Vor zwei Jahren überfielen die Russen die Ukraine. Es ist
nicht nur Putins Krieg. Die russische Gesellschaft ließ sich gleichschalten und trottet hinter ihm her wie ein alter Pudel. "
Das Volk schweigt und macht alles mit", sagt
Michail Schischkin im
Tagesspiegel.
Mit Sorge
beobachtet Richard Herzinger in einem Essay für die Zeitschrift
Internationale Politik die Erosion der Unterstützung für die Ukraine: "Was gerne euphemistisch als wachsende
westliche '
Kriegsmüdigkeit' bezeichnet wird, ist nichts anderes als ein Prozess schleichender Kapitulation, eine Art
München 1938 in Zeitlupe." Auch klassische strategische Analysen des Kriegs überzeugen Herzinger nicht: "Sie gehen von
einer Rationalität aus, die auf russischer Seite nicht existiert. Putins Russland geht es nicht um einen Sieg im herkömmlichen Sinne, sondern darum, unter seinen vermeintlichen Feinden maximale Zerstörung anzurichten. Es kann nicht anders als den Krieg immer mehr auszuweiten, weil die
entgrenzte Gewalt ihr einziger 'Wert' und Daseinszweck ist."
So auch der Zeithistoriker Jan Claas Behrends in der
taz: "Ein Sieg Russland Sieg in der Ukraine hätte
dramatische Folgen für Deutschland und Europa. Millionen von Ukrainern würden ihr Zuhause verlieren, und unsere Sicherheitslage würde sich ein weiteres Mal dramatisch verschlechtern."
Was mit einer
besiegten Ukraine geschieht, weiß man ja,
mahnt Anastasia Magasowa in der
taz, denn die Russen haben den Krieg
vor zehn Jahren begonnen und zwanzig Prozent des ukrainischen Territoriums stehen unter russischer Besatzung, und "Russland tut alles, um diese beiden Teile der Ukraine
dauerhaft zu trennen - sowohl physisch als auch mental. In einigen dieser Siedlungen gibt es noch immer keine Handy- oder Internetverbindungen, da sie von den Besatzern absichtlich blockiert werden. Seit Jahren können Kinder ihre alten Eltern nicht kontaktieren und umgekehrt. Wenn eine Familie unter der Besatzung Glück hatte, wurden ihre Kinder nicht unter dem Deckmantel der Evakuierung dauerhaft auf russisches Gebiet gebracht, also verschleppt. Diejenigen, die es geschafft haben, zu Hause zu bleiben, werden in den örtlichen Schulen dazu erzogen, zu vergessen, dass sie Ukrainer sind. Sie sollen
zu neuen Russen werden."
Timothy Snyder macht im
Gespräch mit Jan Pfaff von der
taz klar, was mangelnde Unterstützung für die Ukrainer im Kriegsalltag bedeutet: "Das Fehlen von genügend Flugabwehr und Artilleriemunition hat ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen, das ist
keine militärische Abstraktion. Wenn die Ukrainer nicht genug Artillerie haben und die Russen einen Durchbruch erzielen, bedeutet das, dass mehr Ukrainer unter russischer Besatzung leben müssen. Das bedeutet
mehr Morde,
mehr Vergewaltigungen, mehr Entführungen von Kindern, mehr Folter. Für Ukrainer gibt es in diesem Krieg keinen Unterschied zwischen einer militärischen Lage und einer
sozialen Erfahrung. Es läuft auf das Gleiche hinaus."
"In Kiew mag sich das Leben tagsüber normal anfühlen, aber
nachts sieht es ganz anders aus",
erzählt die ukranische Journalistin Nataliya Gumenyuk im
Guardian. "Zu dieser Zeit finden die meisten Angriffe statt. Inzwischen haben die Menschen herausgefunden, wie man mit diesen Risiken umgeht: Es gibt einen staatlichen Alarm und mehrere Telegram-Kanäle, die
den Grad der Gefahr je nach Art der Waffen angeben. Wir alle wissen, dass es riskanter ist, in den oberen Etagen zu wohnen, große Fenster zu haben oder in Vierteln zu leben, die
in der Nähe von Umspannwerken liegen."
