9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.04.2024 - Politik

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All jene, die so inbrünstig Israel den Krieg in Gaza verteufeln, haben es immer noch nicht verstanden, seufzt Mirna Funk, die gerade das Buch "Von Juden lernen" veröffentlicht hat, in der Welt. Die Hamas hat überhaupt kein Interesse daran, den Krieg dort zu beenden, denn: "Jeder tote Palästinenser, der blutend in die Kamera gehalten wird, bringt ordentlich Cash, das fröhlich in Katar ausgeben werden kann." Nicht nur die absurden Forderungen, mit denen die Terrororganisation bisher jeden Deal über einen Waffenstillstand hat platzen lassen zeigen, dass die Palästinenser den Hamas-Millionären nicht egaler sein könnten: "Denn während die Gerechtigkeitskämpfer glauben, kurz vor der Befreiung Palästinas zu stehen, begreifen sie nicht, dass das Versprechen auf die Befreiung Palästinas für die Hamas nichts weiter als der Hase bei einem Hunderennen ist. Es ist der Köder, der Blinker - die Lüge. Denn würde es einen Staat geben, dann wäre Schluss mit High Life in Katar. Dann müsste richtig gearbeitet werden, dann flössen keine Hilfsgelder mehr und auch keine unterstützenden Milliarden vom Iran, um Unruhe in der Levante zu stiften und die arabischen Allianzen zu erschüttern und die arabischen Fehden zu untermauern."

Wütend verurteilt indes die israelische Journalistin Ofra Rudner in einem von der taz aus Le Monde diplomatique übernommenen Haaretz-Artikel Benjamin Netanjahu, der bis zum 7. Oktober die Illusion von einem israelischen "Empire" samt eigener "kleiner Kolonie" genährt habe, was von der liberalen Mehrheit und den Medien meist einfach hingenommen worden sei: "Nachdem die Illusion am 7. Oktober zerschmettert wurde, hofften einige von uns, dass man in Israel beginnen würde, der Realität ins Auge zu sehen. Doch stattdessen haben die Illusion und das falsche Bewusstsein nur eine andere Form angenommen, die militanter und gefährlicher ist: die Fantasie vom 'absoluten Sieg'. Und so werden wir zu Touristen, die einen Krieg, der uns zerstört, zum Anlass für Freizeitvergnügungen machen."

Zwischen dem 19. April und dem 4. Juni ist in Indien im Ausnahmezustand: Sechs Wochen lang werden knapp eine Milliarde Menschen das indische Parlament wählen, berichtet Martin Kämpchen, der in der FAZ erläutert, wie abhängig die Menschen in Indien vom Rückhalt einer Partei sind: "Die Partei ist die Zuflucht des einfachen Volkes, nachdem ihm die staatliche Verwaltung, die Polizei und die Gerichte kein Gehör schenken, auf es herabblicken oder sogar schikanieren." Sie haben "große Macht über die Einzelnen, weil sie sich überall direkt, ohne den offiziellen Weg zu wählen, helfend einmischen und Lobbyarbeit machen. Dass ein akut Kranker ein Bett in einem übervollen Krankenhaus bekommt, dafür sorgen die Parteileute. Sie verlangen, dass ein zusätzliches Bett auf dem Flur aufgestellt wird, und lassen es auch auf einen Streit ankommen. Dass ein Bauer, der von dem Großgrundbesitzer wegen eines Feldstücks, das er kaufen will, drangsaliert wird, zu seinem Recht kommt und das Feld nicht verkaufen muss oder dafür einen gerechten Preis bekommt, das besorgen die 'Jungs' der Partei. Dass die frei gewordene Lehrerstelle in einer Privatschule von einem Kandidaten ihrer Partei besetzt wird (ganz gleich, ob er oder sie qualifiziert ist), das überlässt man den Raufbolden der Partei. Sie schrecken nicht davor zurück, einzuschüchtern, Gewalt anzudrohen, Psychodruck aufzubauen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.04.2024 - Politik

