungarns nicht auf die Leinwand. Im Gegensatz zu Polen, oder Rumänien, wo solche Filme regelmäßig entstehen."
Stichwörter: Rumänien, Ungarischer Film

Magazinrundschau vom 24.08.2021 - HVG

Die katholische Theologin Rita Perintfalvi spricht im Interview mit Györgyi Balla u.a. über den Verlust der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche in Ungarn heute: "Wenn die Regierung eine Gruppe - wie jetzt die Homosexuellen - kriminalisiert und bestraft, wäre es die Aufgabe der Kirche ihre Stimme zu erheben, sonst verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Doch die Kirche interessiert die Situation ihrer Gläubigen nicht, was kein Zufall ist, denn sie wird nicht von den Gläubigen am Leben gehalten. (...) Die Ungarische Katholische Kirche muss sich mit ihrer kommunistischen Vergangenheit auseinandersetzen, die IM-Akten müssen geöffnet werden, sie muss der eigenen politischen Prostituierung, der Verflechtung mit den gegenwärtigen Machthabern ein Ende setzen. Buße und Wiedergutmachung werden benötigt, nur so kann Glaubwürdigkeit bewahrt werden. Seit der Flüchtlingskrise 2015 beobachte ich, dass die ungarische Katholische Kirche ihren eigenen Sarg zimmert."

Magazinrundschau vom 27.07.2021 - HVG

Der Schriftsteller László Végel spricht im Interview über die Lage der Ungarn in der (heute in Serbien liegenden) Vojvodina vor und nach dem Balkankrieg. "Vor dem südslawischen Krieg lebten die Ungarn in der Vojvodina verhältnismäßig konsolidiert, sie schlossen mit dem westlich lächelnden Titoismus einen Kompromiss, wobei seine Schulden und Verbrechen vergessen wurden. Ausreisen wollte kaum jemand. Die ungarischen Arbeiter, die vorübergehend in den Westen gegangen waren, kamen zurück und lebten wieder in ihrem Geburtsort. Ihre Dorfhäuser rissen sie ab, bauten postmoderne Villen und kauften Wochenendhäuser am Meer. Sie nannten sich stolz Ungarn aus der Vojvodina und in Ungarn selbst reisten sie wie westliche Touristen. Der Krieg unterbrach dies unwiederbringlich. Der Großteil der Ungarn verlor sein Selbstbewusstsein und die Bindung zur Heimat. (...) In den neunziger Jahren begann eine Auswanderung, die seitdem nur zunahm. Die zukünftigen Generationen müssen klären, wie es sein kann, dass es den Ungarn in der Vojvodina nach Meinung ungarischer und serbischer Politikern noch nie in der Geschichte so gut ging wie jetzt, obwohl die Abwanderung noch nie so massenhaft war wie jetzt."

Magazinrundschau vom 20.07.2021 - HVG

Im Interview mit Rita Szentgyörgyi spricht Regisseur Kornél Mundruczó u.a. über seinen neuen Film "Evolution", der dieses Jahr in der Sektion "Cannes Premières" gezeigt wurde. "Wir behielten die dreiteilige Struktur mit den polnischen, Budapester und Berliner Schauplätzen bei. Der erste Teil spielt im Januar 1945 in Birkenau, als das polnische Rote Kreuz anfängt in den Todeslager die Überlebenden einzusammeln. Der zweite Teil spielt 2013 in Budapest, der dritte in einer nicht so fernen postpandemischen Zukunft in Berlin. Es kein gängiges filmisches Narrativ, wonach wir drei ziemlich gleich lange Teile aus unterschiedlichen Epochen sehen, die über Sickerströmungen doch zusammenhängen. Mit 'Evolution' möchten wir ein über Generationen reichendes Problem zeigen, sowohl über die Aufarbeitung von Traumata, als auch über den Hass. (...) Wir wollten keinen Holocaustfilm machen, sondern einen Film über Identität im Wandel, darüber, was wir in uns tragen und was wir weitergeben."

Magazinrundschau vom 13.07.2021 - HVG

Im Interview mit Péter Hamvay spricht der Regisseur und Schauspieler Róbert Alföldi über seine Rolle als Hendrik Höfgens in der "Mephisto"-Inszenierung von András Urbán, angekündigt als "zeitgenössisches Kabarett" im Budapester Theater Atrium: "Ich denke, dass Hendrik Höfgen kaum mit sich ringt, genau aus dem Grunde nicht, weil es keine rote Linie gibt. Es gibt nicht die eine dramatische Entscheidung, mit der du dich an die Macht verkaufst, sondern es gibt kleine, kaum bemerkbare Schritte Richtung moralischem Untergang. Ich denke nicht, dass die heutigen Hendrik Höfgens mit sich selbst ringen, wahrscheinlich denken sie, dass sie etwas Gutes tun. Das entlastet sie freilich nicht, denn jeder trifft die Entscheidungen selbst und es liegt in der eigenen Verantwortung, ob jemand die Situation erkennt. Auch wenn das In-den-Schoß-der-Macht-Rutschen ein langsamer Prozess ist, ist es am Ende eindeutig, was jemand in dieser Position zerstört, was er aus Wut und Frustration vernichtet und wie er die erlangte Macht missbraucht."
Stichwörter: Ungarn, Kabarett

