Außer Atem: Das Berlinale Blog

Berlinale Warm-Up

Von Lukas Foerster
05.02.2015. Heute abend eröffnet die spanische Filmregisseurin Isabel Coixet mit ihrem Film "Nadie quiere la noche" (Niemand will die Nacht) die 65. Berlinale. Vorab ein kurzer Einblick in das Programm von Wettbewerb, Forum und Panorama. Ab morgen berichten wir dann täglich und aktuell.

Terrence MalickMalick, Werner Herzog, Jafar Panahi

Die wichtigste Nachricht kam zuerst: Schon im November, Wochen vor den ersten Filmankündigungen, wurde bekannt, dass Dieter Kosslick seinen Vertrag als Leiter der Berlinale ein weiteres Mal verlängern konnte: Mindestens bis 2019 bleibt er im Amt. Gott weiß warum (ein guter Kritikervorsatz für die diesjährige Ausgabe: Zurückhaltung beim redundanten und ja offensichtlich völlig nutzlosen Kosslick-Bashing). Ein Monat später folgte die Ankündigung, dass "Knight of Cups", der neue Film des wandelnden Kino-Enigmas Terrence Malick, im Wettbewerb Premiere feiern wird. Der völlig entfesselte Trailer zum Film ist auch heute noch der beste Grund, sich auf die konservativ geschätzt fünftletzte Kosslick-Berlinale zu freuen.

Mindestens zwei weitere Gründe im Wettbewerb: Jafar Panahi hat wieder einen Film gedreht, seinen Konflikten mit der iranischen Justiz zum Trotz. Für einen politischen Skandal wird sein neues Werk "Taxi" kaum noch taugen, dafür sorgt schon, so zynisch der Hinweis auch sein mag, der Abnutzungseffekt; gerade sein letzter Film "Parde" hatte jedoch nachdrücklich bewiesen, dass der einstige Kiarostami-Schüler immer noch und vielleicht mehr denn je zu den filmästhetisch interessantesten Filmemachern des Weltkinos gehört. Nicht viele Gründe gibt es eigentlich, auf ein Gertrude-Bell-Biopic namens "Queen of the Desert" mit Nicole Kidman gespannt zu sein. Aber doch einen entscheidenden: Regie führt Werner Herzog. Und wie dessen jahrzehntelang auf einsame, obsessive Männerfiguren abgestelltes Kino mit einer weiblichen Protagonistin umgeht: Das verspricht eines der aufregendsten Experimente des diesjährigen Festivals zu werden.


Andrew Haigh, Sabu, Isabel Coixet

Was kann man über die restliche Auswahl sagen? Dasselbe wie in den letzten Jahren: Offensichtlich hat die Berlinale nach wie vor wenig Zugkraft für die großen Namen des internationalen Autorenkinos; und ebenso offensichtlich hat sie kein Interesse daran, dieses Manko durch Experimentierfreude auszugleichen - wie dies in den letzten Jahren zum Beispiel dem Internationalen Filmfestival von Locarno gelungen ist, das drauf und dran ist, nicht nur Berlin, sondern auch Venedig in der informellen Hierarchie der europäischen Festivals den Rang abzulaufen. Der Berlinalewettbewerb ist dagegen - von den oben erwähnten Ausnahmen abgesehen - eher eine Art Warm-Up für Cannes. Was nicht heißen soll, dass die neuen Filme zum Beispiel von Andrew Haigh (der mit der schönen schwulen Liebesgeschichte "Weekend" bekannt wurde) oder von Sabu (ein einst als japanischer Tarantino gefeierter Kultregisseur, dessen beste Filme allerdings schon bald zwei Jahrzehnte zurück liegen) nicht so manchen Cannes-Darling in den Schatten stellen könnten.


Peter Greenaway, Pablo Larraíns, Patricio Guzman

Auch die beiden chilenischen Wettbewerbsbeiträge gilt es, gerade was die Bärenvergabe betrifft, im Auge zu behalten: Pablo Larraíns, der sich zuletzt mit dem politisch fragwürdigen Eighties-Pastiche "No" als ein begnadeter Stilist erwiesen hatte, wendet sich in "El Club" der katholischen Kirche zu. Und Patricio Guzmán, ein Altmeister des dokumentarischen Kinos, scheint sich in "El botón de nácar" (Der Perlmuttknopf) an einer Kosmologie des Meeresgrundes versuchen zu wollen. Besonders schwer einzuschätzen ist "Eisenstein in Guanajuato", ein in der Katalogbeschreibung recht campiges Projekt, mit dem der Hohepriester der Postmoderne Peter Greenaway in den Wettbewerb zurückkehrt.


Andreas Dresen, Ma?gorzata Szumowska, Wim Wenders (mit James Franco)

Und die deutschen Beiträge abseits des Amerika-Exilanten Herzog? Ein paar Jahre lang hatte die Berliner Schule einen fixen Startplatz im Wettbewerb; deren filmästhtischer Eigensinn muss jetzt wohl endgültig wieder draußen bleiben (und scheint dieses Jahr tatsächlich gleich auch noch aus den übrigen Sektionen verbannt worden zu sein), statt dessen ist diesmal der Sozialrealist Andreas Dresen dabei, mit der Clemens-Meyer-Verfilmung "Als wir träumten". Sebastian Schipper hat sich mit seinem bisherigen Werk nicht unbedingt für den Wettbewerb empfohlen; sein Beitrag "Victoria" hört sich in der Beschreibung so krude an, dass er eigentlich nur positiv überraschen kann. Weiterhin: Stars in 3D gibt es in Wim Wenders" "Every Thing Will Be Fine", Christian Friedel als Hitlerattentäter Georg Elser in Oliver Hirschbiegels "13 Minutes". Beides vorsichtshalber außer Konkurrenz.