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Im Tagesspiegel unterhalten sich Ofer Waldman und Sasha Marianna Salzmann mit Christiane Peitz über die permanente Ausnahmesituation, in der sie sich seit dem 7. Oktober befinden. Ihr Buch "Gleichzeit", in dem sie ihren Briefwechsel veröffentlichen, ist eine "Absage ans Rechthaben", sagt Salzmann, ein Versuch, aus dem Kreislauf der Polarisierung heraus zu treten. Geschockt waren beide über die Reaktionen, denen sie sich in der Zeit nach dem Hamas-Massaker ausgesetzt sahen, wie Salzmann erklärt: "Mich hat anfangs vor allem die Kaltblütigkeit erschreckt, mit der das Massaker sofort analysiert, relativiert und beurteilt wurde. Sofort wurde vergewaltigten Frauen ihre Erfahrung abgesprochen - weil sie Jüdinnen sind. Das sind Erfahrungen, die unsere Art, die Welt wahrzunehmen, für immer prägen werden. Wie bewahren wir in so einer Zeit Menschlichkeit? Durch Anhalten. Nachdenken."  Waldman ergänzt: "Ich kenne antisemitische Anfeindungen aus meiner Zeit in einem deutschen Orchester. Da sagte mir ein Kollege ins Gesicht, 'die Juden' schadeten dem Orchester. Ich dachte nur: Alter, aus welcher Museumsvitrine kommst du denn? Aber die Erfahrung, von der universellen Gültigkeit der Menschenrechte ausgeschlossen zu werden, weil ich Jude bin, habe ich vor dem 7. Oktober noch nie gemacht."


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Der Historiker Frank Bösch erklärt im FR-Gespräch, warum die junge Bundesrepublik mit Diktaturen wie dem Iran oder Spanien kooperierte. Die BRD wollte sich in der Weltgemeinschaft etablieren, so Bösch, der ein Buch zum Thema geschrieben hat, gleichzeitig suchte sie gezielt den Kontakt zu Ländern, die die DDR nicht als Staat anerkannten. Als sich kritische Stimmen erhoben, setzte die Adenauer-Regierung auf repressive Mittel, so Bösch: "In den 1960er Jahren nahm die Kritik zu, auch bedingt durch eine generelle kritische, investigative Wende im Journalismus. Er richtete sich gegen autoritäre Regime, motiviert auch durch die Proteste von Migrantinnen und Migranten aus diesen autokratisch regierten Ländern. Sie demonstrierten zunehmend seit den 1960er Jahren, etwa Gastarbeiter:innen aus Franco-Spanien oder Griechenland oder aus dem Iran. ...Tatsächlich zeigt sich, dass die Regierung Adenauer, aber auch ihre Nachfolger, Journalistinnen und Journalisten gezielt unter Druck setzten, nicht kritisch zu berichten. Dies geschah teils sogar auf Forderung Irans durch juristische Schritte und polizeiliche Durchsuchungen. Zudem gab es eine gezielte Verfolgung von protestierenden Migrantinnen und Migranten, bis hin zur Abschiebung, sofern es sich um sozialistische, protestierende Migrantinnen und Migranten handelte."

Ronen Steinke berichtet für die SZ aus Den Haag, wo im Eilverfahren darüber entschieden werden soll, ob Deutschland weiter Waffen an Israel liefern darf. Interessant, meint Steinke, Deutschland zählt zu den größten Waffenexporteuren der Welt, geklagt hat bisher niemand: "Nicht, als Deutschland im Jahr 2021 Rüstungsgüter im Wert von vier Milliarden Euro an Ägypten genehmigte - an eine Militärdiktatur immerhin, die schon damals der von Saudi-Arabien angeführten Kriegskoalition in Jemen angehörte. In einem Krieg, der nach Einschätzung der Vereinten Nationen eine der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart ausgelöst hatte. Mehr als 10 000 arabische Zivilisten, größtenteils Kinder, waren darin schon ums Leben gekommen, das Land war abgeriegelt und hungerte - und noch heute, 2024, bombardieren Saudi-Arabien und seine Verbündeten, die es offiziell nur auf die Islamistengruppe der Huthi abgesehen hatten, Krankenhäuser, Schulen, Häuser. Zum Vergleich: Die Waffenlieferungen an Israel beliefen sich im vergangenen Jahr auf 326,5 Millionen Euro. Das ist zwar mehr als in anderen Jahren, aber es ist eine Summe, über die man in Saudi-Arabien lange nur müde gelächelt hätte..."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.04.2024 - Politik

