Magazinrundschau - Archiv

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Magazinrundschau vom 30.03.2021 - HVG

Die Drehbuchautorin Kata Weber wurde vor kurzem vom Magazin Variety zu den zehn vielversprechendsten Drehbuchautorinnen gewählt. Im Interview mit Rita Szentgyörgyi spricht sie über ihr gemeinsames Filmprojekt mit Kornél Mundruczó, "Pieces of a Woman", dessen Premiere letztes Jahr in Venedig gefeiert wurde (zu sehen jetzt auf Netflix). Erzählt wird die Geschichte einer Frau, deren Kind bei einer Hausgeburt stirbt. Die Hauptdarstellerin des Films, Vanessa Kirby gewann in Venedig den Darstellerinnenpreis und wurde in der vergangenen Woche in derselben Rolle für den Oscar nominiert. "Als wir mit dem Film anfingen, spürten wir, dass wir eine Geschichte aufarbeiten, die noch nicht erzählt wurde. (...) Mit der Mutterschaft scheint die Frau zum Gemeingut zu werden, bereits die Themen der Mutterschaft oder ihre Ablehnung, wie das Kind ausgetragen und wie es erzogen wird, erhalten oft eine politische Farbe. Es ist ersichtlich, dass die Welt damit in Schwierigkeiten steckt und so entstehen landesabhängige, oft extreme Antworten auf diese Fragen. Den tabubrechenden Inhalt spürten wir, als wir die Bühnenfassung von 'Pieces of a Woman' am Teatr Rozmaitości in Warschau aufführten. (...) Später wurde es aus der Rezeption und den Zuschauerquoten des Films offensichtlich, dass es unzählige Betroffene gibt."

Magazinrundschau vom 02.03.2021 - HVG

Der Serienproduzenten Gábor Krigler erzählt im Interview von der Serienidee "Balaton-Brigade", eine Stasi-Agentengeschichte am Plattensee in den 1980er-Jahren, bei der Ildikó Enyedi Regie führen soll. Die Idee (mehr dazu bei Variety) wird in dieser Woche auf der diesjährigen Berlinale vorgestellt. "Als wir uns überlegten, wer für die Balaton-Brigade als Regisseur in Frage kommen könnte, dachten wir zunächst, dass wir dafür bestimmt einen deutschen Regisseur brauchen. Dann haben wir erkannt, dass dies kein Kriterium ist. Warum sollten wir diese Aufgabe aus unserer Hand geben? So haben wir Ildikó Enyedi aufgesucht, die diese Zeit durchlebt und eine deutsche Bindung hat, denn sie ist mit einem Deutschen (Wilhelm Droste) verheiratet und verbringt viel Zeit in Deutschland. (...) Tatsächlich ist das internationale Publikum unsere Zielgruppe, obwohl es zu 70 Prozent eine deutsche Geschichte ist. Von den vier Hauptsträngen hat einer einen ungarischen Helden. Sehr wichtig war mir aber, dass wir uns in den Kopf des Stasi-Agenten hineinversetzen konnten, der grundsätzlich der Böse in einer Agentengeschichte wäre, doch wir gehen der Geschichte aus seiner Perspektive nach, wie er gedacht und Kompromisse geschlossen habt."

Magazinrundschau vom 15.09.2020 - HVG

Am 1. September 2020 wurde die Budapester Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) von der Regierung in eine Stiftungsuniversität umgewandelt. Der komplette Senat kündigte daraufhin sein Beschäftigungsverhältnis, zahlreiche Hochschullehrer verließen die Universität, das Gebäude wird seit zwei Wochen von den Studenten besetzt, nachdem das neue Kuratorium mit Attila Vidnyánszky als Vorsitzenden eine zuvor von den Organen der Universität nicht debattierte und nicht genehmigte Institutsordnung präsentiert hattee, die die Autonomie der Universität praktisch auslöscht. László Bagossy, der als Institutsleiter gekündigt hat, spricht im Interview mit Fanni Czeglédi über die Situation: "Aus der Sicht der Studenten ist es inakzeptabel, dass in dieser Situation ein bedeutender Teil des Lehrerkollegiums vertrieben wurde. Es sind Menschen gegangen, die nicht in zwei Minuten ersetzt werden können. Was sie mitnahmen, ist nicht nur Fachwissen, sondern auch die Tradition selbst. Die Studenten wissen über alle Entscheidungen, Ereignisse und Veröffentlichungen Bescheid. Zuerst war ich darüber besorgt, dass sie zu irgendwelchen illegalen Mitteln greifen, solange nicht alle rechtlichen Gegenmittel ausgeschöpft wurden. Also solange es sich nicht schwarz auf weiß herausgestellt hat, dass das ganze eine Schweinerei ist und unsere Autonomie genommen wird, solange sollte keine Besetzung der Universität oder ähnliches geschehen. Am Ende wurde jedoch eine Institutsordnung verabschiedet, die von Attila Vidnyánszky unterschrieben wurde, ein auf brutale Art und Weise entmannter Text und damit gab es keinen Raum mehr für Missverständnisse, ... es wurde ausschließlich die Autonomie zerschlagen."

