In eigener Sache

Die Perlentaucher-Affäre oder die FAZ als Waffe

Von Thierry Chervel
10.07.2007. Wenn's drauf ankommt, benutzen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und der Kreis der ihm Ergebenen ihre Zeitung als Waffe. Ein Blick auf die FAZ-Kampagne gegen den Perlentaucher: Fünf Artikel und zwei Prozesse in zwei Jahren.
Die Walser-Affäre, die Spiralblock-Affäre und jetzt also die Perlentaucher-Affäre. Es ist immer dasselbe: Wenn's drauf ankommt, dann nutzen der Feuilleton-Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, und der innere Zirkel der ihm Ergebenen ihre Zeitung als Waffe zur Durchsetzung eigener Zwecke.

Den Perlentaucher verfolgt die FAZ seit zwei Jahren mit einem Artikel nach dem anderen und mit zwei Prozessen. Für einen dieser Prozesse hat sie sich sogar mit der Süddeutschen Zeitung zusammengetan. In der ersten Instanz haben die beiden Zeitungen verloren, am 24. Juli steht am Oberlandesgericht Frankfurt die Berufungsverhandlung an. (Aktualisierung vom 13. Juli: Die Verhandlung in Sachen FAZ/SZ gegen Perlentaucher vor dem OLG Frankfurt ist inzwischen auf den 9. Oktober verschoben worden. Die Red.)

Da kam der jüngste Artikel in der FAZ vom 29. Juni 2007 zum richtigen Zeitpunkt: Olaf Sundermeyer erweckt hier mal wieder den Eindruck, dass der Perlentaucher ausschließlich von den "Gedanken der anderen" lebe (so der Titel seines Artikels), die er in quasi mechanischer Kompilation für eine kommerzielle Zweitverwertung ausbeuten soll. In Zusammenhang mit Sundermeyers Artikel informierte die FAZ in einem beigestellten Kasten unter der Überschrift "Auschwitz und der 'Perlentaucher'", dass sie einen Prozess gegen den Perlentaucher gewonnen hat. Aber sie informiert an dieser Stelle nicht über die unmittelbar bevorstehende Verhandlung am OLG Frankfurt. Und hier werfen die Anwälte dem Perlentaucher just jene kommerzielle Ausbeutung fremder Inhalte vor, die auch Sundermeyer als Frucht seiner Ermittlungen präsentiert. Mit anderen Worten: Unter dem Mäntelchen einer vorgeblich kritischen Recherche trommelt die FAZ munter für die eigene Sache und verschweigt, dass sie in der besagten Sache einen Prozess gegen den Perlentaucher führt.

Mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun, es ist nicht einmal tendenziöser Journalismus, sondern schierer Machtmissbrauch, der ungeahndet bleibt, weil weder die FAZ noch - so scheint es - die Öffentlichkeit journalistische Kriterien auf Schirrmacher anlegen. Er ist ein Faktor im Machtspiel. Und übt einen Bann über die enge Sphäre des Kulturjournalismus, aber auch die weitere der Institutionen aus. Vor Schirrmachers Dampfhammer haben sie alle Angst.

Und der funktioniert so: Die FAZ gibt halbe Informationen und verlangt ganze Konsequenzen. In der Walser-Affäre dekretierte Schirrmacher Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" als antisemitisch, bevor er überhaupt veröffentlicht war und irgendjemand ihn lesen konnte. Marcel Reich-Ranicki sekundierte mit dem ultimativen Aufruf an den Suhrkamp Verlag, das Buch nicht zu veröffentlichen. Als Gerhard Stadelmaier, dem Theaterredakteur der FAZ, bei einer Aufführung von einem Schauspieler der Spiralblock entrissen wurde, machte die FAZ ihre Zeitung zum Strafinstrument: Stadelmaier durfte sich für den Tort in einem "Bericht von einer Attacke auf mich" revanchieren. Von den Weiterungen ganz zu schweigen. "Stadelmaier geht zu seinem Chef, der ruft die Oberbürgermeisterin an und meldet einen Angriff auf die Pressefreiheit, die wiederum fordert die Intendantin Elisabeth Schweeger auf, den Täter fristlos zu entlassen, was auch geschieht", berichtete Regisseur Sebastian Hartmann fassungslos in der Berliner Zeitung. Die FAZ meldete kurz darauf: "Die Frankfurter Oberbürgermeisterin hat sich als Aufsichtsratsvorsitzende der Städtischen Bühnen bei Gerhard Stadelmaier 'persönlich und im Namen des Magistrats für diesen wahrlich skandalösen Vorfall in aller Form' entschuldigt. Zuvor hatten sich Intendantin Elisabeth Schweeger und Thomas Lawinky bei Stadelmaier entschuldigt."