Der 7. Oktober geschah vor einem halben Jahr. Überall finden sich Reflexionen über Israel und die Reaktionen der Welt, leider selten optimistische. Den eindrücklichsten Essay publiziert vielleicht der britische Autor Howard Jacobson in Unherd: "Ist dies das Ende Israels?" Angesichts der bizarren Verdrehung der Diskurse, in denen nun fast ausschließlich Israel in der Kritik steht, das jedes Maß verloren habe, wie etwa Mathieu von Rohr im Spiegel schreibt, während die Pogrome der Hamas in einem Nebel der Unbenanntheit oder indirekten Rechtfertigung verschwinden, konstatiert Jacobson vor allem Folgendes: "In dem langen schlaflosen Tag und der Nacht nach dem Massaker, in denen Juden verschiedener Nationalitäten und politischer Überzeugungen, orthodoxe und unorthodoxe, versuchten, sich einen Reim auf das Geschehene zu machen, dämmerte die schreckliche Erkenntnis, dass 'Nie wieder' gar nichts bedeutet. Es würde niemals ein 'Nie wieder' geben. Diejenigen, von denen wir annahmen, dass sie unsere Verbündeten sein würden - die Informierten, die Fortschrittlichen, die Liberalen - waren nicht fortschrittlich, wenn es um uns ging."

Für Guardian-Autor Jonathan Friedland ist Israel durch seine Reaktion zum "Paria-Staat" geworden. Auch für die Hamas sei zwar nicht alles nach Plan gelaufen, aber am Ende stehe sie vor der Welt als moralischer Sieger da. Der Tod von sieben Mitgliedern einer Hilfsorganisation habe die Geduld enden lassen. Selbst Amerika drohte mit Aussetzen der Waffenlieferungen. "Die Drohung ist nicht leer: Andere westliche Verbündete haben bereits die Waffenlieferungen eingestellt oder erwägen dies. Diese Regierungen reagieren damit auf eine weltweite Stimmung, die sie nicht länger ignorieren können. Denn es sind nicht die ewigen Kritiker Israels, die das Land anprangern, sondern Israels Freunde."

Jakob Hessing beschreibt in der FAZ den Zweispalt des Machtfanatikers (der sonst an nichts glaube) Benjamin Netanjahu im Angesicht des Hamas-Führers Yahya Sinwar. "Netanjahu muss sich entscheiden: Will er Sinwar wirklich vernichten, dann werden auch alle Geiseln sterben; will er hingegen die Geiseln befreien, dann muss er den Krieg beenden und Sinwar das Feld überlassen. Beides zugleich ist nicht zu haben."

Bernard-Henri Lévy hat gerade ein Buch über "Israels Einsamkeit" publiziert. Auf die Frage eines Interviewers in Midi Libre (hier verlinkt), ob die Reaktion Israels auf die Pogrome nicht maßlos sei, antwortet er: "Maßlos ist vor allem seine Einsamkeit. Denn ich wiederhole es: Als es in Afghanistan darum ging, die Kommando-Strukturen von Al Qaida zu zerbrechen, gab es eine starke internationale Allianz. Um in Mossul den Islamischen Staat zu besiegen, kämpfte eine Menge Verbündeter an der Seite des Iraks. Nun sind wir in Etappe 2 angelangt. Wir haben es mit einer Hamas zu tun, die sich selbst auf einen regelrechten Kern von Verbündeten stützt (Iran, Katar, Türkei, Russland, vielleicht China) und darum noch furchterregender ist als Al Qaida oder der Islamische Staat. Und paradoxerweise ist da nun niemand mehr. Null Koalition. Israel ist allein."

In Deutschland herrscht die übliche moralische Taubheit, was die Geiseln angeht, die der Journalist Joshua Schultheis in der Jüdischen Allgemeinen thematisiert. Viele von ihnen haben die deutsche Staatsangehörigeit: "Informationen über die Entführten werden nur tröpfchenweise preisgegeben. Dies verhindert, dass ein Gesamtbild der deutschen Betroffenheit vom 7. Oktober entsteht, und erschwert die Anteilnahme am Schicksal der Geiseln in der deutschen Öffentlichkeit. ... In den USA sind die 'Gaza Six', die sechs in Geiselhaft verbliebenen Amerikaner, medial präsent. In Deutschland gibt es für die eigenen 'Gaza Ten' - Oder sind es elf? Oder zwölf? - keine vergleichbare Aufmerksamkeit. Dabei rührt ihre Geschichte an den Kern von Deutschlands Selbstverständnis. Viele Vorfahren der hier Genannten wurden von den Nazis entrechtet, ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben."

