9punkt - Die Debattenrundschau

Mit Worten statt Waffen

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.01.2024. Die FAZ wirft den demokratischen Parteien vor, in Bezug auf Migrationspolitik ein ähnliches Programm wie die AfD zu vertreten. Der Iran will gar keinen Krieg mit Israel, glaubt die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur in der FR. Fania Oz-Salzberger hat in der FAS derweil Hoffnung für die Zukunft der israelischen Protestbewegung, aber nicht für die von Netanjahu. Philipp Peyman Engel wirft den deutschen Medien in der NZZ ihr jahrelanges Schweigen über Antisemitismus vor.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.01.2024 finden Sie hier

Kulturpolitik

Mark Siemons weist in der FAS darauf hin, dass im Streit um die Berliner Antidiskriminierungsklausel (unsere Resümees) eine entscheidende Frage gar nicht gestellt wurde. Die Hauptfunktion der Klausel sei es nämlich gar nicht, zu verhindern, dass antisemitische Projekte gefördert werden. Wie Siemons einer Erklärung der Pressestelle Joe Chialos entnehmen kann ist "eine Überprüfung des im Förderantrag eingeforderten Bekenntnisses offenbar gar nicht vorgesehen". Vielmehr sei das Ziel "die kulturelle Institution, in diesem Fall den Senat als Verteiler von Fördergeldern, zu entlasten, unangreifbar zu machen, wenn es zu antisemitischen Vorfällen in ihrem Bereich kommt. Sie kann dann immer darauf verweisen, dass die betreffenden Personen ihr gegenüber ja eine von allen relevanten staatlichen Stellen und der überwiegenden Mehrheit der Öffentlichkeit gedeckte Erklärung abgegeben haben; wenn sie dieser dann zuwiderhandeln, sei das nach Maßgabe der staatlich geschützten Kunstfreiheit nicht mehr die Sache der Behörde, die der ihr zuzumutenden Verantwortung durch Einholung einer Selbsterklärung gerecht geworden sei."

In einem Essay auf den "Bilder und Zeiten"-Seiten der FAZ denkt die Schriftstellerin Kathrin Röggla über das Schweigen und (angebliche) Sprechverbote zum Nahost-Konflikt in der Kulturszene nach: "Die ganze Situation zeichnet sich durch eine Fahrigkeit, Hektik und Hysterie aus - und, ja, auch durch Absagen. Meine Hoffnung ist, dass sich das nicht verschärft, sondern wieder beruhigt. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass es schon lange viel weniger um die Texte selbst geht, um die künstlerischen Arbeiten, sondern um die Frage, wer jetzt zu Wort kommen soll. Es spricht von einer enormen Politisierung der Kunstszene, in der Kunstwerke hauptsächlich als politische Markierung gelten. Das komplexe System der Zeichen, die Melodie und die ästhetische Formierung treten krass in den Hintergrund. Alles ist Symbolpolitik."

Christiane Peitz berichtet im Tagesspiegel von einer angeregten Podiumsdiskussion zur Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Staatsbibliothek Unter den Linden. Einig sind sich die Teilnehmer vor allem bei einer Sache, so Peitz - es wird mehr Geld gebraucht: "Die Länder sind willig, wollen keineswegs aussteigen, sondern jeweils drei Millionen Euro mehr zahlen. Aber was ist mit dem Bund, auch angesichts einer Haushaltslücke von 28 Millionen Euro im laufenden Jahr, des überall zu beobachtenden Rückzugs von Kultursponsoren, des bis 2037 geschlossenen Publikumsmagneten Pergamonmuseum und der angespannten Haushaltslage? Hierzu hätte man gerne Claudia Roth gehört, ein Bekenntnis zur Preußenstiftung als bedeutendster gesamtstaatlicher Kulturschatz und Wissenschafts-Konglomerat, mit großem demokratiefördernden Potenzial. Und ein Bekenntnis dazu, dass ihre Behörde für eine bessere finanzielle Ausstattung kämpft."
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Medien

Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht, auch weil sie, wie ihr Pressereferent Christopher Resch im taz-Gespräch erklärt, unter anderem davon ausgeht, dass die israelische Armee möglicherweise gezielt Journalisten in Gaza getötet habe. Zudem hat er Zweifel an der unabhängigen Berichterstattung: "Journalisten kommen seit dem 7. Oktober nur nach Gaza, wenn sie mit der israelischen Armee unterwegs sind. Sie müssen der Armee anschließend ihr Material vorlegen, was für diese Art der Berichterstattung aber nicht ungewöhnlich ist. Wir fordern, dass über die israelischen und den ägyptischen Grenzübergang mehr internationale Medien ins Land gelassen werden."
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Gesellschaft