Magazinrundschau vom 23.06.2020 - HVG

Die bisher autonome, jedoch staatlich finanzierte Universität der darstellenden Künste soll bereits zum 1. September in eine Stiftung überführt werden - eine mittlerweile gängige Praxis, mit der sich Viktor Orbans Fidesz-Pareti durch die Bestimmung von Kuratoriumsmitgliedern langfristig Einfluss und Kontrolle über Hochschulen und Universitäten sichert. Schon in der jüngeren Vergangenheit wurde die Schauspielschule wiederholt von Regierungsmitgliedern und den staatlichen Medien angegriffen. Die Dramaturgin Zsuzsa Radnóti kritisiert die Pläne der Regierung scharf: "Dieses verblüffend frühe Datum zeigt erschreckende Inkompetenz oder es ist ein offizielles Diktat, das keinerlei nüchterne Gegenargumente berücksichtigt. Im Falle einer so komplizierten netzwerk-artig aufgebauten, multifunktionalen Institution wie einer Universität sind die Auswirkungen einer überstürzten Umgestaltung unabsehbar. Oder aber es gibt eine andere, noch nicht erkennbare Absicht: ein langsames Ausblutenlassen, in dem in einer längeren Zeit die bedeutenden Persönlichkeiten entlassen, ersetzt oder pensioniert werden oder sie gehen von sich aus freiwillig ... In glücklicheren Gegenden von Europa ... werden Erhalt und Betrieb einer bedeutenden Kulturinstitution gesichert, ihre Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit garantiert. Und wenn diese Autonomie, diese unabhängige Existenz irgendwo, von irgendeiner Seite, aus irgendeiner Sphäre (aus der staatlichen oder privaten) politische oder andere Angriffe erleiden müsste, dann würde man sie eher beschützen, als sie ihrem Schicksal zu überlassen." Ähnlich sieht das der Schauspieler und Regisseur Róbert Koltai in 168 óra.

Magazinrundschau vom 26.05.2020 - HVG

Nachdem der rumänische Präsident (und designierte Karlspreisträger) Klaus Johannis kürzlich in einer innenpolitischen Debatte eine der führenden Oppositionsparteien geheimer Verhandlungen mit Ungarn beschuldigt hatte (und dies auch noch mit einem ungarischen Akzent), kochten in Orban-nahen Kreisen in Ungarn die Emotionen hoch - bis hin zu rassistischen Beleidigungen. Johannis' Aussagen selbst wurden als rassistisch bewertet. Der aus Siebenbürgen stammende Philosoph Gáspár Miklós Tamás erhebt seine Stimme gegen die zunehmende Feindlichkeit gegenüber Rumänien: "Die Schande des krankhaften Tobens kann mit kurzen Texten nicht bereinigt werden. Unsere ganze Nationalauffassung und Geschichtsbetrachtung ist schuld daran, dass es - schon wieder - passiert, und dass dies keine breite Empörung und Proteste auslöst. (...) Dieser ungarisch-rumänische Gegensatz, bei dem manchmal rumänische, manchmal ungarische 'Eliten' eine zu verurteilende Rolle spielen, hätte mein ganzes Leben vergiften können und es kam vor, dass auch ich meinen Kopf verlor. Doch über den Verletzungen und schlechten Erinnerungen stehend, sage ich nun: es reicht. Leider ist unsere Heimat nicht gesund. Millionen Menschen verstehen nicht, warum die halbe Welt uns verabscheut. Dieser Abscheu ist manchmal gepaart mit Unverständnis oder Unwissen: doch in der Sache ist er begründet. Ungarn ist zu einem furchtbaren Ort geworden. Seine Ehre müsste verteidigt werden, doch nicht mit jener Lüge, dass ethnischer Hass hierzulande nicht dominiere. Doch, er dominiert! Er ist die Essenz der gegenwärtigen Politik und Kultur. Der Bruch damit muss eindeutig sein. Ja, es reicht."