Aber vielleicht kommt Bewegung in die Sache: "Genau ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober haben Israel und die Hamas wieder Gespräche über einen Waffenstillstand aufgenommen. Israel hat Teile der Armee aus Gaza abgezogen", berichtet unter anderem Felix Wellisch in der taz.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 09.04.2024 - Politik

Wo bleibt die feministische Außenpolitik der Bundesregierung in Israel und Gaza, fragen die Politologinnen Barbara Mittelhammer und Leonie Stamm in der taz: "Anknüpfungspunkte dafür gäbe es viele: die Forderung nach einem sofortigen humanitären Waffenstillstand. Die Unterstützung der Verhandlungen über die Befreiung israelischer Geiseln. Die Aufarbeitung und Dokumentation von Menschenrechtsverstößen und sexualisierter Gewalt, Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit im Kriegsgebiet und die Bereitstellung unmittelbarer humanitärer Hilfe angesichts einer sich verschärfenden Hungersnot und Krise menschlicher Sicherheit. Kurz: den Schutz der betroffenen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen." Schade, dass die Verletzung feministischer Prinzipien am 7. Oktober so gar keine Rolle spielt.
Stichwörter: 7. Oktober

9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.04.2024 - Politik

Während in Taiwan die zehnjährige Wiederkehr der Sonnenblumen-Bewegung, die gegen einen Deal zwischen der nationalistischen Kuomintang-Regierung mit der Volksrepublik China protestierte, gefeiert wird, verabschiedete "Pekings Handlangerparlament" in Hongkong ein zweites "Sicherheitsgesetz", das den "Straftatbestand" Demokratie noch strikter fassen soll, schreibt Alexander Görlach in der Welt: "Für China ist die Existenz einer funktionierenden und prosperierenden Demokratie vor der Haustür eine Gefahr, denn die Taiwaner könnten die von der Kommunistischen Partei geplagten Chinesen eines Tages dazu inspirieren, auch in China in Freiheit leben zu wollen. Deshalb plant Xi auch, die demokratische Insel von seiner Armee überfallen zu lassen und der Volksrepublik einzuverleiben. Seine Luftwaffe überfliegt die Insel bereits fast täglich, seine Marine provoziert die taiwanesischen Seestreitkräfte in der Straße von Taiwan, die die Volksrepublik China von der Republik China trennt. Wie in Hongkong auch will Xi mit Terror und Einschüchterung die Menschen auf der Insel in die Knie zwingen. Die freie Welt darf nicht zulassen, dass Xi Taiwan einnimmt, denn Diktatoren wie er suchen sich in ihren Machtwahn immer neue Ziele."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.04.2024 - Politik

Welt-Redakteur Clemens Wergin findet die Aufregung über Israels Angriff auf einen Teil des iranischen Botschaftskomplexes in Damaskus ziemlich scheinheilig (gestern haben wir zwei entsprechende Kommentare zitiert). Und schon gar nicht darf sich der Iran über Verletzungen des Völkerrechts aufregen: "Der Iran führt einen offen erklärten Krieg zur Auslöschung Israels und unterstützt derzeit den Krieg der Hamas und der Hisbollah gegen den jüdischen Staat sowohl finanziell wie auch mit Waffen. Und die Militärs, die diesen Krieg von Seiten des Iran führen und koordinieren, stellen natürlich ein legitimes militärisches Ziel dar, egal ob Teheran ihnen die Maske der Diplomatie aufsetzt oder nicht. Auf dieses durchsichtige Manöver sollten deshalb weder Medien noch Politiker hereinfallen."
Stichwörter: Iran, Völkerrecht, Hamas

9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.04.2024 - Politik

Jemand muss Benjamin Netanjahu aufhalten, ruft Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel. Die jüngsten Ereignisse werden nur dazu beitragen, dass Israel weiter isoliert wird: "Israel hat in Damaskus ein iranisches Botschaftsgebäude angegriffen, damit Hoheitsgebiet Teherans. Das setzt Israel vor aller Welt ins Unrecht und heizt alle Debatten um sein Verhalten weiter an. In einer angesichts bedrückender Berichte aus Gaza ohnedies provokanten Lage noch zusätzlich zu provozieren, droht Israel auch unter seinen Freunden zu isolieren. Und das alles, weil Benjamin Netanjahu waltet, wie er will. Israels Premier scheint sich, um im Bild zu bleiben, in einem Tunnel zu befinden, er schaut nicht rechts, nicht links, er verrennt sich."