Lucien Scherrer trifft für die NZZ den Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Philipp Peyman Engel zum Interview. Seit dem 7. Oktober haben Drohungen gegen die Redaktion, aber auch gegen ihn persönlich massiv zugenommen, sagt Peyman Engel, doch der zunehmende Antisemitismus in Deutschland und das Schweigen darüber sei schon lange ein Problem: "Die Problematik wurde jahrelang von vielen unserer Journalistenkollegen zwar gesehen, aber verdrängt. Aus Angst, als rechts oder rechtsextrem bezeichnet zu werden. Jüdische Journalisten hingegen, die auf die Anfeindungen aufmerksam gemacht haben, wurden als vermeintliche Wegbereiter der AfD beschimpft. Da hat unsere Zunft versagt. Ein besonders schlechtes Beispiel ist Jan Böhmermann, der gerne Journalist sein möchte und in seiner Sendung Leute wie Friedrich Merz in infamer Weise in die Nähe von Nationalsozialisten stellt, aber beim Terror von Muslimen in Deutschland gegen Juden nicht die Zähne auseinander bekommt."
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Politik

Nach den Correctiv-Enthüllungen zur AfD (unsere Resümees) behaupten rechte Zeitungen wie die Junge Freiheit, es habe sich beim Treffen hochrangiger AfD-Politiker mit Akteuren aus der rechtsextremen Szene gar nicht um ein "Geheimtreffen" gehandelt, schreibt Patrick Bahners in der FAZ. Vielmehr sei dieser Eindruck durch die "konspirativen Methoden" von Correctiv selbst entstanden, gibt Bahners wieder. Das ist "bestenfalls halbrichtig", entgegnet er, allerdings verstärkte das "Vokabular der Geheimniskrämerei" den Effekt der Enthüllungen und gab dadurch den anderen Parteien die Möglichkeit zu großer Empörung, dabei gehen die Punkte im Plan des rechtsextremen Martin Sellner, "den Correctiv referiert, an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus", so Bahners: "Wie die AfD suggerieren fast alle Parteien, dass die Probleme von Migration und Integration ein einziges fatales Syndrom von höchster Dringlichkeit bildeten; die Parole der kleinen Paschas steht dafür. (...) Die AfD wartet darauf, dass ihre Gegner nach den Symptombeschreibungen auch die Ursachenbehauptung übernehmen. Für Martin Sellner und seine Leser läuft insoweit alles nach Plan."

Das in jenen Zusammenkünften besprochene Konzept der "Remigration" möchte Matthias Quent in der FAS als das bezeichnet haben, was es ist, nämlich nichts anderes als eine Absicht zum "rassistisch motivierten Staatsverbrechen" (so bezeichnete es der Politologe Steffen Kailitz 2016 in Bezug auf die Ziele der NPD, informiert Quent): "Neu sind diese verbrecherischen Absichten nicht, doch die Schamlosigkeit, mit der die Remigrationspläne auch nach den Enthüllungen öffentlich vertreten, verteidigt und relativiert werden, lässt erschaudern. Während im allgemeinen Migrationsdiskurs Menschenrechte in den Hintergrund gedrängt werden und die AfD in Prognosen gewinnt, während andere Parteien und die Zivilgesellschaft offenkundig überfordert sind, wachsen Selbstbewusstsein und Mut der Rechtsextremen. Eine Partei aber, deren Mitglieder und Führungspersonal Vertreibungs-, Umsturz- und Gewaltpläne unterstützen, dulden und verharmlosen, verwirkt in der wehrhaften Demokratie ihre Existenzberechtigung - unabhängig vom Wählerurteil."

