Magazinrundschau - Archiv

Elet es Irodalom

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Magazinrundschau vom 06.06.2023 - Elet es Irodalom

Vor kurzem erschien der achte Roman des Schriftstellers István Kerékgyártó (mit dem Titel "Fecske Milán" - Milan Schwalbe). Kerékgyártó greift hier auf das Genre des aus Spanien stammenden Schelmenromans zurück. Im Interview mit Zsolt Kácsor spricht er über seine Helden und die des Genres. "In diesem Buch zeige ich unsere sich schnell verändernde Welt aus der Sicht von unten. Es gibt praktisch keinen 'intellektuellen Protagonisten' im Roman. (...) Ich glaube, dass ein gebildeter Mensch sein Schicksal mehr oder weniger begreift. Er weiß, warum er so lebt, warum das gut oder weniger gut ist, und wie er in Wirklichkeit gerne leben würde. Im Gegensatz zur Mehrzahl meiner Helden, die überhaupt nicht verstehen, was mit ihnen passiert. Sie sehen keine Zusammenhänge zwischen dem eigenen Leben, dem eigenen Alkoholismus, der eigenen Machtlosigkeit und den Entscheidungen und dem Benehmen 'der da oben'. Das ist so, das war so und es wird immer so sein, denken sie. Die 'Anzugmenschen' verbocken unsere Welt, dagegen können wir nichts unternehmen, darum beschäftigen wir uns damit auch nicht. (…) Es gibt beim Schelmenroman nie die Erwartung einer Revolte gegen die Gesellschaft. Es geht vielmehr darum, dass der sarkastische Held die Rückseiten der Medaille dieser Welt zeigt, dass er versucht, sich anzupassen, während er sie auslacht."

Magazinrundschau vom 25.04.2023 - Elet es Irodalom

Chefredakteur Zoltán Kovács kommentiert die Forderung Viktor Orbans, die "friedensfördernde" Haltung der ungarischen Regierung mit gebührendem Respekt zu behandeln. Der amerikanische Botschafter in Ungarn hatte kürzlich erklärt, dass die Alliierten besorgt seien über die Nähe Ungarns zu Russland, was wiederum von der ungarischen Regierung als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurückgewiesen wurde. "Ein altes Element der orakelhaften weltpolitischen Aussagen des Ministerpräsidenten ist, dass die trägen westlichen Mitgliedsstaaten an Gewicht und Einfluss verlieren und von der ostmitteleuropäischen Region mit ihrem schnellen Wirtschaftswachstum überholt wird. 'Es geht längst nicht mehr um die deutsch-französische-Achse', hieß es in einer Erklärung Orbáns im Jahre 2020. Grundsätzlich verkündet die Regierung, dass unsere Region in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht immer stärker wird, während Westeuropa mit ernsthaften Problemen kämpfe. Immer wieder wird in den wirren Ausführungen jene Halbwahrheit betont, dass Deutschland heutzutage mehr mit den Visegrad-Staaten handle als mit Frankreich. Doch in Wahrheit sind das keine Handelsbeziehungen zwischen gleichrangigen Partnern, vielmehr handeln deutsche Unternehmen, die ihre Produktion aufgrund der günstigeren Arbeitskräfte in den Osten und Süden verlagert haben, mit ihren Tochtergesellschaften in der Region. Der Krieg in der Ukraine hat die europäischen Prioritäten jedoch tatsächlich auf den Kopf gestellt und verbesserte die Position Polens und der baltischen Staaten. Die Invasion legitimierte ihre moskaukritischen Ansichten, was wiederum sowohl in Brüssel als auch in Washington die Erkenntnis reifen ließ, dass sie recht hatten und nicht die mit den Russen unbedingt nach guten Beziehungen strebenden Deutschen und Franzosen. Und mit gebührendem Respekt fügen wir hinzu: auch nicht die Ungarn."