Auch Ulrich von Schwerin hält den Angriff auf das Konsulatsgebäude in der NZZ für einen taktischen Fehler: "Nach sechs Monaten ist klar erkennbar, dass weder Iran noch der Hizbullah Interesse an einem größeren Krieg haben. Das Regime in Teheran scheint vielmehr bemüht, eine gewisse Schwelle nicht zu überschreiten. Israel spekuliert womöglich darauf, dass Iran auch jetzt eine weitere Eskalation vermeiden wird. Doch Israels Strategie ist riskant. Denn der Angriff auf das Konsulat könnte Iran zwingen, härter als bisher zu reagieren, um die Abschreckung wiederherzustellen. Das Ergebnis könnte ein Krieg sein, den auch Israel nicht wollen kann."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.04.2024 - Politik

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Die israelische Kriegsführung in Gaza verurteilt der Historiker und Journalist Joseph Croitoru im Gespräch mit der Berliner Zeitung als in "völkerrechtlicher Hinsicht äußerst problematisch". Zudem erläutert Croitoru, der gerade ein Buch über die Hamas veröffentlicht hat, wie die Gründungscharta zunehmend in den Hintergrund rückt: "2017 veröffentlichte die Hamas ein neues Programm, auch wenn sie die Gründungscharta nicht für obsolet erklärte. In dem 'Dokument' von 2017 kämpft sie nicht mehr gegen 'die Juden' im Sinne eines Religionskriegs. Stattdessen schwingt ein postkolonialer Diskurs mit, man bekämpft die 'kolonialistischen' Besatzer. Die Hamas erhebt darin weiterhin Anspruch auf das gesamte Gebiet des historischen Palästina, signalisiert aber, dass der künftige palästinensische Staat sich auf die Palästinensergebiete, so wie sie bis 1967 bestanden, beschränken könnte. Damit deutet die Hamas an, dass sie zu einer Koexistenz mit dem israelischen Staat bereit wäre, besteht aber gleichzeitig darauf, ihn nicht anerkennen zu wollen."

In der NZZ macht der Politikwissenschaftler Stephan Grigat die europäische Iran- und Nahostpolitik mitverantwortlich für den 7. Oktober: "Es sind die Millionenzahlungen, die Waffenlieferungen und die Ausbildner aus Iran, welche die palästinensischen NGO und GO des Antisemitismus in die Lage versetzt haben, den schlimmsten Massenmord an Juden seit der Shoah zu begehen. (…) Solange es zu keiner 180-Grad-Wende in der europäischen Politik gegenüber dem den Holocaust leugnenden Regime in Iran kommt, die perspektivisch auf einen Sturz der Machthaber in Teheran setzen müsste, bleiben die Solidarisierungen mit dem angegriffenen Israel genauso billige Rhetorik wie die formelhaften Beschwörungen eines 'Nie wieder' und 'Wehret den Anfängen'."

Wo sind die postkolonialen Freunde des Globalen Südens eigentlich, wenn es um die humanitären, von Islamisten und korrupten Regimen verursachten Krisen in Afrika geht, fragt Alan Posener in der Welt: "Sie sind alle mit Gaza beschäftigt. Sie haben alle vollauf damit zu tun, Israel davor zu warnen, weiter gegen die Hamas-Terroristen vorzugehen, Israel für eine angebliche humanitäre Krise verantwortlich zu machen, die seit Monaten bevorsteht, aber nie eintritt. Merke: Elend ist nur sexy, wenn man Juden dafür verantwortlich machen kann.  Auch die anderen - die wirklichen - humanitären Krisen sind das Ergebnis von Gewalt. In fast allen Fällen sind Islamisten diverser Couleur und korrupte Regime verantwortlich. Wenn im sudanesischen Flüchtlingslager Zamzam in jeder Stunde zwei schwarze Kinder an Hunger sterben, so deshalb, weil arabisch-muslimische Milizen in Darfur seit Jahren eine rassistische Politik der ethnischen Säuberung durch Hunger betreiben."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.03.2024 - Politik

