Außer Atem: Das Berlinale Blog

Eine Diskussion zur Erforschung afrikanischer Bewegtbildarchive im Forum Expanded

Von Nikolaus Perneczky
13.02.2015. Wie kann das afrikanische Filmerbe bewahrt werden? Eine Diskussion im Forum Expanded beschreibt Beispiele aus dem Sudan, Guinea-Bissau, Südafrika und Ägypten.

Szene aus Flora Gomes" Film "Nha Fala" (youtube, mehr zu den Filmen hier)

Vorgestern war ich bei einem von Tobias Hering und Marie-Hélène Gutberlet moderierten Panel im Rahmen des Forum Expanded. Unter dem Titel "Visionary Archive" wurden in durchweg spannenden Vorträgen und Gesprächen Forschungsprojekte vorgestellt, die um afrikanische Bewegtbildarchive und die widrigen Umstände ihrer Überlieferung bzw. Vermittlung kreisten. Zwei besonders interessante Bestände werden zur Zeit im Arsenal digitalisiert: das von Katharina von Schroeder ausfindig gemachte Privatarchiv des sudanesischen Kinopioniers Gadalla Gubara, sowie eine Sammlung von Filmaufnahmen, die Flora Gomes und andere (damals sehr junge) Filmemacher im Guinea-Bissau der 1960er und 70er Jahre - während der Befreiungskriege und nach Erlangung der Unabhängigkeit - gedreht haben.


Gadalla Gubara, Song of Khartoum, 1950

Gubara, Gründer des Filmstudios Gad, hat von den späten 1940er Jahren bis zu seinem Tod 2007 unzählige Arbeiten - Spielfilme, Werbefilme, Newsreels - realisiert, die viel über Sudans politische und soziale Geschichte erzählen. Das Filmemachen lernte Gubara bei einer kolonialen film unit der Briten. 1956 filmte er den Übergang zur Unabhängigkeit, im Juli 1964 den zweiten Kongress der Organisation of African Unity in Kairo. 1969 war er als Gründungsmitglied an der Entstehung der Fédération Panafricaine des Cinéastes (FEPACI) beteiligt. Nach dem Putsch von 1989 wurde Gubaras Studio - das erste und einzige in Sudan - enteignet, die neuen Militärmachthaber hatten andere Pläne für das Grundstück. Gubara kam vorübergehend ins Gefängnis und erlitt unter Schock einen Anfall hysterischer Blindheit. Seines Augenlichts beraubt, war er fortan auf die Hilfe seiner Tochter Sara angewiesen, die gestern aufgrund von Visumsproblemen leider nicht anwesend sein konnte. Der guineische Archivbestand wiederum wird von der Künstlerin Filipa César betreut. Sie führte aus, dass bei der Digitalisierung mit Absicht auf Restaurationsanstrengungen verzichtet wurde. Das ist im vorliegenden Fall überaus schlüssig: Die ins Filmmaterial eingeschriebenen Spuren erzählen Geschichten, etwa vom Fehlen staatlicher Filmarchive, die genauso zur historischen Gegenständlichkeit dieser Aufnahmen gehören wie die darin abgebildeten Ereignisse.


Szenen aus Louis de Witts "Joe Bullet", ZAF 1971

Darryl Els stellte seine Archivrecherchen zum südafrikanischen B-Scheme vor, einer staatlichen Filmsubvention der Apartheid-Ära speziell für solche Produktionen, die sich, wiewohl von weißen Regiearbeitern inszeniert, an ein schwarzes Publikum richteten. Sehr ergiebiger Stoff für Überlegungen zum Kino als koloniale Technologie - und zu den Möglichkeiten seiner Wiederaneignung und Subversion. Zwei von B-Scheme geförderte Filme, "Joe Bullett" und "Umbango - The Feud" (hier unsere Kritiken), die, wie Els überzeugend darstellte, amerikanische Genretropen mit der Ikonographie südafrikanischer Comics vermengen, sind morgen und übermorgen noch als Special Screenings im Rahmen des Forum zu sehen. Wer diese beiden einmaligen und sicher lohnenden Gelegenheiten wahrnimmt, sollte im Kopf behalten, dass die B-Scheme-Filme nicht nur in schwarzen Kinos liefen (aus dem weißen Kinobetrieb waren sie verbannt), sondern auch in Schulen, Kirchen und unter freiem Himmel. Auch darin, in den lokalen Abwandlungen und Erweiterungen des Kinodispositivs, liegen Potenziale der Wiederaneignung eines Mediums, das (wie auch Flora Gomes betonte) in seinem vergleichsweise großen Technologie- und Kapitalaufwand mehr als andere Künste mit kolonialer Herrschaft (und neokolonialen Abhängigkeitsverhältnissen) verwickelt ist.

Ein Höhepunkt der diesjährigen Berlinale war für mich der Rekrutierungsfilm, den Yasmin Desouki von der neuen Kinemathek in Kairo als Anschauungsmaterial aus ihrem gemeinsam mit Hana al Bayaty konzipierten Archivprojekt "Revisiting Memory" mitgebracht hatte. Angeworben werden sollen in dem Film aus der Nasser-Ära Rekruten für eine Polizeischule; der Regisseur (dessen Namen ich zwar notiert habe, nun aber nicht mehr entziffern kann) zäumt das Pferd jedoch von hinten auf. Ein junges Mädchen mit 60s-Beehive und im Minirock - das neue Ägypten - mag nicht so recht in die geplante Verheiratung mit einem jungen Mann einwilligen, weil dieser, obschon sehr hübsch, als Polizist arbeitet. Aber nein, sagt der freundliche Vater des Mädchens, die Polizei ist unter Nasser nicht mehr derselbe ungebildete und bürokratische Haufen, der sie einmal war. Es folgen Vignetten aus der modernisierten Polizeiausbildung, kulminierend in der Anrufung des nunmehr nicht nur akzeptablen, sondern geradezu idealen Gatten: "Advance us with your knowledge!" Darüber wurde natürlich viel gekichert im Auditorium. Desouki selbst war vor allem von der Kluft zwischen historischem Idealismus und gegenwärtiger Polizeigewalt verblüfft: Genau solche Bildlektüren im Benjaminschen "Jetzt der Erkennbarkeit" scheint ihr partizipatorisches Archiv anzustreben. Alles in allem: eine sehr (!) tolle Veranstaltung.