Magazinrundschau vom 04.04.2023 - Elet es Irodalom

In der vergangenen Woche wurde ein neuer Rat "zur Verbesserung der ungarischen Popkultur" unter der Leitung des Regierungsbeauftragten und Direktor der Petőfi Literaturmuseums Szilárd Demeter gegründet. Dem Rat gehören einige jüngere, aber vor allem ältere Musiker an, die nun offensichtlich ihre Sympathien mit der Orban-Regierung bekunden. Eine vergleichbare Organisation mit zentralen Vorgaben und potentieller Kontrollfunktion gab es in Ungarn ab den 1950er-Jahren bis 1989. "Es ist offensichtlich, dass diese Gesellschaft nicht gegründet wurde, um irgendwelchen kulturrevolutionären Ideologien Geltung zu verschaffen", meint Júlia Lévai, "oder weil sie irgendwelche musikalische Vorstellungen davon hätte, wie eine den Machthabern sympathische Popkultur zu erschaffen sei. Solche Pläne existieren gar nicht. Es geht lediglich um das Hamstern von Geld und Positionen, um eine gute bezahlte Kollaboration. Dabei sind Personen involviert, die überhaupt nicht darauf angewiesen sind, vom Staat Geld zu erhalten: Sie haben auch so zahlreiche Möglichkeiten zum Auftreten und zum Unterrichten. Keiner von ihnen unterliegt in seinem Leben Zwängen, die einen solchen Schritt begründen würden. Sie stellen sich freiwillig und fröhlich singend in den Dienst der Macht."

Magazinrundschau vom 28.03.2023 - Elet es Irodalom

Der Historiker, Schriftsteller und Kritiker János Kenedi war seit 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter des 2019 geschlossenen 1956er Instituts und bis zu seiner Auflösung im Jahre 2010 war er Vorsitzender der Kommission zur Vorbereitung und Kontrolle eines Gesetzes zur Aufarbeitung der Unterlagen der ungarischen Staatssicherheitsapparate vor 1989 (welches nach dem Regierungswechsel 2010 nicht verabschiedet wurde). Kenedi spricht mit Paula Marsó u.a. über die verpasste Chance nach der Wende, eine Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen nach dem Vorbild der Gauck-Behörde in Deutschland anzustoßen, aber auch über Versäumnisse der die öffentliche Meinung formenden Akteure: "Es wurden freilich schlechte Gesetze verabschiedet, aber die Journalisten haben es versäumt, das System der politischen Polizeiapparate zu analysieren. Es wurden lieber Einzelfälle skandalisiert, obwohl es auch die Möglichkeit gegeben hätte, die gesellschaftliche Selbstkenntnis zu erweitern. (…) Gauck selbst war nicht nur Initiator der Aufdeckung der Vergangenheit. Er passte in eine institutionelle Tradition. In die Tradition der Gruppe 47. Diese literarische Gesellschaft machte es sich nach dem Fall des Nazi-Reichs zur Aufgabe, die Bevölkerung demokratisch zu erziehen. Sie fungierte zwischen 1947 und 1967 und setzte ebenfalls eine Tradition fort, nämlich die der 1898 gegründeten spanischen Generación del 98, die gegen die Geschichtsfälschung mobilisierte. Obwohl die Schriftsteller der Gruppe 47, Heinrich Böll, Günter Grass, Paul Celan, Walter Jens und andere in Ungarn bekannt waren, gab es unter den Meinungsmachern niemanden, der die Umbettung dieser Tradition in Ungarn nach der Wende in Angriff genommen hätte. Das ist ein größeres Versäumnis als das Fehlverhalten der Gesetzgebung."

Magazinrundschau vom 21.03.2023 - Elet es Irodalom

Mitte Januar ist der Philosoph Gáspár Miklós Tamás gestorben. Seine letzte umfangreiche Schrift mit dem Titel "Fünf Ratschläge für die Heimat" erschien kurz vor seinem Tod. Der Philosoph Simon Isztray rekapituliert Teile des Aufsatzes in der Wochenzeitschrift Élet és Irodalom: "Tamàs interpretiert den politischen Raum um. Politisches Ringen beschreibt seiner Ansicht nach heute in Ungarn nicht mehr in erster Linie Wahlkampf, sondern den Widerstand der Staatsbürger gegen den 'Zustand' in vielen kleinen Bereichen. Aus diesen Kämpfen können in einer Ausnahmesituation bedeutende Ereignisse entstehen. Aber die 'Fünf Ratschläge' sind realistisch dahingehend, dass es bei diesen Kämpfen nicht um Siege und nicht mal um Erfolge gehen kann: "Der einzig vorstellbare Ausgang ist die machtlose intellektuelle Suche nach Wahrheit, die von der dauerhaften Konfliktfähigkeit der Zivilgesellschaft abhängt… was eine übermenschliche Aufgabe ist."