Im Gespäch mit Juliane von Mittelstaedt vom Spiegel hofft die israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger, dass die Israelis es bald schaffen, Benjamin Netanjahu loszuwerden, dem sie vorwirft, den Krieg brutal zu führen und vor allem in die Länge zu ziehen, um an der Macht zu bleiben. Klar macht sie allerdings auch: "Ich glaube fest daran, dass die Hamas besiegt werden muss. Sie muss unsere Geiseln freilassen." Danach hofft sie auf einen Modus Vivendi mit den Palästinensern in einer Zweistaatenlösung. Denn "der Traum von einem glücklichen jüdisch-arabischen Staat" werde nicht wahr werden" und "ich möchte daher an dieser Stelle deutlich sagen: Ich werde kein Mitbürger der Menschen aus Gaza sein, die das Massaker verübt oder es bejubelt haben. Auch nicht ihr freundlicher Nachbar. Meine Hoffnung - denn ich habe Hoffnung - ist es, ein unfreundlicher, aber friedlicher Nachbar eines zukünftigen Palästinas zu sein."

Oz-Salzberger setzt ihre Hoffnungen in gemäßigte Politiker wie Naftali Bennett. Dieser wendet sich auf Twitter an alle, die Israel als den Kriegstreiber sehen: "Die israelische Armee ist eine Bürgerarmee. Es sind unsere Jungen und Mädchen, die dort dienen. Sie können ein CEO, ein Lehrer oder ein Klempner sein, Ihre Kinder werden Seite an Seite dienen. ... Das bedeutet, dass wir den Krieg hassen. Es sind nicht 'die Kinder von anderen'. Es sind unsere." An die Adresse der westlichen Länder sagt Bennett. "Freunde, lasst mich deutlich sagen: In diesem Moment verfolgen radikal-islamische Terroristen in Madrid, New York, Paris und London diesen Krieg. Wenn Israel daran gehindert wird, die Hamas zu besiegen, wird sich jeder einzelne von ihnen inspiriert fühlen. Wenn wir die Hamas zerschlagen, werden auch ihre Hoffnungen auf Terror zunichte gemacht. Dann werdet auch ihr sicherer sein."

Kann man tatsächlich die Behauptungen Israels anzweifeln, dass die UNRWA mit der Hamas engstens verquickt ist? Wohl kaum, meint Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel: "Die vielen Computer, die beim Vormarsch in Gaza gesichert wurden, die Dateien, die Karten, die Akten, von Waffen dieses eine Mal nicht weiterzureden - wer behauptet, dass diese manipuliert worden sind, kann schnell der Lüge überführt werden. Die Unterlagen lügen nicht. Dass Schulleiter der UNRWA mit dem jüngsten Terror verbunden waren; dass 15 Mitarbeiter unter den Kommandeuren waren, die das große Töten in Israel befehligten; dass viele der Schulen mit terroristischer Infrastruktur verbunden waren, über und unter der Erde - bedeutet das gar nichts? Ist das verzeihlich? Kann das passieren?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.03.2024 - Politik

"Die UN-Sonderberichterstatterin für die Palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, sieht 'vernünftige Gründe' für die Annahme eines israelischen Völkermords im Gazastreifen", berichtet tagesschau.de im Ton der Neutralität. Hört man sich Albaneses Rede bei der Präsentation ihres Berichts an, hört man auch, wie sie die Formel "From the River to the Sea", die eine Auslöschung Israels verlangt, provokant einflocht. Die Hamas wird in Albaneses Präsentation kaum erwähnt. Eine offizielle UN-Funktionärin wird damit zur Verkörperung einer Tendenz, die in der ganzen westlichen Welt zu verspüren ist, schreibt Maria Ossowski in der Jüdischen Allgemeinen: "Überall in der westlichen Welt lässt sich diese beunruhigende Erosion des Mitgefühls in Kombination mit Blindheit beobachten. Es begann direkt nach dem Massaker, als Medien und Politik zwar aufschreckten, die Mehrheit der Deutschen jedoch dem kollektiven Schweigen verfiel. Zwar demonstrierten in Berlin 20.000 Menschen für Israel - als zwei Jahre zuvor Russland die Ukraine überfallen hatte, waren es aber eine halbe Million. Statt Mitgefühl machte ein schrecklich abstrakter Begriff die Runde, und zwar Kontextualisierung."