Magazinrundschau vom 28.01.2020 - HVG

Für den Philosophen Gáspár Miklós Tamás ist es nicht von Bedeutung, ob die ungarische Regierungspartei Fidesz, deren Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei (EVP) vorübergehend ausgesetzt ist, bei der in Kürze erfolgende Abstimmung aus der EVP ausgeschlossen wird. Die EU scheint für ihn eh am Ende zu sein: "Es ist vollkommen gleichgültig, was mit der Partei von Viktor Orbán in den europäischen Institutionen passiert, denn Artikel 7 (Suspendierung der EU-Mitgliedschaft) kann gegen sie nicht verfügt werden. Auch dann nicht, wenn dies die Ex-Großmächte gerne haben würden. England ist draußen, auf Wiedersehen! Die EU verwest, ist richtungs- und konzeptionslos, ein belächelter bürokratischer Schrottplatz: schade zwar, doch es ist zu spät. (…) Es geht jetzt darum, ob die Institutionen des ungarischen Volkes aufrechterhalten bleiben, vom ÖPNV bis zur Post, von den Nationalparks bis zum Denkmalschutz, den Museen und Archiven, den wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken, den Künsten, dem Verlagswesen, der wissenschaftlichen Forschung, den Universitäten, den Gewerkschaften und den Menschenrechtsgruppen. Um das ungarische Volk selbst gar nicht zu erwähnen."

Magazinrundschau vom 21.01.2020 - HVG

Kürzlich wurde von Prominenten der ungarischen Regierungspartei Fidesz erneut eine Büste des völkischen Schriftstellers Albert Wass enthüllt. Diesmal geschah dies in einem Park, der nach dem ungarischen Dichter und Holocaustopfer Miklós Radnóti benannt wurde - "ein unglücklicher Zufall", so einige Apologeten der Büste, die bedauern, dass "vorab die Sensibilität der Betroffenen" nicht genügend berücksichtigt wurde. Anlass für den Publizisten Sándor Révész über die Begriffe Sensibilität und Betroffenheit nachzudenken: "Nun, wer sich auf die Sensibilität der Betroffenen beruft, sei als Außenstehender oder als selbst Betroffene, der nimmt an, dass ein Genozid keine Sache der Menschheit sei, sondern nur jener Gruppe, von deren Vernichtung gerade die Rede ist. Es sei keine universale, sondern eine partikulare Angelegenheit. Wenn es richtig ist, dass ein Genozid allgemein gesehen eine außerordentlich falsche Sache ist, wie kann dann akzeptiert werden, dass die Sensibilität dafür nicht allgemein ist? Dass die Welt in zwei Hälften geteilt werden kann: die Sensiblen und jene, die diese Sensibilität respektieren sollen? Diejenigen, die sich auf die Sensibilität berufen, degradieren selbst, wofüber sie sensibel sind! Freilich ist jeder sensibler bei Angelegenheiten, die einem näher sind, doch die Anerkennung der Stufen der Sensibilität ist eine grundsätzlich andere Sache, als die Trennung zwischen Sensiblen und Anderen."