Entgegen den allgemeinen Befürchtungen und der anti-israelischen Propaganda des Regimes in Teheran glaubt die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, dass ein Krieg mit Israel nicht im Interesse des Irans liegt, wie sie im FR-Interview mit Michael Hesse darlegt. Das heiße allerdings nicht, dass eine Eskalation ausgeschlossen sei: "Gefährlicher im Hinblick auf eine Ausweitung des Konflikts ist, dass Israel wieder das Mittel der gezielten Tötungen von Militär-Granden einsetzt, nicht nur der Hamas, sondern auch der Iraner und der Hisbollah. Wenn Israel den aktuellen Krieg nutzen sollte, um auch das Hisbollah-Problem zu lösen, könnte Iran dadurch verwickelt werden. Die Washington Post berichtete sogar kürzlich, in Washington wachse die Befürchtung, Netanjahu könnte den Konflikt an Israels Nordgrenze, also mit der Hisbollah, bewusst eskalieren, um sein eigenes politisches Überleben zu sichern. Die Hisbollah steht dem Regime ideologisch und historisch viel näher als die Hamas. Hinzu kommt: Aus Netanjahus Perspektive liegt die grundsätzliche Lösung des Problems ohnehin im Iran. Er wirbt schon seit Jahrzehnten für eine amerikanische Unterstützung zur Bombardierung Irans."

Die israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger teilt im FAS-Gespräch mit Till Schmidt ihre Einschätzung zur aktuellen Lage in Israel und zur Zukunft der israelischen Protestbewegung. Die Kritik an der Regierung und das kürzliche Urteil des Obersten Gerichts gegen Teile der Justizreform geben der Bewegung Aufwind, so Oz-Salzberger: "Ja, perspektivisch können wir mit einem Wiederaufleben der Protestbewegung rechnen. Netanjahu erzählt immer wieder, der Krieg werde noch eine ganze Weile dauern. Ich glaube, aus politischem Kalkül: weil sein Kontrahent Benny Gantz erklärt hat, sich erst nach Kriegsende für Neuwahlen einzusetzen, und weil so viele frühere Anti-Netanjahu-Demonstranten als Soldaten eingebunden sind oder finden, mitten im Krieg sei der Zeitpunkt für politische Proteste nicht richtig. Doch mehr als die Hälfte der Israelis glaubt Netanjahu kein Wort, und sein Prozess wegen Korruption wurde wieder aufgenommen. Das ist, in einer so existenziellen Situation, keine gute politische Ausgangslage für ihn."

Das Ergebnis der Beratungen des IGH über einen Eilantrag Südafrikas gegen Israels militärische Intervention im Gaza-Streifen (unser Resümee) dürfte in jedem Fall enttäuschend für die Kläger sein, meint Ronen Steinke in der SZ. Maximal "könnte der Gerichtshof donnernd ein Gebot sprechen: Schluss mit den Attacken auf Gaza! Ende aller Kampfhandlungen! Dafür hat die Regierung Südafrikas plädiert, die diesen Fall vor den Gerichtshof gebracht hat. Damit es so weit kommt, müssten die Richterinnen und Richter aber jegliches Selbstverteidigungsrecht Israels in Abrede stellen (wie es ein Vertreter Südafrikas in der Gerichtsverhandlung auch allen Ernstes getan hat). Und das ist eigentlich kaum vorstellbar. Wer darauf hofft, dürfte enttäuscht werden."

Durch die Klage Südafrikas rückt der Gaza-Krieg in die globale Aufmerksamkeit - und das ist auch gut so, kommentiert indes Dominic Johnson in der taz. Zwar wünsche sich die israelische Führung, der Konflikt würde als "innere Angelegenheit" betrachtet werden, aber dafür stehe zu viel auf dem Spiel: "Israel hat militärisch zwar die Oberhand über Hamas, liefert mit seiner menschenverachtenden Kriegsführung in Gaza aber Libanons Hisbollah und Jemens Huthis eine Steilvorlage, sich als die nächsten Widerstandskämpfer zu profilieren statt als die Kriegstreiber, die sie in Wahrheit sind. Es ist wichtig, dass die Weltgemeinschaft insgesamt dieser Eskalationsspirale entgegentritt. Nicht nur darf Israels Selbstverteidigung nicht Netanjahu überlassen bleiben; auch die Sache der Palästinenser ist zu wichtig, um sie Hamas zu überlassen. Wer Frieden in Nahost will, sollte es begrüßen, wenn der palästinensische Freiheitskampf mit Worten statt Waffen geführt wird. Vor drei Monaten jubelten Palästinenser über den völkermörderischen Hamas-Überfall auf Israel. Jetzt jubeln sie über die Völkermordanklage gegen Israel in Den Haag. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung."
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