Aber Einknicken bringt nichts. Als Schweeger ihren Vertrag wenig später vorzeitig kündigte, schickte ihr Stadelmaier noch ein paar unfreundliche Worte hinterher: "Nicht schlecht, dass sie geht."


Transparenz durch Verlinkung - die Harpprecht-Affäre

Was ist am Perlentaucher eigentlich so ärgerlich? Stört es die FAZ, dass wir eben nicht nur die "Gedanken der anderen" zusammenfassen, sondern auch Bezüge herstellen? Dass wir durch die Zusammenschau verschiedener Quellen in unserer Feuilletonpresseschau eine Transparenz herstellen, an der der FAZ nicht gelegen sein mag? In der täglichen Arbeit besteht diese Transparenz oft genug schlicht darin zu zeigen, dass der bessere Artikel zu einem Thema möglicherweise in einer anderen Zeitung erschienen ist. Und dann fasst der Perlentaucher tatsächlich "die Gedanken der anderen" zusammen und lässt die FAZ mal unzitiert!

Manchmal schafft diese Transparenz eine neue Qualität der Information. Ein Beispiel aus der Zeit der großen Zeitungskrise: Der bekannte Publizist Klaus Harpprecht polemisierte in einem taz-Artikel am 2. Juli 2003 scharf gegen Frank Schirrmacher, der die FAZ mit seinem "Expansionsrausch" herabgewirtschaftet habe: "Warum fordert keiner Rechenschaft für die Konsequenzen seines Größenwahns", fragte er. Der Perlentaucher resümierte wie üblich. Die FAZ schwieg. Aber einige Wochen später, am 29. Juli 2003, dokumentierte die Medienseite der FAZ aus heiterem Himmel einen 20 Jahre alten Text Harpprechts, in dem dieser - einige Tage bevor die Fälschung platzte - noch an die Echtheit der Hitler-Tagebücher glaubte. Die Bild-Zeitung flankierte diesen miesen Coup der FAZ mit einem Artikel auf Seite 1. Über die Attacke Klaus Harpprechts gegen Schirrmacher aber verlor die FAZ kein Wort. Die gläubigen Leser der FAZ müssen sich gefragt haben, was es mit diesem Text aus vergangenen Zeiten auf sich hatte, der da wie ein UFO auf der Medienseite der FAZ gelandet war. Der Perlentaucher stellte den Bezug her, indem er erneut auf Harpprechts Attacke hinwies und verlinkte. Die Reaktionen in den übrigen Medien waren eher schüchtern, und natürlich können Zeitungen nicht so schön verlinken.

Solche Kleinigkeiten zeigen: Zumindest zur Information der FAZ-Leser ist der Perlentaucher dringend erforderlich!

Die Harpprecht-Sache scheint einen Stachel in den Herzen einiger FAZ-Feuilletonisten hinterlassen zu haben. Sie war ja auch kein Ruhmesblatt für Medienseite und Feuilleton dieser Zeitung. Wir haben sie noch einmal auf dem denkwürdigen Feuilletonistenkongress "Was vom Tage bleibt" im September 2003 in Halle zur Sprache gebracht und ernteten hierfür einen monumentalen Wutanfall von Patrick Bahners, bei dem die anwesenden Feuilletongrößen - fast alle aktive oder entronnene FAZler - mit paralysierten Mienen in ihre Sessel sanken.


signandsight.com

Die Artikel der FAZ gegen den Perlentaucher setzten ein, als der Perlentaucher für sein englischsprachiges Projekt signandsight.com eine Förderung der Kulturstiftung des Bundes bekam. Die Idee von signandsight.com besteht darin, interessante Kultur- und Debattenartikel aus deutschen Zeitungen ins Englische zu übersetzen, um sie einem internationalen Publikum zugänglich zu machen. Debatten wie die um den Islam in Europa, um das Ende des Zweiten Weltkriegs oder um das französische und niederländische "Nein" zur europäischen Verfassung werden bisher nur auf nationaler Ebene geführt, es fehlen internationale Relais. Signandsight.com macht den bestehenden Zeitungen keine Konkurrenz, sondern nützt ihnen. Das funktioniert. Nicht wenige Artikel sind von der Internationalen Presse überhaupt erst wahrgenommen und häufig in dritte Sprachen übersetzt worden, nachdem sie in signandsight.com auf Englisch publiziert worden waren.