Magazinrundschau vom 03.12.2019 - HVG

Der 25. November ist in Ungarn der Gedenktag für die Opfer des Kommunismus und der in die Sowjetunion verschleppten ungarischen Gefangenen, deren Zahl nach 1945 ca. 600.000 betrug. Der Historiker Tamás Stark (Mitglied der ungarischen Akademie der Wissenschaften, MTA) findet die offizielle Erinnerungspolitik inzwischen wenig glaubwürdig: "Die Regierung betrachtet die Welt im Kontext des neuen Ost-West-Konflikts und die offizielle Politik und die Erinnerungspolitik bestärken die Ungarn darin, dass wir auf der Seite des Ostens stehen. Darum wird nur über die Bedrohung durch das "Brüsseler Reich" gesprochen (...). Es wird nicht gesagt, dass das Erbe des Kommunismus heutzutage in erster Linie in den großen östlichen Reichen, in dem sich selbst als kommunistisch bezeichnenden China und in Russland gesucht werden muss. (…) Trotz dieser Fakten beschuldigt die ungarische Regierung die westlichen Länder der Beihilfe und klagt diese an, dass sie desinteressiert seien an der Erinnerung der Opfer des Kommunismus. Erinnerungspolitik wird somit ein Werkzeug für tagespolitische Ziele. Dies verlangt, dass selbst die Erinnerung an die Opfer des Kommunismus in die Schlacht gegen die westlichen Kritiker der Regierung geführt wird. Vielleicht ist es gut, dass die ungarischen Überlebenden des Gulags dies nicht mehr erleben."
Stichwörter: Ungarn, Erinnerungspolitik, Gulag

Magazinrundschau vom 20.08.2019 - HVG

Allen Protesten im In- und Ausland zum Trotz hat das ungarische Parlament das Gesetz verabschiedet, das die Ungarische Akademie der Wissenschaften (MTA) einer direkten Kontrolle der Regierung unterstellt. Kritikern zufolge kann von einer Autonomie der Forschung keine Rede mehr sein. Mehrere prominente Wissenschaftler kündigten an, das Land zu verlassen und ihre Arbeit im Ausland fortzusetzen. István Riba fasst die Situation so zusammen: "Die neue Struktur bedeutet, dass die akademische Sphäre des Landes von der Politik aufgerieben wurde. Und wenn diese auf ihre Autonomie bedachte Elite nicht im Stande war, ihren eigenen Bereich zu verteidigen, so sendet die Regierung anderen, mit schwächeren Fähigkeiten ausgestatteten Gruppen gegenüber die Botschaft, dass sie in einer ähnlichen Situation keine Chance haben werden. Denn kein einziges fachliches Argument sprach für das Aufreiben der MTA, vielmehr ging es einfach darum, dass die Orbán-Regierung eine Institution, die in der Gesellschaft noch über ein hohes Ansehen verfügte, gefügig machen wollte. Das ist ihr gelungen."

Magazinrundschau vom 13.08.2019 - HVG

Institutionen wie der "Beauftragte für die Patriotisierung des nationalen Curriculums" oder das neue "Institut für die Erforschung des Ungarntums" stehen als Beispiele dafür, dass die Umgestaltung des kulturellen Kanons weitergeht, nachdem beinahe aller Posten in Medien, Bildung und Kultur mit Personen aus dem Umfeld der Regierungspartei besetzt wurden. Der junge Historiker Péter Csunderlik prangert die jüngeren Entwicklungen an und ruft zum Protest auf. "Wenn die orbanistischen 'Kulturkämpfer' kein Ergebnis aufweisen können, wollen sie wenigstens die Erinnerung an jene auslöschen, zu denen sie im Vergleich bedeutungslos sind. Wegen dieser Frustration greifen sie mit denselben Emotionen zur Axt wie der zum Romanschreiben unfähige Jack Torrance. Wenn der 'Beauftragte für die Patriotisierung des nationalen Curriculums' die Ausradierung von Péter Esterházy verlangt oder ein Regimehistoriker bei jeder Gelegenheit beleidigt vorträgt, dass er nicht zum Mitglied der Akademie gewählt wurde (jetzt vielleicht), weil die Mitglieder 'durch ein eigenartiges ethnisches Band verbunden seien', dann muss man nicht Wissenschaftler am 'Institut zur Erforschung des Ungarntums' sein, um diese Bemerkung zu verstehen. Wenn diese Personen als Stargäste in die Schulen unserer Kinder eingeladen werden, damit sie Schriftsteller des 20. Jahrhunderts verunglimpfen, dann sollten wir protestieren. Denn wenn wir Minderjährige von Pornografie fernhalten, dann müssen wir sie auch vor solchen Theorien beschützen."