Wer von
Kompromissen mit Russland träumt, dem rät Frank Nienhuysen in der
SZ auf die jüngsten Äußerungen von
Dmitrij Medwedjew zu hören: "'
Odessa, komm zurück nach Hause', sagte Medwedjew in einer russischen Interviewrunde über die ukrainische Schwarzmeerstadt: 'Es ist unsere russische Stadt.'
Auch Kiew steht immer noch oben auf seiner To-do-Liste, 'wenn nicht jetzt, dann irgendwann später'. Das sind schlechte Grundlagen für Verhandlungsfantasien." Ebenfalls in der
SZ blickt
Timothy Garton Ash zurück auf die Münchner Konferenz und stellt fest: Die westlichen Regierungschefs "schaffen es nicht, ihren jeweiligen Gesellschaften das Gefühl einer
existenziellen Bedrohung zu vermitteln".
Wie sähe
ein Frieden mit Russland aus? Gebiete, die von Russland besetzt sind, sind verloren,
warnt Galia Ackerman in
Deskrussie. Putin würde die Methoden des KGB-Vorgängers
NKWD anwenden: "Gleichzeitig mit dem militärischen Kommando wird die
politische Polizei installiert. Anhand von Listen, die mithilfe lokaler Kollaborateure und eingeschleuster Ermittler erstellt wurden, verhaftet sie
reihenweise alle, die auf die eine oder andere Weise Widerstand leisten könnten: ehemalige Beamte, Mitglieder verschiedener politischer Parteien, Lehrer, Professoren, Schriftsteller und generell alle, die zu Recht oder Unrecht verdächtig erscheinen. Einige werden sofort erschossen, andere in den Gulag oder ins sibirische Exil geschickt, wieder andere durchlaufen Filterlager, aus denen nur wenige
körperlich und seelisch verstümmelt wieder herauskommen."
Noch beschönigen wir in Deutschland unsere Lage, so Jörg Lau in
Zeit online: Aber "wir haben
einen Feind, der mit allen uns verfügbaren Mitteln gestoppt werden muss... Denn dieses russische Regime hat uns
als Feind identifiziert. Und es schert sich nicht darum, dass wir derartige absoluten Kategorien ablehnen. Putin sieht im Westen seinen Todfeind, den er immer weiter dämonisiert - als dekadent, böse, unwert. Auch die Ukraine wurde für Putin zum absoluten Feind ('Nazis'), seit sie den Weg in den Westen eingeschlagen hatte."
Muss man ein Literat sein, um
Putins Wahnsinn zu begreifen und vor Augen stellen zu können?
Viktor Jerofejw, der in der
taz erklärt, warum "Gopnik" ein Putin-Roman ist (
mehr heute in efeu), porträtiert den Finsterling im Feuilleton-Aufmacher der
FAZ: "Den Zaren kann man nicht von der
Magie der Macht losreißen, er badet förmlich darin. Darum ist der große Krieg mit der Ukraine auch kein Zufall, er stand schon lange auf der Agenda, denn der Zar weist noch eine andere Besonderheit auf: Er ist schrecklich schnell beleidigt und verzeiht Beleidigungen niemals. Die Ukraine hat ihn sowohl mit ihrem Drang nach Europa beleidigt als auch mit ihrem 'hinterfotzigen' Ungehorsam. Ebenso widerwärtig ist ihm das 'russophobe' Polen, das, so meint er, Hitler in den Zweiten Weltkrieg getrieben oder, anders gesagt, diesen provoziert habe."
Hendrik Kafsack und Katharina Wagner stellen im Wirtschaftsteil der
FAZ die ganz konkreten Fragen: Was nützen die
Sanktionen? Ihr Befund ist zwiespältig. Durch die Investitionen in die Rüstung ist die russische Wirtschaft sogar
noch gewachsen. Zugleich läuft das System auch
auf Reserven aus dem Nationalen Wohlfahrtsfonds, die demnächst verbraucht sind. Ziel der Sanktionen müsse es sein, "dass Putin weniger Geld habe, das er
in die Rüstung stecken könne. In diesem Sinne wirkten die Sanktionen natürlich, sagt der in Barcelona lehrende Ökonom
Ruben Enikolopow: Ohne sie würde Russland noch deutlich mehr Geld verdienen. Nur könne der Effekt noch größer sein, wenn die Umsetzung strukturierter wäre. Brüssel und Washington müssten eine Infrastruktur aufbauen, Organe schaffen, die die Einhaltung der Sanktionen überwachen, sagt Enikolopow."