Die FAZ interessierte an der ganzen Sache nur, dass der Perlentaucher Staatsgeld bekommen hat, "drei Millionen Euro" wie Heinrich Wefing am 8. Juli 2004, nach der Bewilligung der Förderung für signandsight.com durch die Kulturstiftung des Bundes in der FAZ staunend vermeldete.

Es waren 1,4 Millionen Euro, bewilligt für einen Zeitraum von drei Jahren. Der Perlentaucher korrigierte die falsche Zahl, die FAZ nicht. Der Artikel steht mit der falschen Zahl immer noch online.

Zum Start des Internetmagazins fand Wefing am 27. Februar 2005 noch mahnende Worte: Die Internetseite signandsight.com solle "möglichst unabweisbare Kriterien für ihre täglichen Auswahlentscheidungen entwickeln". Besonders betonte er, dass in der Zeit der Zeitungskrise noch über Subventionen für Zeitungen diskutiert worden war. Und nun bekam ausgerechnet der Moabiter Außenseiter Perlentaucher eine Förderung für seinen englischsprachigen Dienst.

Schludrigkeit warf er den Perlentauchern vor. Und dass der Perlentaucher beim Resümee mancher Feuilletonartikel ein Gefühl von Langeweile hatte anklingen lassen, fand er als Haltung durchaus unangemessen.

Der ganze Unmut im inneren Kreis des FAZ-Feuilletons entlud sich in einem Schmähartikel Jürgen Kaubes. Er kam nur drei Tage nach Wefings Ermahnungen. Und wieder einmal handelt es sich um einen Artikel, der für Leser, die sich ausschließlich in der FAZ informieren, völlig unverständlich gewesen sein dürfte. Denn der Autor Jürgen Kaube nennt in diesem Artikel, einem Wust aus dreisten Unterstellungen und plumpem Humor, nur meinen Namen, aber nicht den des Perlentauchers, den er nur als "Website, auf der deutsche Feuilletons oder jedenfalls die Unterzeilen ihrer Artikel ziemlich unzulänglich zusammengefasst werden", figurieren lässt. Jürgen Kaube malt hier eine Szene aus, in der ich die damalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss angeblich mit dem Stichwort "europäische Öffentlichkeit" bezirze, um mir Subventionen für meine "Unternehmens-Homepage" zu besorgen.

Zitieren wir etwas ausführlicher: "Wie kommt man an eine Subvention? Machen wir einen Versuch: Die meisten Belgier und Portugiesen lesen keine deutschen Feuilletons! 'Na ja', versetzt die Ministerin, 'wo ist da jetzt genau das Problem?' Gut, also deutlicher: Ein Buch von Pierre Bourdieu, das zuerst auf deutsch herausgekommen ist, hat hierzulande aber niemanden brennend interessiert, erst Wochen später, als es auf französisch vorlag, gab es in Frankreich, wo man auch kein Deutsch liest, das übliche Hallo. 'Mmmh', hören wir, 'das ist natürlich schon schlimm, aber so schlimm doch auch wieder nicht.' Na, dann sagen wir es ganz brutal: Es gibt keine europäische Öffentlichkeit! 'Wie?' ruft die Ministerin, 'Warum sagen Sie das denn nicht gleich? Das darf doch nicht wahr sein! Muss man doch was tun!' Denn jetzt klingt das schon ganz anders und irgendwie demokratiegefährdend, wenn gleich eine ganze Öffentlichkeit fehlt."

Ich soll also persönlich zur Kulturstaatsministerin gegangen sein und sie so lange beschwatzt haben, bis eine Subvention für "mich" rausgesprungen ist! Thierry Chervel, schreibt Kaube, "hat sich seine Subvention besorgt".

Tatsache ist: Ich bin nicht zu Christina Weiss gegangen und habe auch nicht mit ihr gesprochen. Und schon gar nicht habe ich mir "meine" Subvention besorgt. Auch kein anderer Perlentaucher hat das getan. Statt dessen haben wir bei der Bundeskulturstiftung einen Antrag auf Förderung eines Projekts, signandsight.com, eingereicht, der nach Prüfung durch den Stiftungsrat genehmigt wurde. Im Stiftungsrat saßen zu der Zeit unter anderem Wolfgang Thierse, Antje Vollmer, Norbert Lammert und Klaus Wowereit. Der Stiftungsrat hat dem Projekt einstimmig zugestimmt.

