Außer Atem: Das Berlinale Blog

Wohlkomponierte Zufälligkeiten: Matias Marianis "Cidade Pássaro" (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
22.02.2020.


Eine coolere Kombination als die von Brasilien und Nigeria kann man sich kaum vorstellen, da kann nicht einmal die von Musik und Mathematik mithalten. Matias Marianis Spielfilmdebüt "Cidade Pássaro" greift hoch verbindet gleich alles, die Bewegung innerhalb des Südens und auf abstrakter Ebene: Der junge nigerianische Musiker Amadi kommt nach São Paulo auf der Suche nach seinem älteren Bruder Ikenna, der dort an einer Universität Qualitative Statistik unterrichten wollte. Seit einem Jahr hat er nichts von sich hören lassen, die Eltern sind in Sorge um ihren ältesten Sohn, der nicht nur besonders geliebt wird, sondern auch besonders viele Erwartungen zu erfüllen hat; die Verlobte ist vergrätzt, und alle scheuen sich, einander auf der Straße zu begegnen. Doch Amadi findet bald heraus, dass es die Universität ebenso wenig gibt wie die sichere Existenz, die Ikenna angeblich in Brasilien führt. Er ist verschwunden, weder sein Onkel noch seine Geliebte wissen, wo er steckt.



Tagsüber streift Amadi durch die imposanten Hochhausschluchten São Paulos und von der Mall zur Rennbahn. Man kann sich kaum sattsehen an der avantgardistischen Architektur, an der Klarheit der Linien, den Vertikalen und den Horizontalen, die der Stadt ihre Struktur geben. Das Oval der Rennbahn vor der Skyline haut einen um. Mariani fängt dies mit einer ruhigen Kamera in seinen edel kadrierten Bildern toll ein. Nachts sucht Amadi in den Clubs der Stadt nach seinem Bruder. Auch hier viel Schönheit, allerdings weniger Ordnung und Strenge.

Amadi trifft auf ein Paar älterer Männer, die sich nicht mehr verständigen können, weil der eine nach einem Schlaganfall nur noch Ungarisch spricht. Von ihnen erfährt er jedoch, dass Ikenna einen Algorithmus entwickelt hat, mit dem er Pferderennen berechnen kann. Er konnte auch komponieren, indem er die Position der Pferde auf Notenblätter übertrug.

Nach und nach gibt Ikenna Lebenszeichen von sich, die kaum jemand zu deuten weiß, er scheint aus einem Paralleluniversum heraus zu agieren. Identitäten lösen sich auf, die Welten geraten aus ihrer Matrix. Enigmatisches reiht sich in wohlkomponierten Zufälligkeiten aneinander: Afrikanische Spiritualität, der Fluch der Großmutter, aleatorische Musik, mathematische Linguistik. Gleichheit, Ähnlichkeit, Ordnung. Alles ist unglaublich ästhetisch angeordnet, die Geschichte erschließt sich nicht. Aber das ist so gewollt: Mit seinem Film " Cidade Pássaro " will Mariani nicht nur Sinn und Eindeutigkeiten aufheben, sondern auch die Zeit: "Die Zeit vergeht nur, wenn die Geschichte erzählt wird."

Cidade Pássaro. Regie: Matias Mariani. Mit O. C. Ukeje, Chukwudi Iwuji, Indira Nascimento, Paulo Andre, Ike Barry. Brasilien / Frankreich 2020, 102 Minuten (Alle Vorführtermine)