In eigener Sache

Signandsight.com sagt Goodbye

28.03.2012. Nach sieben Jahren schließen wir unseren englischsprachigen Dienst signandsight.com. Von der Idee sind wir nach wir vor überzeugt und hoffen, sie eines Tages neu aufgreifen zu können.
Nach sieben Jahren schließen wir signandsight.com. Die Seiten bleiben im Netz, aber vorerst kommen keine Texte mehr hinzu.

An die Idee glauben wir nach wie vor. Wir sind überzeugt, dass Europa eine Öffentlichkeit braucht, und dass diese Öffentlichkeit am besten zu erreichen wäre, indem man die Möglichkeiten des Internets und die der traditionellen Medien kombiniert. Und nach wir vor lieben wir unser Motto "Let's Talk European": Ja, Englisch ist nun mal die Lingua Franca im heutigen Europa. Aber wenn das Englische dazu dient, Artikel aus anderen Sprachen einem internationalen Publikum bekannt zu machen, dann schlägt es eine Brücke zu den anderen Sprachen und macht diese interessant. Interessanter Weise hatten wir auf signandsight.com oft die lebhaftesten Reaktionen aus den USA, wo es ein intellektuelles Publikum gibt, das denn Binnenhorizonten entfliehen will.

Mit am schönsten an signandsight.com war, dass Harper's einen Interview mit Thomas Bernhard nachgedruckt hat, weil es zuerst auf signandsight.com übersetzt worden war, dass Anne Applebaum in der Washington Post oder Paul Berman in der New Republic Texte und Debatten aufgriffen, die von signandsight.com ausgegangen waren und die Echos in schwedischen, ungarischen, spanischen, polnischen und französischen Zeitungen erzeugten. Signandsight.com war nie ein großes Publikumsmedium, wohl aber ein Katalysator der europäischen Öffentlichkeit.

Dank der Redaktion - Lucy Powell, Naomi Buck und John Lambert. Eine Engländerin und zwei Kanadier europäisierten zusammen mit Thekla Dannenberg und der Perlentaucher-Redaktion die Öffentlichkeit. Später kam die Amerikanerin Laura Schleussner hinzu. Dank auch an Gabriella Gönczy und Tina Balla, die bei Stiftungen und Institutionen unermüdliche Überzeugungsarbeit für signandsight.com leisteten und uns sogar die Türen von EU-Kommissaren öffneten.

Dank der Bundeskulturstiftung und Hortensia Völckers, die mutig auf dieses ganz und gar neuartige Projekt setzten und es auch gegen Widrigkeiten aufrecht erhielten. Auch auf administrativer Ebene lief die Zusammenarbeit beispielhaft kollegial. Dank an Monika Maron die sich als Mitglied des Stiftungsrats für signandsight.com einsetzte.

Und Dank an Jakob Augstein und die Rudolf-Augstein-Stiftung, die signandsight.com nach dem Ende der "großen" Subvention durch die Bundeskulturstiftung mit 30.000 Euro jährlich unterstützte. Das ermöglichte es uns, noch einige Jahre mit signandsight.com weiterzumachen.

Dank schließlich an alle Autoren, die prominenten und die weniger Prominenten, die uns ihre Texte gaben, oft für bescheidene Honorare oder gar keine. Und signandsight.com hat ein wahrlich beeindruckendes Autorenalphabet: von Hamed Abdel-Samad bis Oksana Zabuzhko. Auch Jürgen Habermas, Pascal Bruckner, Timothy Garton Ash, oder Andre Glucksmann gaben uns Texte. Habermas hat über den Höhepunkt der signandsight.com Aktivitäten, die von uns lancierte Debatte über "Islam in Europa" (hier und hier) und den angeblichen "Fundamentalismus der Aufklärung", einen riesigen Artikel geschrieben, den wir wiederum auf signandsight.com nachdruckten. Wir glauben, dass diese Debatte eine höhere Qualität hatte als die spätere, leicht hysterische Sarrazin-Debatte in Deutschland. Wegen der Autoren. Und weil sie europäisch war.

Wir hatten durchaus noch Ideen für signandsight.com, sind etwa nach London gereist um mit Alan Rsubridger vom Guardian über eine Kooperation zu sprechen. Begeisterung war da, aber es fehlte immer das Geld. Signandsight.com ist kein Business Model. Dafür sind die Redaktions- und Übersetzungskosten zu hoch. Idealerweise wäre signandsight.com ein Projekt einer entstehenden europäischen civil society gewesen, finanziert von europäischen Stiftungen und Mäzenen.

Aber es zeigte sich, dass es kaum Stiftungen gibt, die wirklich europäisch agieren. Viele Stiftungen möchten die Stimmen ihrer Länder ins europäische Konzert einbringen, können aber nicht ein Projekt unterstützen, das in einem anderen Land beheimatet ist. Die EU anzugehen, war ohnehin illusorisch: Sie würde kein Projekt fördern, das die pragmatische Idee des Englischen als lingua franca verficht. Uns ging es aber auch um eine schlanke und effiziente Struktur.

Die aktuelle Eurokrise zeigt einmal mehr, wie notwendig länderübergreifende Debatten in Europa wären. Die Zeitungen, die sich meist auf einen regionalen oder nationalen Rahmen beziehen, können das nicht alleine leisten. Schon gar nicht weil sie sich durch das Internet existenziell in Frage gestellt sehen. Signandsight.com hat aber gezeigt, dass eine Synergie möglich ist. Es hat den Medien nichts weggenommen, im Gegenteil: Durch signandsight.com sind Zeitungen auf Texte gestoßen, die sie wiederum in ihre eigenen Sprachen übersetzen konnten. Ein Imre-Kertesz-Interview, das wir aus dem Ungarischen übersetzt hatten, fand so den Weg in eine schwedische Zeitung.

Signandsight.com geht. Aber die Idee haben wir nicht aufgegeben. Vielleicht findet sich später wieder eine günstigere Konjunktur, um sie neu umzusetzen.

Bis dahin danken wir den Wichtigsten: den europäischen Lesern und Leserinnen - und auch allen in Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien!

Anja Seeliger, Thierry Chervel