Magazinrundschau vom 06.07.2021 - HVG

Der neueste Film der Regisseurin Ildiko Enyedi (Goldener Bär 2017 für "Körper und Seele"), "Die Geschichte meiner Frau", eine Literaturadaption des gleichnamigen Romans von Milán Füst (Leseprobe), läuft im Wettbewerb der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes. Mit Enyedi sprach Zsuzsa Mátraházi über die wiederholten Veränderungen des Drehbuchs: "Ich schrieb dieses Drehbuch mehrmals um. Eine der Versionen, von der mehrere Variationen entstanden, verwendete eine starke Formensprache, damit die Bilder genauso direkt 'ertönen', wie die durch unendliche Zeitdimensionen springende innere Narration des Kapitäns. Dann schmiss ich dieses Autorenkonstrukt raus und schrieb eine transparentere, als klassisch zu bezeichnende Version, bei der nicht ich spreche, sondern lediglich die Situationen und die Texte der Schauspieler blieben. Dann fing ich bei dieser Version an durch Verdichtung und mit dem Finetuning der gegenseitigen Beziehungen die Situationen zu verdeutlichen, was zuvor direkt ins Gesicht des Zuschauers gesagt wurde. Es war eine riskante Entscheidung, oft kam die Versuchung auf, auf den sicheren Boden des 'Autorenfilms' zurückzukehren. Letztlich bin ich glücklich, dass ich durchgehalten habe, ich denke, dass es dadurch ein besserer Film entstanden ist."

Magazinrundschau vom 22.06.2021 - HVG

Im Interview mit Farkas Zoltán spricht der Verfassungsrechtler Imre Vörös u.a. über den systematischen Verstoß der gegenwärtigen ungarischen Regierung gegen die eigene Verfassung durch das Regieren per Verordnungen. "In den Ausübungen all unserer Menschenrechte werden wir gegenwärtig eingeschränkt, vielleicht mit Ausnahme des Rechts auf Menschenwürde. Das kann nicht eingeschränkt werden. Obgleich dies auch nicht sicher ist, denn Obdachlose können eingesperrt werden. Das Wesentliche der außerordentlichen Rechtsordnung ist, dass sie allerlei Rechte einschränken kann, doch nur in Verbindung mit einer Gefahrensituation und lediglich auf beschränkte Zeit, mit dem Ziel, dass wir schnellstmöglich zum normalen Leben zurückkehren können. Aber es ist vollkommen absurd, dass man sich in Angelegenheiten vom normalen Gesetz entfernt, die mit der Gefahrensituation oder mit der Pandemie nichts zu tun haben, wie z.B. die Aberkennung des Semesters der Universität für Theater- und Filmkünste. Hierbei verstoßen ja die erlassenen Verordnungen gegen die gesetzliche Bestimmung. (...) Die wiederholte Verlängerung der Gefahrensituation (bezüglich Migration und Pandemie) zeigt gut, dass wir in einem Potemkin-Rechtsstaat leben: Bei Fußballspielen darf eine Masse von über fünfzigtausend Menschen zusammenkommen, bei Demonstrationen dürfen dies nicht mal fünfhundert tun."

Magazinrundschau vom 15.06.2021 - HVG

Kann es so etwas wie eine regierungstreue Kultur geben? Der Publizist Árpád W. Tóta glaubt nicht daran: "Das Schlüsselwort ist ein weitgehend abgenutzter Begriff: Souveränität. (...) Nun, bei der Souveränität geht es unter anderem darum, dass der Schriftsteller oder der Regisseur selbst seine eigene Weltansicht zusammenstellt, selbst sein Werk aufbaut und wenn er fertig ist, dann wird ihm applaudiert, wenn es denn gefällt. Das ist das Geheimnis der als Liberale beschimpften Künstler. Es gibt keine Fidesz-Kultur. (...) Die Partei betrachtet nur denjenigen als unterstützungswürdigen Künstler, der taktvoll und mit der Disziplin eines Zahnrades arbeitet. Alles andere gilt als uninteressant oder feindlich. (...) Doch der Künstler oder der Journalist kann nur dann ruhig schlafen, wenn er alles gegeben hat, was in ihm war. Und dies ist nur dann interessant, wenn außer Loyalität noch mehr in ihm steckte. Damit können die Parteimedien und die parteidienenden Künstler nicht mithalten."
Stichwörter: Ungarn, Souveränität

Magazinrundschau vom 08.06.2021 - HVG

Im Interview mit Zsuzsa Mátraházi spricht der Unternehmer Gábor Bojár u.a. über das von der Orban-Regierung vorangetriebene, umstrittene Projekt der der chinesischen Universität Fudan, die einen Ableger in Budapest gründen will (mehr bei der Deutschen Welle): "Ländern wie Singapur oder Finnland, die aus einem gewissen Rückstand aufgestiegen sind, haben gemeinsam, dass sie das meiste Geld in Bildung gesteckt haben. Doch die in Bildung investierten Summen bringen keine sichtbaren Ergebnisse innerhalb von vier Jahren - und nur dafür interessiert sich die Politik hierzulande (...) Das Gute an dem Fudan-Projekt ist, dass die Bildung in den Fokus gerät. Doch eine Universität in chinesischem Eigentum, aufgebaut von chinesischen Arbeitern, mit chinesischem Kredit, bezahlt jedoch vom Geld der ungarischen Steuerzahler - das ist ein Skandal. Die hiesige Hochschulbildung hat man umgemodelt, weil die Regierung eine eigene Elite erziehen will, und erwartungsgemäß wird in dieses Feld viel Geld aus der EU fließen."