Vom Nachttisch geräumt

Krieg und Frieden

Von Arno Widmann
09.09.2015. Warum ein langer Frieden ohnen einen langen Krieg nicht zu haben ist, lernt man in der Ausstellung "Samurai and the Culture of Japan's Great Peace".
"Samurai and the Culture of Japan"s Great Peace" heißt die Ausstellung, die noch bis zum 3. Januar im Peabody Museum of Natural History der Yale University gezeigt wird. Ich kann über die Qualitäten der Ausstellung nichts sagen. Ich war nicht dort. Ich stieß in der Buchhandlung König in der Burgstraße in Berlin auf den Katalog. Ich nahm ihn sofort mit.

Die Samurai haben mich schon immer fasziniert. Dieser Ritterstand, diese Gefolgsleute ihres Herren, die wie aus tiefster Urgeschichte hineinragen in die moderne Welt. Wer erinnert sich noch an den großen, reaktionären japanischen Schriftsteller Yukio Mishima (1925 - 1970), der am 25. November 1970 mit vier Mitgliedern seiner "Schildgesellschaft" genannten Privatmiliz den diensthabenden Kommandanten der japanischen Streitkräfte als Geisel nahm, vom Balkon des Hauptquartiers (heute der Sitz des japanischen Verteidigungsministeriums) aus eine Rede hielt, in der er die Armee zur Besetzung des Parlamentes und zur Wiedereinsetzung des Kaisers aufrief?. Als nichts passierte, begingen Mishima und einer seiner engen Vertrauten Seppuku und als ihnen das misslang, ließen sie sich von einem dritten Mitglied ihrer Gang enthaupten. Ich war damals 24 Jahre alt und völlig fasziniert. Mishima war mir nicht unbekannt. Ich wusste, dass er alles Linke bekämpfte. Nicht nur mit Wort und Schrift. Er hatte eine bewaffnete Garde um sich geschart, die den Krieg gegen die Moderne aufnehmen sollte mit den alten Waffen und dem alten Ehrenkodex der Samurai. So wie Mishima ihn verstand.

In der Ausstellung in Yale spielt Mishima keine Rolle. Das Museum hat etwa 2000 Gegenstände aus Japan, die von Sammlern des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts zusammengetragen wurden. 150 davon zeigt die Ausstellung. Kunst, Alltagsgegenstände, Waffen und Amulette. Mit dem "Großen Frieden" im Titel der Ausstellung ist jene Epoche der japanischen Geschichte gemeint, in der zwischen 1615 und 1863 in Japan unter der Herrschaft von Tokugawa Ieyau und seiner Nachfolger, Frieden war. 250 Jahre lang. Darauf wartet Europa noch immer. Es war auch die Zeit, in der es Fremden verboten war, nach Japan zu kommen und Japaner, die ins Ausland zu gehen versuchten, mit der Todesstrafe zu rechnen hatten. Zum "Großen Frieden" des Tokugawa Shogunats gehörte der große Krieg gegen fremde Überzeugungen, also auch der gegen die eines großen Teiles der Bevölkerung.


Ausschnitt aus "Martyrer in Nagasaki", 10. November 1622, Chiesa del Gesu, Rom

Keine Abkapselung funktioniert jemals zu 100 Prozent. Keine Mauer ist wirklich undurchlässig. So hat die Ausstellung auch eine kleine Abteilung, die sich mit den Beziehungen zwischen der Außenwelt und Japan in jenen Jahren beschäftigt. Sie umfasst nur sieben Gegenstände. Einer davon ist die Reproduktion eines berühmten Gemäldes eines unbekannten Künstlers, das sich heute in der Chiesa del Gesú in Rom befindet. 126 mal 170 Zentimeter groß auf japanischem Papier zeigt es die Tötung von Christen, "der Märtyrer von Nagasaki". Wahrscheinlich gemalt von einem nach Macao geflohenen japanischen Christen. Es gab Hunderttausende davon. Nicht lange. Sie mussten abschwören oder sie wurden umgebracht. Manche schwörten ab, stelle ich mir vor, und wurden trotzdem umgebracht. Das Shogunat entwickelt ein jedes Dorf, jeden Bewohner erfassendes Überwachungssystem. Die Ausstellung zeigt ein Verzeichnis aus dem Jahre 1666 - in Europa war gerade der 30jährige Krieg zu Ende gegangen - von Dorfbewohnern - jeder wird einzeln mit Namen und Alter aufgeführt -, unter dem ein buddhistischer Mönch bestätigt, dass keiner von ihnen Christ ist.

Mich hat am meisten beeindruckt die Abbildung eines 20 Zentimeter hohen Kreuzes. Offenbar weiß man nicht, von wann es ist. Auf der einen Seite ist es nichts als ein metallenes Kreuz, dreht man es um, thront da, wo bei einem christlichen Kreuz der Gekreuzigte hängen würde, Buddha. Er sitzt im Lotussitz auf einem Kissen, das eigentlich eine Lotosblüte sein müsste und hält seine Hände flach auf aneinandergepresst vor die Brust. Also doch nicht der Buddha, sondern der Fugen Bodhisattva. Eine im Japan der Zeit weit verbreitete buddhistische Gottheit. Auf solche Einzelheiten lässt der Katalog sich leider nicht ein. Dabei ist der Fugen Bodhisattva gerade darum so interessant, weil seine Geste der Verehrung - die vor der Brust flach an einander liegenden Hände - eben die Handhaltung ist, in der katholische Christen beten sollen oder doch wenigstens sollten. Vielleicht hat der Katalog recht, wenn er sagt, dieses Kreuz sei das von Christen, die im Verborgenen ihren Glauben praktizierten. Aber die Vorstellung, sie hätten, wenn die Kontrolleure kamen, es einfach umgedreht, scheint mit wenig glaubwürdig. Ich kokettiere eher mit dem Gedanken, dass sie sich ein sehr eigenes Amalgam von Christentum und Buddhismus geschaffen hatten, ihre eigene Religion, wenn man so will. Aber das ist Spekulation. Es scheint keine Texte zu geben, die das belegen.

Samurai and the Culture of Japan"s Great Peace, hrsg. von Drixler, Fleming und Wheeler, Yale University Press, New Haven 2015, 124 Seiten, s/w und farbige Abbildungen, 24,80 Euro.