Hal Hartley, Raoul Peck, Peter Kern, Jia Zhang-ke

Die anderen Sektionen: Im Panorama springt auf den ersten Blick noch weniger als in den Vorjahren ins Auge, was bei dieser notorisch unübersichtlichen Sektion aber nicht einmal ein schlechtes Zeichen sein muss. Gespannt sein darf man in jedem Fall auf den neuen Film des Dauerquerschlägers Peter Kern ("Der letzte Sommer der Reichen" - aus dem Katalogtext: "Ein Reigen der Korruption, und wer den Takt stört, der wird aus dem Weg geräumt"); sowie auf Neues von Rosa von Praunheim, Jan Soldat, Raoul Peck und Hal Hartley. Sicherlich einen Blick wert ist Walter Salles Porträtfilm über den chinesischen Ausnahmeregisseur Jia Zhang-ke.


Kidlat Tahimik, Marcin Malaszczak, Vincent Dieutre, Dominik Graf

Auch im Forum fällt die Orientierung nicht leicht; wieder dominieren Erst- und Zweitwerke, eine Programmierungsstrategie, die es nach den Erfahrungen der letzten Jahre vielleicht einmal zu überdenken gälte (wie viele echte Entdeckungen waren dabei? Und wieso werden nicht statt dessen einzelne Filmografien konsequenter verfolgt?). Am ehesten kann man sich an alte und jüngere Bekannte halten, von denen es doch eine ganze Menge gibt: Kidlat Tahimik, der Altmeister des unabhängigen philippinischen Kinos, hat einen neuen Film im Programm (kompliziert betitelt als "Balikbayan #1 Memories of Overdevelopment Redux 3"). Vincent Dieutre, dessen "Jaurès" zu den schönsten Forumsfilmen der letzten Jahre gehörte, ist mit einem neuen Film, der Rossellini-Paraphrase "Viaggio nella dopo-storia", mit dabei, und der für seinen Erstling "Sieniawka" gefeierte dffb-Absolvent Marcin Malaszczak hat ebenfalls einen Film im Programm: "The Day Run Away Like Wild Horses Over the Hills". Der sehr interessante französische Regisseur Rabah Ameur-Zaimeche setzt mit "Histoire de Judas" seine historischen Untersuchungen fort; und umtriebige amerikanische Independentregisseur Alex Ross Perry ist einer "Queen of Earth" auf der Spur. Gegen Ende des Festivals gibt es auch wieder Neues von Dominik Graf: "Was heißt hier Ende?" ist eine Hommage an den 2011 verstorbenen Filmkritiker Michael Althen. Grafs Film wird nur zweimal gezeigt, also rechtzeitig Karten sichern!

Traditionelle Highlights sind die historischen Filme in den Forum-Spezialprogrammen. Auch 2015 gibt es wieder eine japanische Miniretro (die ist diesmal dem extravaganten Handwerker Kon Ichikawa gewidmet), sowie Unbekanntes unter anderem aus Mexiko und Südafrika. Was die Vorfreude allerdings nachhaltig trübt: Von keinem einzigen dieser Filme hat das Forum eine 35mm-Kopie aufgetrieben. Inzwischen ist das gesamte Programm der Sektion aufs digitale DCP-Format nivelliert, wodurch der Auswahl ein entscheidendes Differenzkriterium verloren geht.


Marilyn Monroe in "Niagara", Liz Tayler in "Ivanhoe", Gene Tierney in "Leave Her to Heaven" und die böse Königin aus Disneys "Schneewittchen"

Apropos analoges Filmmaterial: Die diesjährige Retrospektive spielt nicht nur fast ausschließlich 35mm-Kopien, sondern ist auch einem historischen Farbverfahren gewidmet: "Glorious Technicolor" versammelt eine Reihe von größeren und kleineren Farbfilm-Klassikern der 20er bis 50er Jahre des amerikanischen und britischen Kinos (ein besonderer Tipp: Henry Hathaways "The Shepherd of the Hills" ist vielleicht der schönste Bergfilm der Filmgeschichte). Für Irritation sorgte allerdings die Ankündigung, dass der Großteil der Filme nicht in historischen Originalkopien, sondern in am Computer restaurierten und erst nachträglich wieder auf Zelluloid umkopierten Fassungen präsentiert werden, was das filmhistorisch ambitionierte Konzept der Reihe weitgehend ad absurdum führt: das Technicolor-Material zeichnet sich schließlich gerade dadurch aus, dass es farbstabil ist und oft auch noch Jahrzehnte nach der Uraufführung im alten Glanz erstrahlt. Ob es sich bei meinem Lamentieren lediglich um ein Spezialistenproblem handelt, oder ob sich die digitale Nachbearbeitung tatsächlich in der Visualität der Filme niederschlägt, wird man, wie vieles andere, erst im Kino feststellen können.