Außer Atem: Das Berlinale Blog

Eine Parabel über die Demokratie: Amit V. Masurkars 'Newton' (Forum)

Von Thekla Dannenberg
10.02.2017.


Das indische Kino bringt oft seine ganz eigenen wunderbaren Spielarten hervor. Amit V. Masurkars "Newton" erzählt eine Dschungel-Geschichte. In diesem noch nicht ganz etablierten Genre geht es um das Drama der Demokratie, die Heirat aus Liebe und um Dschombies. Dieses rätselhafte Wesen lebt im Inneren des Landes, und seine Konturen werden zumindest im Laufe des Films in Ansätzen erkennbarer. Dschungel-Stories werden bestimmt ein ganz großes Ding, denn gerade in Indien haben Wahlen besonders viel Charme.

Der junge Newton soll zum Beispiel im Südosten des Landes die ordnungsgemäße Durchführung der Parlamentswahlen sichern. Hier leben die indigenen Adivasi, die traditionell die Wahlen boykottieren, sie können meist weder Lesen noch Schreiben noch Hindi, und für sie selbst haben sich die Wahlen auch noch nie ausgezahlt. In diesem Landstrich wütet auch die maoistische Guerilla, die ebenso traditionell die Wahlen und jede Manifestation des Zentralstaates torpediert.

Newton ist ein sehr gewissenhafter Beamter, im blütenweißen Hemd stapft er durch den Dschungel, nichts bringt ihn von seinem Plan ab, die Wahlkabinen baut er nach Vorschrift auf. Den Pedanten begleitet eine junge Lehrerin, die als Dolmetscherin nicht nur die Sprache der Adivasi kennt, sondern auch ihr Denken. Nicht, dass sie nicht an den Fortschritt glaubt, aber der Malaria beugt sie am liebsten mit Ameisenbissen vor. Und schließlich gibt es noch den verkrachten Schriftsteller, der mit Dschungel-Geschichten groß rauskommen will. Das Trio wird von einem Trupp Militärs begleitet, und man kann nicht unbedingt sagen, dass die Soldaten den Wahlhelfern zur Seite gestellt wurden, eher in den Weg. Der Offizier ist von ausgesuchter Verschlagenheit. Kommt man ihm mit Regeln, antwortet er mit den Gesetzen machtpolitischer Algebra in einem Vielvölkerstaat. Zuerst immer schön teilen! Wie viel ist noch mal zwei plus zwei durch zwei?

Tradition, Bürokratie und militärische Logik sind die großen Widerstände der indischen Demokratie. Amit V. Masurkar lässt in seinem Film "Newton" diese Kräfte der Trägheit aufeinanderstoßen, und dabei passiert Erstaunliches: Sie heben sich nicht auf und sie verstärken sich nicht. Im indischen Kino gelten die Gesetze der klassischen Mechanik nicht: Aus dem Spiel der Schwerkräfte wird eine heitere, gewitzte Komödie über die Demokratie, die Liebe und den Idealismus, in den Prinzipien sich mitunter verwandeln können.

Newton. Regie: Amit V Masurkar. Mit Rajkummar Rao, Anjali Patil, Pankaj Tripathi und anderen. Indien 2017. 106 Minuten. (Vorführtermine)