Lidorama

Die Filmfestspiele in Venedig - 8. Tag

Von Robert Mattheis
05.09.2002. Liebe ist stärker als der Tod - jedenfalls in Takeshi Kitanos "Dolls".
Hand in and mit rotem Band - Takeshi Kitano erzählt Liebesgeschichten, die es mit dem aufnemen können.

Den ersten Szenenapplaus gibt es für "Dolls" bereits nach etwa zwei Minuten, als der Name "Takeshi Kitano" auf der Leinwand aufleuchtet. Und der künstlerische Hansdampfinallengassen (Dauerbrenner im Fernsehen, Schriftsteller und Maler, um nur die prominentesten seiner Beschäftigungen zu nennen) lässt seine Fans nicht hängen. Die Szenen von "Dolls" bilden ein dicht gewobenes erzählerisches Muster mit starken Farben, asiatisch langsam vorgetragen und doch von untergründiger Kraft. Das Thema ist nicht die Liebe, die den anderen auf den Wecker fällt, wie in "Un viaggio chiamato amore" oder in "Nackt", sondern sind die Geschichten einer Liebe, die stark genug ist, um es mit dem Tod aufzunehmen.

Diese simplen, starken Lovestories könnten auch der Stoff einer vom Aussterben bedrohten japanischen Kunstform sein, des Bunkaru, eines Puppentheaters. Mit Bildern einer solchen Bunkaru-Aufführung beginnt auch "Dolls". Die bis zu einem Meter hohen und bis zu 20 Kilogramm schweren Bunkaru-Puppen werden von je drei Männern bewegt. Dazu werden der Fabeltext verlesen und eine Shamisen, ein altes dreisaitiges Instrument, gespielt.

Zusammengehalten wird der Film, der sehr kunstvoll in Rückblenden erzählt ist, durch die Geschichte von Matsumoto (Hidetoshi Hishijima) und Sawako (Miho Kanno), die wiederum ein rotes Band zusammenhält. Eigentlich hatten die zwei heiraten wollen, dann aber beschlossen Matsumotos Eltern, dass eine Verbindung mit der Tochter seines Chefs wirtschaftlich doch vorteilhafter wäre. Sawako will daraufhin Selbstmord begehen; sie behält zwar ihr Leben, verliert aber den Verstand. Matsumoto bleibt fortan bei ihr. Um immer in ihrer Nähe zu sein, verbindet er sich und sie mit dem Band, und so wandern sie durch das Land. (Diese Geschichte beruhe auf einer Jugenderinnerung, erzählt Kitano.)

Die zweite Geschichte ist die eines Yakuza-Bosses (Tatsuya Mihashi), der als Fabrikarbeiter einst seine Freundin (Chieko Matsubara) verließ, um Karriere zu machen. Seitdem sitzt die Verlassene jeden Samstag im Park und wartet auf ihren entschwundenen Geliebten, um gemeinsam mit ihm zu Mittag zu essen - wie damals, zu Fabrikarbeiterzeiten. Nun, da der Tod nahe ist, stattet der Oberyakuza der alten Parkbank noch einmal einen Besuch ab, von einer Ahnung, vielleicht auch einer Hoffnung getrieben - und Odysseus findet nach all den Irrungen und Wirrungen seines Lebens tatsächlich seine Penelope vor, auf den Knien ein Lunchpaket. Er setzt sich zu ihr. Sie erkennt ihn zwar nicht, ist mit dem neuen Essenspartner aber auch zufrieden. Leider ereilt den Yakuzachef das Schicksal so manchen Mafiosos - er wird von Kollegen ermordet.

Die dritte Liebe: Nukui (Tsutomu Takeshige) ist Fan des Popstars Haruna (Kyoko Fukada), die bei einem Autounfall entstellt wird. Unter dem Vorwand, blind zu sein, besucht er die Vergötterte, die sich nicht sehen lassen will, in ihrem Refugium. Auf dem Rückweg nach Hause wird ihm seine Blindheit dann zum Verhängnis. Er gerät unter ein Auto. Was von ihm bleibt, das Blut auf der Straße, spült die Straßenwacht mit dem Schlauch in den Rinnstein.

Am Ende sind auch Matsumoto und Sawako tot, ihre Verbundenheit wird ihnen zum Verhängnis. Als Puppen, Dolls, hängen sie in ihren vom Stardesigner und Kitano-Fan Yohji Yamamoto entworfenen Gewändern an einem Baum, Seite an Seite auch im Tod, dank des roten Bandes.

Nach dem Applaus zu urteilen, hat Kitano dieses Jahr gute Aussichten auf den zweiten Goldenen Löwen nach "Hana-Bi".

"Dolls", Japan 2002, Regie: Takeshi Kitano, mit: Miho Kanno, Hidetoshi Nishijima, Tatsuya Mihashi u.a.