Magazinrundschau vom 07.03.2023 - Elet es Irodalom

Mit dem Vertrag von Trianon lassen sich in Ungarn noch immer sämtliche politischen und historischen Affekte triggern. Mit dem Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg musste Ungarn Zweidrittel seines Gebiets sowie einen großen Teil seiner Bevölkerung abtreten. Ungarns früherer Außenminister Péter Balázs glaubt nicht, dass sich das Trauma auswächst: "Trianon ist der Fokuspunkt einer Verantwortung ablehnenden ungarischen Tradition: Unsere Geschichte wurde vom Unglück gelenkt, die Lösungen erwarten wir von außen, obwohl es unsere Aufgabe wäre, die Fehler und Irrungen unserer Vorfahren aufzuzeigen, so wie es beispielsweise die Deutschen konsequent taten - mit einem wesentlich schwereren Erbe. Es ist wichtig, dass die aufwachsende neue Generation statt Legenden die heutige Wirklichkeit der Nachbarstaaten kennt ... Wir dürfen im Wiederholen von hundertjährigen Verletzungen, sowie im ewigen Anklagen von anderen nicht steckenbleiben, vor allem nicht so, wie es die Tagespolitik tut, weil ihr das Aufreißen der Wunden Erfolge verschafft. Wir haben mit jedem unserer Nachbarn etwas aufzuarbeiten und zu besprechen, damit wir uns endlich zusammen Richtung einer gemeinsamen Zukunft wenden können."
Stichwörter: Trianon-Vertrag

Magazinrundschau vom 28.02.2023 - Elet es Irodalom

Der Sozial- und Kunstpsychologe László Halász reflektiert auf (messbare) Reaktionen der ungarischen Gesellschaft auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. "Die 'östliche' Einstellung kennzeichnet sogar jene mit Universitätsabschluss. Ungarn heute ist selbst am eigenen BIP gemessen eine geschlossene, die Macht verehrende, intolerante, nach schneller Belohnung strebende und mit den Konsequenzen nicht rechnende Gesellschaft. (…) Aus welcher 'östlichen' Attitüde könnte man ableiten, dass meine Landsleute - und bei Weitem nicht nur Orbán-Fanatiker - die russischen Gräueltaten nicht nachempfinden können? Die Empathie für die keineswegs engelhaften, jedoch höllisch leidenden Opfer kann höchstens als schwach bezeichnet werden. Die Unterstützung ist äußerst gering und wenn vorhanden, dann auch nur halbherzig. Kaltes Stirnrunzeln, dass unser Beispiel - siehe, wie verdorben die Welt ist - weit und breit keine Nachahmer findet. Obwohl es bereits Frieden geben könnte. Und keine Sanktionen. Und keine Inflation. Ach, und die Ukraine auch nicht mehr. Ich schäme mich."

Magazinrundschau vom 21.02.2023 - Elet es Irodalom

Der Mathematiker, Verleger und Restaurantbesitzer Miklós Sulyok war eine prägende Figur der liberalen Wendebewegung vor und nach 1989. Nun spricht er im Interview mit Júlia Cserba über langfristige Auswirkungen von autoritären Strukturen auf Teile der Gesellschaft: "Es geht um die Eigenheit von Diktaturen. Im Sozialismus konnte die Gastronomie ihre Zutaten kaum frei einkaufen, und die Speisenfolgen waren streng reglementiert. Dies war eine stark vereinfachte, als ungarisch gedachte, aber überhaupt nicht ungarische Küche. Mittelmäßigkeit ist ein Kennzeichen von Diktaturen. Auf manchen Gebieten blieb dennoch etwas Gutes, so gab es zum Beispiel hervorragende Dichter, Schriftsteller und Schauspieler während des Sozialismus. Das setzt sich jetzt wieder fort, mit dem wesentlichen Unterschied, dass wir damals eingesperrt waren und man nicht in den Westen reisen konnte. Zwar können wir uns heute darüber freuen, doch für das Land selbst ist weniger erfreulich, dass die Grenzen offen sind. Man darf gehen und sehr viele verlassen auch das Land. So ist es aus der Sicht der so oft beschworenen Nation wesentlich schlechter, denn Talente, junge Leute verschwinden von hier."