Falsch ist auch die Unterstellung, der Perlentaucher sei meine Unternehmens-Homepage. Er gehört einer GmbH aus vier Gesellschaftern - und das sind die Journalistin Anja Seeliger, unser Geschäftsführer Niclas Seeliger, der Informatiker Adam Cwientzek und ich.

Wenig später folgte die nächste Attacke. Signandsight.com war seit drei Monaten online. Zeit für eine Zwischenbilanz! Die FAZ-Redaktion mobilisierte am 9. Juni 2005 ihre internationalen Kulturkorrespondenten um herauszufinden, dass noch niemand je im Ausland von signandsight.com gehört hatte. Und tatsächlich: "Das Forum von signandsight.com hat hier bislang keine spürbare Resonanz gefunden. Die wöchentlichen Medienbeilagen des Guardian und des Independent haben davon keine Notiz genommen, und in der Berichterstattung über Deutschland schlägt es sich auch nicht nieder. Das Ziel, der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit beizuhelfen durch die Vermittlung aktueller deutscher Themen an das englischsprachige Ausland, scheint so fern wie eh und je", berichtete etwa Gina Thomas aus London.

Signandsight.com war wie gesagt drei Monate online. Dass 58 Jahre nach Gründung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auch nur eine halbe Handvoll Amerikaner, geschweige denn Briten weiß, was die FAZ ist, focht die Redaktion und ihre Korrespondenten Jordan Mejias, Paul Ingendaay, Kerstin Holm, Dirk Schümer, Gina Thomas und Joseph Hanimann nicht an.

Bei signandsight.com hat sich die Lage inzwischen doch merklich geändert. Die Bruckner-Buruma-Debatte über Islam in Europa, die von Perlentaucher und signandsight.com angestoßen wurde, hat Zeitungen wie Le Monde, Expressen in Stockholm, Trouw, Volkskraant und NRC Handelsblad in den Niederlanden, den Corriere della Sera in Mailand, die Neue Zürcher Zeitung, die Washington Post und The New Republic in New York zu Nachdrucken und zum Teil ausführlicher Berichterstattung veranlasst. Und auch im Guardian hat Timothy Garton Ash mehrfach auf signandsight.com verwiesen - unter anderem, weil diese Website zu einer europäischen Öffentlichkeit beiträgt.

Nicht dass die FAZ über diese Erfolge berichten müsste. Sie genießt Informationsfreiheit, und die FAZ-Leser genießen Freiheit von Information.

Hier wird auch der sonst schwer benennbare Einfluss des Banns, den die FAZ mit ihren Kampagnen über Perlentaucher und signandsight.com gelegt hat, ein wenig greifbarer: Keine Zeitung hat auf die Attacken der FAZ mit Gegenrecherchen reagiert, die Vorwürfe überprüft, die Arbeit von signandsight.com beschrieben.


Der angeblich subventionierte Perlentaucher

Seit der Projektförderung für signandsight.com versucht die FAZ außerdem immer wieder, den Perlentaucher als Unternehmen anzuprangern, das nur dank Staatssubventionen überlebt. Am 27. Februar 2005 schrieb Heinrich Wefing: "Was als typisches Start-up-Projekt in den späten Boomjahren der new economy begonnen hat, wird ein öffentlich gefördertes Instrument der deutschen Außendarstellung; aus einer cleveren Geschäftsidee wird ein staatlich bezuschusster Betrieb".

Am 29. Juni 2007 ist in einem FAZ-Artikel über den Prozess Jürgen Kaubes und der FAZ gegen den Perlentaucher von der "staatlich subventionierten Internetplattform 'Perlentaucher'" die Rede.

Um es ein für alle Mal richtigzustellen: Die Perlentaucher Medien GmbH publiziert das Kulturmagazin Perlentaucher und die englischsprachige Website signandsight.com. Für signandsight.com erhielt die Perlentaucher Medien GmbH eine Förderung der Kulturstiftung des Bundes. Diese Förderung ist zweckgebunden. Für das deutschsprachige Kulturmagazin Perlentaucher erhielt sie nie eine Förderung und hat auch nie eine beantragt.

Die "Internetplattform" Perlentaucher verdient ihr Geld wie ein echter Bauchladenverkäufer - genau wie andere Medien: mit Anzeigen, mit dem Verkauf von Inhalt (Rezensionsnotizen an den Internetbuchhändler buecher.de, die Feuilletonrundschau an Spiegel Online, die Magazinrundschau an die Welt), mit der Beratung von Verlagen für deren Internetauftritt, mit Auftragsarbeiten als Redaktionsbüro, und schließlich hat sie auch schon Internetseiten für Autoren gebaut. Dass sich der Perlentaucher privatwirtschaftlich trägt, hat er schon viereinhalb Jahre lang vor der Projektförderung für signandsight.com bewiesen.


Der 1. Prozess von FAZ und SZ gegen den Perlentaucher

Und dann die Prozesse. Am 18. März 2005, also kurz nach Start von signandsight.com und dem als so ungerecht empfundenen Erhalt staatlicher Förderung für ein Internetprojekt, erreichte uns eine erste Aufforderung zur Unterlassung von FAZ und SZ: Nach fünf Jahren Existenz des Perlentauchers hatten die beiden Zeitungen entdeckt, dass der Perlentaucher Resümees ihrer Buchkritiken, die der Perlentaucher im Rahmen seiner Bücherschau verfasst, an Internetbuchhändler wie buecher.de verkauft. Die Zeitungen sehen dies als Weiterverwertung ihrer eigenen Leistungen und machen Verstöße gegen Urheberrecht, Markenrecht und Wettbewerbsrecht geltend.

Der Perlentaucher betrachtet seine "Rezensionsnotizen", wie wir mehrfach in "eigener Sache" klargestellt haben, als Berichterstattung über Berichterstattung und somit als eigene Leistungen, über die er frei verfügen kann. Seine Notizen versteht er als Information über die Artikel der Zeitungen, als eine Brücke vom Internet zu den Traditionsmedien. Viele Leser erfahren im Internet überhaupt erst durch die Perlentaucher-Notizen von der Existenz eines Originalartikels. Durch den Link, den wir - wenn möglich - setzen, können sie ihn anklicken. Eine Funktion, die Perlentaucher-Leser ausgiebig nutzen. Ebenso verhält es sich auf den Seiten des Internetbuchhändlers buecher.de, der in der Regel sowohl die Rezensionsnotizen des Perlentauchers als auch die Originalartikel von SZ und FAZ präsentiert.

In der ersten Instanz haben FAZ und SZ bekanntlich verloren, aber die Zeitungen sind in Berufung gegangen, und die zweite Verhandlung findet am 24. Juli vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt statt. Der Ton der Berufungsschrift ist merklich schärfer geworden. Konzedierte die Klageschrift der ersten Instanz noch, dass "das Angebot der Beklagten einen positiven kulturellen Beitrag darstellt", so heißt es in der Berufungsschrift, dass der Geschäftszweck des Perlentauchers allein darin bestehe, Feuilletons "für sich selbst kommerziell auszuwerten", und "dabei weder eigenen Content zu entwickeln, noch einen Rahmen oder eine Plattform für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Feuilletons der deutschen Presse insgesamt zu bieten".

Ähnlich wie in dem Artikel von Sundermeyer vom 29. Juni in der FAZ wird hier der Eindruck erweckt, der Perlentaucher betreibe ausschließlich eine gewissermaßen rein mechanische und ausschließlich kommerziell motivierte Kompilation fremder Inhalte.


Der 2. Prozess der FAZ und Jürgen Kaubes gegen den Perlentaucher

Bei dem anderen Prozess, den die FAZ vor kurzem gewann, handelt es sich um ein Verfügungsverfahren, das die FAZ zusammen mit ihrem Redakteur Jürgen Kaube angestrengt hatte. Kaube hatte sich in einem Artikel vom 31. Januar letzten Jahres über eine Neuköllner Schule, die Deutsch als Pausenhofsprache eingeführt hat, auch mit der Frage befasst, was der Schulunterricht zur Integration von Schülern "mit Migrationshintergrund" beitragen kann. Er wendet sich gegen konservative Mentalitäten, die Deutschsein als ein für Fremde unzugängliches Arkanum begreifen, aber mehr noch gegen eine wohl eher der linken Pädagogik zugeordnete spezifisch deutsche "Selbst-Antipathie". Er konstatiert eine Konzentration des Schulunterrichts auf die problematischen Seiten der deutschen Geschichte und schlägt zur Behebung dieses Problems unter anderem vor, im Deutschunterricht wieder mehr Schriftsteller aus der Tradition deutscher "Sonderwinkelhaftigkeit" wie Jean Paul oder Hölderlin zu lehren - und nicht allein Schriftsteller wie Heinrich Heine oder Tucholsky, denen Deutschland ein Wintermärchen war.