Magazinrundschau vom 07.02.2023 - Elet es Irodalom

Seit Wochen ist in Ungarn eine Diskussion im Gange, in der es um die Ansiedlung von chinesischen Lithium-Batteriefabriken als Zulieferer der E-Auto-Herstellung geht. Sowohl für die Regierung als auch für die Opposition ist unerwartet eine ernstzunehmende Protestwelle entstanden, in deren Mittelpunkt neben Existenzängsten auch der Umweltschutz steht. Ungarn soll nach Vorstellung der Regierung eine Hochburg der Herstellung von Batterien werden, was in der Manier der letzten zwölf Jahre mittels Verordnungen durchgesetzt werden soll. In den betroffenen Regionen sinken die Grundstückpreise, Anwohner fürchten um ihre Gesundheit und immer wieder ist zu hören, dass die Einnahmen privatisiert und die Kosten aber vergemeinschaftet würden. Der Publizist János Széky sieht in der geplanten Ansiedlung eine weitere Tendenz zur zunehmenden Unterdrückung der Mittelschicht: "Die zwanghafte Erhöhung des Gewichts der Industrie, gegen alle heutigen Tendenzen, das Austrocknen der hiesigen technischen Entwicklungen und Innovationen, um diese entbehrlich zu machen, das systematische Schrumpfen des Anteils der Wirtschaft, der nicht durch den Staat kontrolliert wird, hat eine fatale Folge: die autonome Mittelschicht, mit einem schönen alten Wort: die Bürgerschaft wird noch schwächer als das bis jetzt ohnehin schon der Fall war. Eine der Konsequenzen der Operation ist, dass der Preis der Autonomie erhöht wird. Es kostet nicht wenig Geld und Hinwendung, wenn man anstatt der kostenlosen und fertig repräsentierten Regierungspropaganda, wahre Informationen über das Land und die Welt erhalten möchte. Es wird schwieriger und kostspieliger, die Kinder entsprechend zu unterrichten, damit diese durch eine wettbewerbsfähige Bildung weiterhin zur Mittelschicht gehören können, denn die Regierung verschlechtert systematisch die Lage der Universitäten und greift nun auch die säkularen Gymnasien an. Andererseits gibt die Macht mit dem Schrumpfen der freien Wirtschaft zu verstehen: Wenn du deinen immer kostspieligeren Status in der Mittelschicht halten möchtest, wäre es empfehlenswert, uns zu dienen, und wenn du nicht meckerst, sorgen wir für dich, sogar mit einem Elektroauto, so dass die Umwelt geschützt wird. Das Ziel ist es, eine auf Dummheit, Gemeinheit und auf Untertanengeist basierende Gesellschaft zu schaffen. Und wenn in Ungarn keine Bürger mehr bleiben, dann wird dies auch gelingen."

Magazinrundschau vom 31.01.2023 - Elet es Irodalom

Im Interview mit Claudia Hegedűs erklärt die Dichterin und Schriftstellerin Krisztina Tóth, worauf des ihr beim Schreiben ankommt:"Alle Romanfiguren haben sensible Punkte. Es ist aber eine vollkommen andere Frage, ob es für die Schriftstellerin etwas gibt, was für sie ungreifbar ist. Ich würde sagen, dass ich stets versuchen muss jenes Buch zu schreiben, welches ich nicht kann. Ich muss stets in jene dunkelste Tiefe greifen, die ich nicht erreiche, wo es keine Luft mehr gibt. Das Gedicht ist anders, dort kann der Atem eingeteilt werden, du siehst die Entfernung. Es ist jedoch interessant, dass mit den zunehmenden Jahren weniger Gedichte entstehen. Ich habe mich mal mit der Dichterin und Schriftstellerin Ágnes Gergely darüber unterhalten, die dies ebenfalls beobachtete. Sie meinte, dass das Gedichteschreiben tief mit unserer hormonellen Funktion zusammenhängt. Das Gedicht ist explizit und heftig, wie die Jugend. Epik ist langsamer. Dort muss mit dem gearbeitet werden, was am wenigsten, am schwierigsten erreichbar und am unberuhigendsten ist. Als Schriftstellerin will ich meinen eigenen Avatar an die dunkelsten Orte begleiten."