Und dann schreibt er: "Zu diesen Befunden gehören solche aus Geschichtsstunden, für die das Gravitationszentrum der deutschen Geschichte Auschwitz heißt. Durch sie erschließen sich Effekte, die zuletzt eine Forschergruppe um den Ethnologen Werner Schiffauer festgestellt hat. An türkischstämmigen Schülern beobachtete sie das Befremden darüber, dass Deutschland im Unterricht durchweg als schwieriger, bedenklicher, fataler Fall dargestellt wird. Nicht dass es diesen Fall nicht gäbe - aber dass seine Aspekte in der Selbstdeutung der deutschen Kultur und Geschichte als die einzig erheblichen auftreten, muss auf Schüler, denen man zugleich Integration empfiehlt, befremdend wirken."

Wir dürfen unser Resümee hier nicht wiederholen. Die FAZ berichtete über das Resümee und den daraus folgenden Prozess.

Das Urteil des Kammergerichts Berlin, das wir akzeptiert haben, setzt der Interpretation und Debatte eines Meinungsartikels - um nichts anderes handelt es sich bei Kaubes Aufmacher des Feuilletons - einen extrem engen Rahmen. Solche Urteile werden Auswirkungen auf das Web und das Web 2.0 haben. Sie machen das Spiel der Meinungen für jeden Blogger zur Millimeterarbeit. Blogger beziehen sich schließlich häufig auf die traditionellen Medien und kritisieren sie auch. "Die Gesellschaft wird durch das Internet auch kreativer, freier im Kopf", konstatierte Frank Schirrmacher neulich im Gespräch mit Hubert Burda. Prozesse der Großen gegen die Kleinen sind ein probates Mittel, um der neuen Freiheit wieder die alten Grenzen zu setzen.

"In die Hauptsache" zu gehen, hätte für den Perlentaucher womöglich einen weiteren Prozess über drei Instanzen bedeutet. Das übersteigt unsere Mittel. Die finanziellen Rückstellungen für den ersten Prozess sind bereits eine schwere wirtschaftliche Belastung für uns.


Aus einem kühlen Grunde

Über den Traueranzeigen für verblichene Bankdirektoren, Freifrauen und Träger des Eisernen Kreuzes siedelt seit je das FAZ-Feuilleton. Es ist ja wie ein Friedhof. Mit seinen Kernkompetenzen - Vergreisung, Sterbehilfe, Denkmalschutz - schafft es tagaus tagein ein angemessenes redaktionelles Umfeld.

Man muss sich den Friedhof in erhöhter Lage vorstellen. Von hier aus kann man prächtig auf den Rest der Kulturwelt herabblicken und letzte Worte sprechen. Aber eins muss man verstehen: Wer sich erst mal bis in diese Höhen durch die Höllenpforte des Friedhofsvorstehers gezwängt hat, möchte sich in seinen Deklamationen ungern vom Perlentaucher unterbrechen lassen. Der Perlentaucher ist lästig wie ein Insekt. Wenn er zitiert, erzeugt er zwar einen angenehmen Kitzel, aber er sticht auch mal zu, oder - und das ist regelmäßig das Schlimmste - er lässt sich gar nicht auf der erhabenen Nase des Herrn Redakteurs nieder. Der Perlentaucher tut etwas, wozu man nach zahllosen Selbstopfern das alleinige Privileg zu haben glaubte: Er beurteilt, er sortiert ein oder aus, er stellt Hierarchien von Wichtigkeit her. Er macht mit den Elaboraten der FAZ-Redaktion, was diese mit dem Rest der Welt tut.

Das ist ärgerlich. Wie das Internet an sich hat der Perlentaucher für die Hierarchen der FAZ vor allem eine lästige Eigenschaft: Er existiert. Mit dem Internet muss man sich arrangieren. Insekten tritt man tot.

Thierry Chervel



Anja Seeligers Richtigstellungen zu Olaf Sundermeyers Artikel "Die Gedanken der anderen" in der FAZ finden Sie hier.